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1965

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

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Neuerscheinungen

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375

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

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Pastoralen Hinweise breiten Raum gewährt, kann Klein freilich
nur dann einen Fortbestand in Aussicht stellen, wenn es in der
evangelisch-lutherischen Theologie auch zu einer neuen, nicht
nur Luther repristinierenden einheitlichen Beichtlehre kommt, die
vor allem die seit Luther liegen gebliebenen ekklesiologischen
Probleme der Beichte aufarbeitet. Ohne eine solche einheitliche
und theologisch gegründete Beichtlehre könne es auf die Dauer
keine lebendige Beichtpraxis geben. Das Gespräch mit der Beichtlehre
der römisch-katholischen Kirche könne dabei hilfreich sein,
wie auch die römisch-katholische Beichtlehre manche Erkenntnisse
der lutherischen Beichtlehre, besonders hinsichtlich der Absolution
, aufnehmen solle, um der Gefahr der Erstarrung zu
entgehen.

Dieser freilich nur in einigen wesentlichen Gesichtspunkten
gekennzeichnete Inhalt der Arbeit von Klein dürfte deutlich
machen, welche Aufmerksamkeit dieses Buch auch von der evangelischen
Theologie und Kirche beanspruchen darf, zumal man
das Bemühen Kleins, die Beichtlehre und Beichtpraxis der evangelisch
-lutherischen Kirchen sachgerecht darzustellen und zu beurteilen
, anerkennen muß. Freilich ist gerade dabei der römischkatholische
Standort des Verfassers nicht zu verkennen. Das zeigt
sich nicht nur gelegentlich in seiner Terminologie und in seiner
systematischen Fragestellung, sondern auch in seinen eigenen
theologischen Positionen, von denen her er Fragen stellt und urteilt
. Der evangelische Theologe wird hier manches anders sehen
und beurteilen. Im übrigen wünschte man sich bisweilen eine
deutlichere Sicherung der Urteile Kleins. Seine Kritik an Luthers
Beichtlehre bei der Erörterung der Beichtlehre der Orthodoxie,
des Pietismus und der Gegenwart ist keineswegs immer in seiner
Darstellung der Beichtlehre Luthers selbst genügend begründet.
Daß auch seine Darstellung der Geschichte der Beichtpraxis noch
manche Fragen offen läßt, besonders etwa auch zur allgemeinen
Beichte, der überhaupt nur geringe Aufmerksamkeit und Wertung
zuteil wird, ist bei dem Fehlen noch mancher notwendiger
Einzelforschungen nicht verwunderlich. Doch können diese Ausstellungen
die Bedeutung dieses Buches zur Orientierung über
die Beichtlehre und Beichtpraxis der evangelisch-lutherischen
Kirchen sowie für das Gespräch über die Beichte in der evangelischen
Theologie und mit der römisch-katholischen Theologie
nicht herabmindern.

K.arl B r i n k e 1 f

Exarchos, Basil: Die gegenwärtige wissenschaftliche und kirchliche
Verantwortung der Theologie. — Vom Orthodoxen Standpunkt aus
(Kyrios 4, 1964 S. 262—276).

Frei, Hans: Die altkatholische Lehre von der apostolischen Sukzession
im Licht der heutigen Ökumene (IKZ 54, 1964 S. 225—245).

H o f m a n n, Linus: Formpflicht oder Formfreiheit der Mischehenschließung
? (Catholica 18, 1964 S. 241—257).

M c C a u g h e y, J. D.: Church Union in Australia (ER 17, 1965 S. 38
-53).

Stakemeier, Eduard: Kirche und Konzil. Übersicht über einige
Neuerscheinungen (ThGl 54, 1964 S. 443—451).

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Grau, Gerd-Günther: Die Selbstauflösung des christlichen Glaubens.

Eine religionsphilosophische Studie über Kierkegaard. Frankfurt/M.:
Sdiulte-Bulmke 1963. 344 S. gr. 8°. Kart. DM 30.—.

Kierkegaard als Antizipation der Absage Nietzsches an das
Christentum, das ist das Thema dieses Buches, in dem „der Verfasser
die mit seiner Studie über Nietzsche — unter dem Titel
Christlicher Glaube und intellektuelle Redlichkeit — begonnene
Erörterung der religionsphilosophischen Problematik des Christentums
fortsetzt'' (S. 7). Ziehe man aus Kierkegaards Schrifttum
nur redlich die Konsequenzen, dann ergebe sich ganz klar: die
Erlösung ist mißlungen (nach einem Wort Nietzsches), das Ausgebliebensein
der Parusie — zentraler Gesichtspunkt für Grau —
läßt sich nicht kompensieren, die unmittelbare Erwartung des
Endes nicht stunden oder .wiederholen' durch eine Reihe von
Augenblicken der Gleichzeitigkeit mit Christus im religiösen Erleben
des Menschen. Dies wäre doch nur das Surrogat menschlicher
Erfüllung der Zeit für das ,in der Fülle der Zeit' ausgebliebene
Heil Gottes (S. 12).

„Nur aus der Perspektive Nietzsches läßt sich daher das ,Rätsel'
lösen, das Kierkegaard bis an das Ende seines Lebens sich selbst, und
das .Geheimnis', das er bis heute seinen Auslegern geblieben ist, d. h.
aus der Perspektive jener Selbstauflösung des christlichen Glaubens aus
intellektueller Redlichkeit. . ." (S. 2 5).

..Kann sich Nietzsche einen besseren Repräsentanten für die von
ihm behauptete theoretische Selbstauflösung des Christentums,
mit seinen Worten: dafür wünschen, daß der moderne Mensch, an ihm
festhaltend, aber von ihm nicht mehr festgehalten, nur noch .seufzen'
könne" (S. 33).

„Kaum ein .religiöser Schriftsteller' — ausgenommen etwa Pascal,
der sich immerhin noch als christlicher Denker empfand — hat diese,
d.h. die durch die mißlungene Erlösung, noch genauer: die durdi das
Übersehen des Mißlungenseins der Erlösung für den Gläubigen heraufbeschworene
Situation so tief erfahren, durchlitten und ihr so umfassend
(wenngleich in seinen Schriften uneingestanden) Ausdruck verliehen
wie Kierkegaard: Vergebens bemüht er sich, den Augenblick
wieder heraufzubeschwören, da das Ewige dem Menschen in der Zeit
begegnet, doch er übersieht, daß der Augenblick längst vergangen
ist, da die Menschheit den Einbruch der Ewigkeit in die Zeit aktuell
erwartet hat" (S. 54 f.).

Für die theologische Kierkegaard-Forschung wirkt dieses
Buch ziemlich outsiderhaft. Aber es ist dadurch von erheblichem
Interesse, daß es — ganz unbefangen und von außen schärfer
sehend — den Finger auf ein Problem legt, das in der gegenwärtigen
theologischen Kierkegaard-Forschung doch wohl zu kurz
kommt: auf den Zündstoff zum Destruktiven, ja zum Anti-
christentum, welcher in den Anfechtungen dieses großen
Dänen aufgespeichert ist. Und es kann auch nicht bestritten
werden, daß Grau damit genau den Punkt berührt, der für
Kierkegaard selbst der Nerv seines ganzen Grübelns gewesen ist.
Grau versteht, indem er so sehr das Negative und Destruktive an
Kierkegaard hervorhebt, diesen sicher besser als die durchschnittliche
Literatur der erbaulichen Kierkegaard-Verherrlichung. Nur
daß Grau übersieht, und als Nicht-Theologe wohl übersehen muß,
daß Kierkegaard — wenigstens versteckt und implizit — doch wohl
mehr positive .Antworten' auf seine Zweifel hat, als sich in
philologischer Korrektheit belegen läßt. Allein Kierkegaards Verständnis
der Situation christlicher Existenz als paradoxer verwehrt
es, rein theoretisch und als außenstehender Beobachter
letzte Konsequenzen zu ziehen, wenngleich es nichts schaden
kann, wenn der Theologe diesen einmal explizit konfrontiert
wird.

Leider (vielleicht auch glücklicherweise) ist diese Wirkung
dadurch sehr beeinträchtigt, daß ein unendlich komplizierter
Stil und kaum durchschaubare Satzperioden — mit langen Zitaten
in Parenthese — mehr die eindrucksvollen Kierkegaard-
Zitate selbst als Graus Ausführungen hierzu zur Geltung kommen
lassen. Die äußere Form der Darstellung überschreitet mitunter
die Grenzen des Zumutbaren. Es ist jene Art der Rede (in
der zeitgenössischen Philosophie freilich nicht ohne Beispiel), die
in der Absage an alles bloß Informatorische und Didaktische den
Ausweis des wahren Gelehrtengesprächs zu sehen trachtet und
nur den Spezialisten als Leser will. Man 6ollte diesen — in der
Theologie heute oft änigmatisch genannten — Stil nicht zu
schnell als Symptom innerer Betroffenheit und Ausweis sich
quälenden Bemühens an einem gewaltigen Stoff heroisieren, als
ob alles Klare und Verständliche nur das .Seichte und Oberflächliche
' verriete. Daß gerade das Thema Kierkegaard-Nietzsche
auch allgemeinverständlich verhandelt werden kann, ohne dadurch
der ,Tiefendimension' zu entbehren, zeigt ja das Buch von
Wolfgang Struve (Die neuzeitliche Philosophie als Metaphysik
der Subjektivität), welches weitgehend demselben Problemkreis
wie das Buch von Grau gewidmet ist.

Zum einzelnen soll noch dies gesagt werden, daß Grau sein
Kierkegaard-Verständnis vor allem an der ,Stadienlehre' Kierkegaards
zu erhärten sucht und hierbei zu folgender Gliederung
kommt:

„Hauptstück. Die Stadienlehre als Folge und Beweis der ausgebliebenen
Parusie

1. Die zirkulare Destruktion: Vom ästhetischen zum christlichen
Augenblick.

2. Die lineare Destruktion: Vom ethischen Christentum zum
Moralismus des Humors.