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Ausgabe:

1965

Spalte:

367-369

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Duroux, Benoit

Titel/Untertitel:

La psychologie de la foi chez Saint Thomas d'Aquin 1965

Rezensent:

Pesch, Otto M.

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367

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

368

vie sexuelle), über menschliches Handeln und weltliche Gewalt
(les activites terrestres, les pouvoirs civik), über Welt und
Weltlichkeit (monde et mondain, siecle et seculier), über
Natur und Kultur (la nature exterieure, la culture profane)
sowie abschließend über die Weltverachtung im allgemeinen
konfrontiert. Jedes Kapitel ist in sich geschlossen und zeigt
höchst interessante Aspekte auf. Zum Teil mit Recht, vor
allem aber sehr energisch hebt der Autor immer wieder den
offenkundigen Gegensatz zwischen den Anschauungen Damianis
und denen der Bibel, das heißt vielmehr die einseitige negative
Schriftinterpretation Damianis in bezug auf die Welt und das
menschliche Wirken in ihr hervor, und macht auf den Einfluß
antik-philosophischer Gedankengänge aufmerksam. Dabei
erscheinen jedoch die Damiani rechtgebenden Bibelstellen
unterbewertet bzw. das Problem der biblischen Weltwertung
nicht recht erfaßt. Auch wird nicht ganz klar, was nun eigentlich
bei Damiani auf orphischer, platonischer, neuplatonischer
und gnostischer Tradition beruht, denn Bultot faßt merkwürdigerweise
alle diese Strömungen unter dem Terminus
,,platonisch" zu einer Einheit zusammen. Man kann sich nicht
des Eindruckes erwehren, daß es hier wie dort an grundsätzlichen
Untersuchungen und Feststellungen fehlt. Die conclusion
bringt das Ergebnis der Studie in einige Thesen. Sie konstatieren
bei Damiani eine gewisse Nichtbeachtung der Realitäten,
eine Entwertung des Profanen, eine Negation der Eigenständigkeit
der Natur, eine Umprägung der Anthropologie, eine
Verständnislosigkeit für die Situation des Laien, eine starke
Abscheu vor der Geschlechtlichkeit, eine Verwischung des
Schöpfungssinnes, ein Dualismus des Denkens und ein gewaltsamer
Versuch zur Synthese.

Als Erkenntnisquelle dienen Bultot die zahlreichen Werke
Damianis, vor allem dessen Briefe und dessen Abhandlung „de
contemptu saeculi". Für die meisten Aussagen konnte auf
mehrere Belege verwiesen oder diese auch im Wortlaut wiedergegeben
werden. Bultot zitiert gewöhnlich nach der Edition der
Opera Damianis in der „Patrologia latina" von Migne. Für die
Vita Romualdi hätte wohl die Edition von Tabacco in den
Fonti per la storia d'Italia verwendet werden müssen. Auch vermißt
man ein Eingehen auf die Studien Reindels zur geplanten
Edition der Briefe Damianis in den Monumenta Germaniae
historica.

Entschieden als Mangel der Arbeit, der wohl nicht nur dem
Kirchenhistoriker auffallen dürfte, wird man aber das Nicht-
eingehen auf die geschichtliche Situation bezeichnen müssen.
Zumeist wird weder der Versuch gemacht, Veranlassung und
Entstehungszeit der einzelnen Werke Damianis festzustellen,
obzwar es darüber schon Untersuchungen gibt, noch die einzelnen
Aussagen aus der konkreten Lage und in ihrer Zeitbedingtheit
zu verstehen. Darauf wäre es aber gerade bei einer
so zwiespältigen Persönlichkeit, wie es Damiani ist, angekommen
und dadurch wäre die Studie Bultots, deren Verdienst
entschieden auf ideengeschichtlichem Gebiet liegt, auch zu
einem wertvollen Beitrag zur Biographie dieses Mannes und zur
Geschichte seiner Zeit geworden.

Wien Harald Z im m e r m a n n

D u r o u x, Benoit, O. P.: La psychologie de la foi chez Saint Thomas
d'Aquin. Tournai: Desclee [1963], VI, 238 S. 8°. Kart. bfr. 130.—.

Der Verf. legt hier seine in den Jahren 1954—56 als Aufsatzreihe
in der „Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie
" auszugsweise veröffentlichte Dissertation ungekürzt in
Buchform vor. Er entfaltet die Reflexionen einer scholastischen
Glaubenspsychologie, die sich nicht als Phänomenbeschreibung
versteht, sondern den Glaubensvollzug in Funktion
seiner Prinzipien betrachtet im Licht einer mit philosophischen
Interpretamenten arbeitenden theologischen Anthropologie. Demgemäß
gliedert der Verf. den Stoff sachentsprechend auf nach den
für diese Betrachtungsweise zentralen Begriffen: Objekt des
Glaubens (I.Teil, 9-57), A k t des Glaubens (II. Teil, 59-214),
Habitus des Glaubens (III. Teil, 215—232). Der Themenstellung
gemäß liegt der Akzent auf den Problemen des IL Teiles.

Objekt des Glaubens ist nach Thomas Gott als Urwahrheit

(„veritas prima"), d. h. Gott, sofern er sich selbst in Freiheit dem
Menschen erschließt (11—29), und zwar in einem Sprechen, einem
von Menschen durch die Predigt überbrachten Zeugnis („testimonium
Dei loquentis"), das durch 6ich selbst von sich selbst den Glaubenden
überzeugt, also sowohl die Anwesenheitsgestalt der göttlichen Wahrheit
als auch der Grund des Hangens an ihr ist (31—37). Weil Gott
allein sich selbst durdischaut, ist der Glaube, der ihn zum „Objekt"
hat, sowohl „über-natürlich" als auch reines Gnadengeschenk. Weil
diese Erkenntnis Gottes gleichwohl die tiefsten Aspirationen des geschaffenen
Geistes erfüllt, ist das Objekt des Glaubens nicht nur Wahrheit
, sondern zugleich Ziel-Gut (39—46). — Der Akt des Glaubens
wird seiner psychologischen Struktur nach von Thomas bestimmt und
beschrieben anhand der augustini6chen Formel „cum assensione cogi-
tare", die den Erkenntnischarakter des Glaubens ebenso wie das
Willensmoment i n diesem besonderen Erkenntnisvollzug zusammenzusehen
gestattet (61—88). Die Bezugsetzung zwischen Akt und Objekt
muß das Verhältnis von „auditus fidei" und dem inneren Glaubensgrund
klären (89—98). Das führt bei Thomas zu einer genetischen und
einer theologischen Analyse des Glaubensaktes. Die genetische Analyse
sichert, daß der innere Glaubensgrund, der den Glaubensassens trägt,
nicht die grundsätzlich für die natürliche Vernunft mögliche, wenngleich
vielfältig eingeschränkte Erkenntnis der Glaubwürdigkeitszeichen
ist, sondern der allem vorausgehende göttliche „Instinkt", d. h.
die dem Menschen von Gott geschenkte aktive Tendenz nach seinem
die Naturkraft übersteigenden Endziel, das nur auf dem Weg des
Glaubens zu erreichen ist (98—151). Die theologische Analyse sichert,
daß Zustimmung zum Sprechen Gottes und solche zum Gesprochenen
selbst in einem einfachen Akt zusammenfallen, dergestalt freilich, daß
bei aller möglichen Evidenz der Tatsache des göttlichen Sprechens
das Gesprochene selbst inevident bleibt. Der Glaube ist daher eine
wirkliche, aber unvollkommene, zur Vollendungsgestalt der Schau hin
erzieherische Teilhabe an der göttlichen Selbsterkenntnis (151—198).
Die Zustimmung zum göttlichen Zeugnis um seiner selbst willen, die
solche Teilhabe begründet, leistet der Intellekt unter dem Antrieb der
Liebe oder — im Falle der „fides informis" — wenigstens getrieben
von der Sehnsucht nach Gott als Ziel (198—214). — Der „Habitus"
des Glaubens ist die bleibende Disposition des spekulativen Intellektes
, kraft deren dieser fähig und geneigt ist, dem Zeugnis Gottes seine
Zustimmung zu geben (217—221). Er gibt dem Gläubigen die Fähigkeit
zum sicheren Urteil „per connaturalitatem" über richtige und
falsche Lehre (223—232).

Die Arbeit bietet einen soliden Durchblick durch die komplexe
Materie. Dabei ist sie trotz der unvermeidlichen Fachterminologie
nicht nur präzis, sondern auch flüssig und angenehm
geschrieben. Die Textbelege sind zahlreich und im ganzen überzeugend
. Mehrfache Zusammenfassungen (133; 145 f.; 151; 152
—154; 213 f.) erleichtern den Überblick. Besonders begrüßenswert
sind die instruktiven Vergleiche mit der Theologie vor und um
Thomas (3-6; 47-57; 69-72; 146-151; 165-169; 208 f.); sie
geben einen Einblick in die damals aktuelle Problemspannung, in
deren Zusammenhang die vielfach für den heutigen Leser zunächst
konsternierenden Fragen allererst verständlich werden.

Unmittelbare Kritik an Darstellung und Ergebnis braucht
daher nur wenig angemeldet zu werden. So etwa wäre bei der
Textauswertung stellenweise zu wünschen, daß die Frage nach
möglichem Lehrwandel zwischen Früh- und Spätwerk sich etwas
deutlicher bemerkbar machte — ist doch im Umkreis der Gnadenlehre
mit solchem Lehrwandel stets zu rechnen. Das betrifft etwa
S. 76 f., wo zur Interpretation von De veritate 14, 1 (vgl. S. 66)
in sehr selbstverständlicher Weise Stellen z. B. aus der Summa
theologiae herangezogen werden; ähnliches gilt für S. 100 ff.
(Lehre vom „Instinkt"); 108 ff. (Lehre von den „signa") u. a.
Damit hängt ein anderer Vorbehalt zusammen: So erfreulich die
reichliche Auswertung gerade auch der Schriftkommentare des
Aquinaten ist, bei ihrer von den systematischen Werken nach
Sprache und Denkbewegung gänzlich verschiedenen literarischen
Art sollte es nicht ohne Reflexion abgehen, wenn zuweilen entscheidende
Gesichtspunkte nur aus den Schriftkommentaren belegt
werden können. Zu dem Abschnitt über den „instinetus inferior
" (100—108) wäre heute die Arbeit von M. S e c k I e r zu
konsultieren, Instinkt und Glaubenswille, Mainz 1961. Walafrid
Strabo dürfte nach dem heutigen Forschungsstand wohl nicht
mehr als Verfasser der „Glosse" angesehen werden (S. 89,
Anm. l).

Aus etwas größerem Abstand betrachtet, läßt das Buch die
eine und andere Frage vermissen, die aus den Perspektiven heutiger
Theologie an Thomas gestellt werden müßten — und auf