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Ausgabe:

1965

Spalte:

294-295

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Steck, Karl Gerhard

Titel/Untertitel:

Das römische Lehramt und die Heilige Schrift 1965

Rezensent:

Quervain, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4

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wäre allerdings von einer Forschungsrichtung zu berichten gewesen
, die eher mit der erwähnten Grundtendenz einer socio-
logie religieuse im Unterschied zu einer sociologie de religion
in Zusammenhang stünde.

Auf den ersten Blick könnte es Verwunderung erregen, mit
welchem Nachdruck von den Verfassern als katholischen Christen
die Forderung nach einer auf empirischer Forschung begründeten
Religionssoziologie erhoben wird. Man kann sogar sagen, daß
diese Forderung grundlegend für ihre methodische Konzeption
ist. Diese Verwunderung kann sich jedoch sehr bald legen, wenn
bedacht wird, daß eine empirische Wissenschaft ohne weltanschaulich
bestimmte Vorentscheidung sich leicht in das Schema
eines auf das Naturrecht begründeten Denkens einordnen läßt.
Begrüßenswert ist es, daß diese methodischen Erörterungen sich
in einem engumgrenzten, maßvollen Rahmen halten. Damit ist
der Gefahr einer leicht ins Uferlose ausartenden Methodendiskussion
gesteuert worden. Nicht zuletzt in dieser Tatsache
liegt der pädagogische Wert des Werkes.

Wenn man den forschungsgeschichtlichen Ort bezeichnen
will, auf den die methodischen Erörterungen, aber auch die in
einem 2. Teil durchgeführten Analysen konkreter religionssoziologischer
Gegenstände hinweisen, so deutet alles auf die
Linie amerikanischer empirischer Soziologie, wie sie auch in
Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg ihren Einzug hielt und die
wohl immer noch das Feld beherrscht. Eine bezeichnende und
begrüßenswerte Einschränkung ist dabei allerdings zu machen.
Von einer lediglich pragmatischen Forschungshaltung, die so oft
in eine Theorieblindheit ausartet, ist bei den beiden Autoren
Goddijn auf keinen Fall zu sprechen. Ebenso wie in der Erkenntnis
Kants: daß Anschauung ohne Begriff blind ist, kommt
es auch hier zu einem Wechselbezug von Erfahrung und Beobachtung
auf der einen, Theorie und Hypothese auf der anderen
Seite: „Um die Methode der Beobachtung und Beschreibung
wissenschaftlich fruchtbar zu machen, ist eine gezielte Forschung
nötig, das heißt, man muß von der Formulierung einer Theorie
oder Hypothese ausgehen, diese empirisch zu überprüfen suchen
und Hypothese und tatsächliche Gegebenheiten ständig einander
gegenüberstellen" (S. 89). Daß durch diese methodische Grundkonzeption
der fixierten Gegensätze von empirischer Tatsache
und Theorie noch keineswegs das letzte Wort zu dieser fundamentalen
Frage gesagt ist, dürfte auch im Sinne der beiden Verfasser
festzustellen sein.

Sie haben aber erreicht, daß sie — ohne im Gestrüpp der
Prinzipienfragen hängenzubleiben — sich sehr schnell ihrem
Ziel der konkreten Analyse und Erklärung der Strukturen und
Funktionen religiöser Gruppen und Gruppenerscheinungen und
ihrer Dynamik zuwenden können. Die Ausführungen darüber
bilden den Hauptteil des Buches. Vorher war in drei Abschnitten
über „Problemstellung und Standortbestimmung", „Entwicklungsbild
und Stand" sowie über die „Bilanz der Religionssoziologie
" berichtet worden. Im zweiten Hauptteil des Buches
werden nun in prägnanter Kürze spezielle Gegenstände religionssoziologischer
Forschung, wie Katholiken und Protestanten,
Kirchlichkeit und Unkirchlichkeit, Kirchgemeinde und Pfarrei
und ihre Organisation, Kirche und Propaganda usw. behandelt,
die durchaus von klaren Wertungen und Auswahlprinzipien bestimmt
sind. Die Ausführungen hierüber münden in der nicht
mehr ganz offenen Frage, „ob die Kirchgemeinde in ihrer historischen
Form wohl noch das Fundament ist, auf dem der Gedanke
einer christlichen Existenz in einer säkularisierten Gesellschaft
der Verwirklichung näher gebracht werden kann". Damit
ist in der Tat ein religionssoziologisches Kernproblem unserer
Tage umschrieben. Die Tatsache, daß auch katholische religionssoziologische
Forschung von der Anpassungsproblematik her zu
solchen Überlegungen kommt, sollte auch auf evangelischer Seite
das Bewußtsein dafür schärfen, daß die Uhr in dieser Frage
schon weit vorangeschritten ist. Daher sei den Verfassern ausdrücklich
zugestimmt, wenn sie mit dem Satz — der dann für
alle Gesellschaftsordnungen Geltung haben muß — schließen:
„Dann werden sie (die Religionssoziologen) auf die Dauer einen
wesentlichen Beitrag zur Anpassung der Kirchen in unserer Gesellschaft
leisten und auf wissenschaftlicher Basis die tiefgehenden
Strukturveränderungen vorbereiten helfen können,
die eine unentbehrliche Vorbedingung dieser Anpassung sind"
(S. 180).

Leipzig Hans Moritz

Lange, Rudolf: Die Pfarrei im Spannungsfeld der pluralistischen Gesellschaft
als soziologisches Strukturproblem (StZ Bd. 174, 89. Jg.
1963/64 S. 419—434).

v. Oppen, Dietrich: Gott, Mensch und die Gesellschaft der Gegenwart
(ÖR 13, 1964 S. 305—312).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Steck, Karl Gerhard: Das römische Lehramt und die Heilige Schrift.

München: Kaiser 1963. 52 S. gr. 8° = Theologische Existenz heute,
hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz. N.F.Nr. 107. DM 3.20.

Wer den Katholizismus der Gegenwart kennenlernen will,
muß zweierlei tun: Er muß die immer wieder überraschende
katholische Theologie der Gegenwart, den Reichtum dieser
Theologie zur Kenntnis nehmen, und er muß die lehramtlichen
Dokumente studieren. Es ist 6icher anregender und aufregender,
oft fruchtbarer für die Zusammenarbeit mit den einzelnen
katholischen Theologen und für unsere eigene Arbeit, mit der
katholischen Theologie sich zu befassen. Die katholischen
Arbeiten zeigen, daß die lehramtlichen Dokumente in einer
für den Evangelischen oft erstaunlichen Freiheit ausgelegt werden
. Aber es wäre falsch, das Studium der lehramtlichen Dokumente
zu vernachlässigen und nur auf das hinzuweisen, was den
evangelischen Theologen an der katholischen Theologie der
Gegenwart anspricht oder was ihm daran wichtig ist. Daran
erinnert uns K. G. Steck in seiner Arbeit über den Katholizismus
der Gegenwart, und wir sind ihm dankbar dafür.
Ihm geht es in dieser Arbeit um die Untersuchung dessen, was
an lehramtlichen Dokumenten im Enchiridion Biblicum enthalten
ist. Aber wir wissen aus seinen früheren Arbeiten und wir merken
es auch hier, daß er beachtet, was katholische Theologen
heute schreiben. In einem Augenblick, wo das Konzil das bindende
Wort über Heilige Schrift und Tradition sprechen will,
ist es wichtig zu hören, was das Lehramt über die Autorität und
über die Auslegung der Bibel in den letzten sechzig Jahren gelehrt
hat. Wer die Arbeit des Konzils verfolgt, sollte also an
der Arbeit von Steck nicht vorbeigehen.

Schon Leo XIII. wehrt den Einfluß der historisch-kritischen
Exegese auf die katholische Theologie ab. Steck zeigt am Beispiel
des jüngeren Loisy, daß der Modernismus, gerade der
eines Loisy, eine Bewegung innerhalb des Katholizismus
war. „Es darf auch aus der späteren Entwicklung des großen
Gelehrten nicht geschlossen werden, er sei eben von Anfang
an nicht christlich-katholisch gewesen. Vielleicht war er katholischer
als die Repräsentanten des Katholizismus, denen wir
die Bibelenzykliken zuzuschreiben haben" (15). Das weiß die
heutige katholische Theologie, wenn sie dem Modernismus neue
Beachtung schenkt. Steck zitiert den jungen Loisy: „Die Bibel
ist wahr, aber die Kirche ist unfehlbar..." (15). Freilich zeigt
Steck auch, daß die katholische Kirche, daß selbst das kirchliche
Lehramt stärker durch das biblische Zeugnis gebunden ist und
immer neu gestellt wird, als der Modernismus eines Loisy es
sah. Doch wird dies nur nebenbei bemerkt. Die neuere katholische
Exegese und ihre Bedeutung für die katholische Dogmatik
und Predigt will die Studie nicht aufzeigen, obschon ihr Verfasser
6ie kennt. Ihm liegt daran zu zeigen, daß bis heute das
biblische Zeugnis im kirchlichen Lehramt sich nicht entfalten
kann, weil es auch nach den scheinbar biblischeren Enzykliken
durch Tradition und Dogma, durch die Theologie der Kirchenväter
und durch die scholastische Methode gebunden ist. „Im
Grund ist das Charisma der infalliblen Kirche und ihres Lehramts
zuverlässiger als die erleuchtende Kraft der inspirierten
Bibel. Jedenfalls ist dies die Voraussetzung, daß die Sätze der
Bibel und die Entscheidungen des Lehramts einander unter gar
keinen Umständen widersprechen können" (39). Katholisches
und evangelisches Bibelverständnis werden folgendermaßen einander
gegenübergestellt: „In der römisch-katholischen Bibelauslegung
handelt es sich letztlich nur um ein Spiel, dessen