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Ausgabe:

1965

Spalte:

365-366

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Bonnefoy, Jean-François

Titel/Untertitel:

Le ven. Jean Duns Scot, docteur de l'immaculée-conception 1965

Rezensent:

Pannenberg, Wolfhart

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365

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 5

366

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

B o n n e f o y, R. P. Jean-Francois, O. F. M.: Le Ven. Jean Duns Scot,

Docteur de I'immaculee-conception, son milieu, sa doctrine, son
influence. Rom: Casa Editrice Herder 1960. VIII, 564 S. gr. 8°. Lire
3 800.— ; DM 30.40.

Das nachgelassene Werk des französischen Franziskaners
will die neuerdings von verschiedenen Seiten (u. a. von dem
führenden Mariologen P. Roschini) bestrittene Bedeutung seines
Ordenslehrers Duns Scotus als Begründer oder Neubegründer
der Theorie der unbefleckten Empfängnis Mariens durch
eine umfassende historische Untersuchung klären. Der erste Teil
des Buches (9—118) behandelt die Stellungnahmen der Theologen
des 13. Jh.s seit der Einrichtung von ständigen Lehrstühlen
der Bettelorden in Paris (1231). Interessant ist der Nachweis,
daß nicht nur Thomas von Aquin (54 ff.), sondern fast alle bedeutenden
Theologen des 13. Jh.s, wie Alexander von Haies
(23 ff.), Bonaventura (29 ff.), Albert der Große (53 ff.), wegen
der Universalität der durch Jesus Christus vollbrachten Erlösung
(113 f.) den Gedanken einer ursprünglichen Immunität Mariens
gegen die Erbsünde ablehnten. Albert der Große hat eine solche
Annahme sogar als häretisch verworfen (9). Wo liegt der Ursprung
dieser Einstellung? Das Fest der immacaluta conceptio ist
erst 1060 in Worcester entstanden und hat anfängliche Anfeindungen
wohl nur dadurch überstanden, daß zwei Benediktinertheologen
sein Recht theologisch verteidigten. Einer von ihnen
war Eadmer, der Sekretär Anselms von Ganterbury, der einen
unter Anselms Namen überlieferten Traktat über die Frage
schrieb. Auch Anselm selbst hat es in De conceptu virginali 18
(PL 158,451) als schicklich bezeichnet, Maria den nächst Gott
selbst höchstmöglichen Grad der Reinheit zuzuschreiben, wie
auch Augustin einmal bemerkt hat, daß er von Sünden in bezug
auf Maria nichts wissen wolle (PL 44, 267). Über eine sündlose
Empfängnis war damit jedoch nicht unmittelbar etwas gesagt,
und derartigen Annahmen ist Bernhard von Clairvaux 1138
durch einen Brief entgegengetreten (ep. 174, PL 182, 335 f.),
als das Fest sich auf den Kontinent ausbreitete (12). Seinem
Einfluß ist es großenteils zuzuschreiben, daß die Theologie der
Folgezeit, besonders der Lombarde und seine Kommentatoren,
so gut wie einmütig davon sprach, daß Maria in Sünde empfangen
, allenfalls nachträglich, wenn auch schon vor ihrer Geburt
geheiligt worden sei (sanctificata in utero). Nur wenige Theologen
wie Reim. Lullus (98 ff.) und Wilhelm von Ware (195 ff.)
haben im 13.Jhdt. eine Reinigung Maria6 im Moment der Empfängnis
selbst vertreten. Diese Position bezeichnet B. als ,,semi-
maculisme", weil das Argument, daß die Empfängnis hier wie
sonst die Sünde übertragen habe, dabei anerkannt bleibt. Heinrich
von Gent (92 ff.), dem Roschini die Lehre der immaculata
conceptio zugeschrieben hat, vertrat nach B. nicht einmal diesen
,,semi-maculisme", sondern eine Variation der allgemeinen Auffassung
, nur daß er die Zeit der Sündhaftigkeit Marias auf
einen einzigen Moment beschränkte, der zugleich der ihrer
Heiligung war. Der zweite Teil (121—181) zeigt, daß erst Duns
Scotus ausdrücklich die Bewahrung (praeservatio) Marias von
der Erbsünde im Unterschied zu einer nachträglichen Reinigung
oder Befreiung von ihr gelehrt hat (146 ff.). Eine Lehrentwicklung
in dieser Frage kann B. bei Duns nicht feststellen, noch
auch einen literarischen Einfluß seines Lehrers Wilhelm
von Ware (199 vgl. 447 ff.) oder umgekehrt einen Einfluß von
Duns auf die zweite Redaktion von Wilhelms Sentenzenkommentar
(205). Diese Ergebnisse der gesonderten Untersuchung
der Oxforder und Pariser Äußerungen des Duns Scotus
zur Frage (bei denen B. die kritische Edition der betreffenden
Quaestionen durch Balid 1954 zugrundelegen konnte), wirken
überzeugend. Interessant ist auch der Hinweis, daß Duns möglicherweise
wegen seiner exponierten Stellungnahme zur Frage
der unbefleckten Empfängnis 1307 von Paris nach Köln gehen
mußte. Jedenfalls hat ein oder zwei Jahre nach seinem Tode
(1308) Jean de Pouilly bei der Polemik gegen die Pariser Vorlesungen
des Duns Scotus zu dieser Frage bemerkt, man müsse
gegen die von Duns vertretene, schon früher von Albert dem
Großen als häretisch bezeichnete Auffassung nicht mit bloßen

Argumenten, sondern mit andern Mitteln vorgehen, und man
mochte befürchten, daß Philipp der Schöne von Frankreich, dem
Duns die Gefolgschaft gegen Bonifaz VIII. versagt hatte, die
Gelegenheit zu einem Ketzerprozeß gegen den Franziskanerlehrer
ergreifen könnte (124 f.).

Die Darstellung Wilhelms von Ware und des von ihm 60-
wie von Duns ausgegangenen Einflusses und der Widerstände
dagegen bildet das Thema des dritten Teils (185—384). Hier
kommen eine Fülle von Theologen des beginnenden 14. Jh.s zu
Wort. Ein vierter Teil (387—537) beginnt mit einem Rückblick
auf die immaculi6tischen Stellungnahmen im 12. Jh. seit Eadmer,
um anschließend die nach der gegenläufigen Entwicklung des
13. Jh.s mit R. Lullus, Wilhelm von Ware und Duns Scotus eintretende
Wendung als „Rückkehr zur Tradition" (443 ff.) zu
kennzeichnen.

Mainz Wolfhart Pa n n e d barg

Bultot, Robert: Christianismc et valeurs humaines. A.: La doctrine
du mepris du monde, en Occident, de S. Ambroise ä Innocent III.
Tome IV: Le XI° siede. Vol. I: Pierre Damien. Louvain —
Paris: Nauwelaerts 1963. 143 S. 8°. bfr. 100.—.

Der zur Besprechung vorliegende Band ist ein Teil der
1960 approbierten philosophischen Doktorarbeit des Verfassers,
welche die Stellungnahme der Christenheit zur Welt im Mittelalter
zum Gegenstand hat, ein Thema, dem immer wieder
aktuelle Bedeutung zugsprochen werden muß. Außer Petrus
Damiani wurden die Gedanken der Kirchenväter Ambrosius
von Mailand, Augustin und Hieronymus, des Ierinischen
Mönchskreises, des Erzbischofs Leander von Sevilla und des
Papstes Gregor des Großen, der Mönchsväter Columban und
Odo von Cluny, des Reichenauer Schriftstellers Hermann Con-
tractus, des Erzbischofs Anselm von Canterbury, des Dichters
Roger von Caen, Bernhards von Cluny und Bernhards von
Clairvaux, der Viktorianer, Papst Innozenz III. sowie der englischen
, deutschen und französischen Literatur des Mittelalters
untersucht und sollen, wie man aus dem Publikationsprogramm
erfährt, in sechs Bänden dargestellt werden. Angekündigt wird
weiter eine zweite Untersuchungsreihe unter dem Titel: Le
theme de la dignite de l'homme au moyen äge et ä la re-
naissance. Über Columban und Hermann von Reichenau hat
der Verfasser bereits kleinere Abhandlungen in wissenschaftlichen
Zeitschriften veröffentlicht.

Die Themenwahl und das weitgespannte Programm der
Forschungen Bultots sind durchaus geeignet, die Aufmerksamkeit
der Theologen, Philosophen und Historiker zu erregen,
und man greift mit gespannten Erwartungen zu dem ersterschienenen
Band der beiden Publikationsreihen, der gerade
einer so interessanten Persönlichkeit, wie Petrus Damiani gewidmet
ist, der vom Lehrer der Artes in Ravenna zum Kirchenreformer
, und vom Einsiedler in Fönte Avellana zum Kardinal
wurde. Gerade in den letzten Jahren wurde diesem Manne,
seinem Wirken und seinen Ideen in nicht wenigen Abhandlungen
, wohl kaum ganz zufällig, allseits Beachtung geschenkt,
spricht doch der in einer von Wandlungen Stärkstens gekennzeichneten
Geschichtsepoche lebende Petrus Damiani in vielem
auch unsere suchende Zeit an. Bultot setzt sich mit dieser
Literatur, sofern sie sein Thema tangiert, im Anmerkungsapparat
seiner Studie kritisch auseinander. Das Wissen um die
Lebenswege Damianis setzt er bei seinen Lesern voraus.

Das Vorwort ist eine Einführung in die Problematik des
Gesamtthemas, deren Notwendigkeit sich durch das Erscheinen
des Damiani-Bandes als erster der ganzen Reihe ergab, sowie
eine Rechtfertigung der Themenwahl, wobei der Autor gegen
ein seines Erachtens verbreitetes Desinteressement der Historiker
und gegen die angeblich unkritische Haltung der Theologen
Stellung nimmt. In den zehn folgenden Kapiteln werden
sodann die einschlägigen Äußerungen Damianis systematisch
zusammengestellt und gewertet. Das erwächst aus gründlichen
Untersuchungen von Wortbedeutungen im Sprachgebrauch
Damianis und rundet sich zum theologischen Gedankenbild.
Man wird mit Damianis Ansichten über Leib und Fleisch (le
corps et la chair), über Ehe und Sexualität (le mariage et la