Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

283

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4

28-1

gemeinschaften wußten für die große Aufgabe, daß Gottes Wort
laufe. Sie erhoben den Anspruch, gerade in Übereinstimmung
mit der alten Kirche zu stehen. Calvins Herz schlägt für die
eine Herde des großen Hirten. Und es schlägt für den großen
Hirten, für die geheimnisvolle Vereinigung mit ihm, die unio
mystica, die Einwohnung Christi in unseren Herzen. Hier glüht
jene ehrfürchtige Leidenschaft der Hingabe an Christus, die in
Calvins Wappen zum Ausdruck kommt. Hier handelt Gott in
der Geschichte. Schröter stellt dem gegenüber die existentiale
Deutung der Schrift, die die Texte nur danach befragt, was sie
für unsere eigene Existenz bedeuten, gleichgültig, ob die in der
Schrift berichteten Dinge geschichtlich geschehen sind. Und er
führt dabei das Wort von H. Braun an: „Der Mensch als Mensch,
der Mensch in seiner Mitmenschlichkeit impliziert Gott."
Schröter kann dann fortfahren: „Fragt man da noch nach der
Bedeutung Calvins für die Theologie und Kirche heute? Müßte
man nicht vielmehr nach einer Theologie von der spezifisch calvinischen
Prägung geradezu rufen, wenn es sie nicht schon
gäbe!"

Gerade unsere heutige theologische Situation läßt dankbar
sein für dieses wertvolle Calvingedenken.

Bad Meinbcrs/Lippc Bruno Moritz

Z w i n g 1 i - Hauptsdirifterj, bearb. u. hrsg. v. F. Blanke, O. Farner (t),
O. Frei u. R. Pfister. Bd. 10: Zwingli der Theologe. 2. Teil: Kommentar
Huldrych Zwingiis über die wahre und falsche Religion, übers, u.
erläut. v. F. Blanke. Zürich: Zwingli-Verlag [l963]. VII, 303 S.
kl. 8°. Lw. efr./DM 15.-.

Der „Commentarius" vom März 1525 ist Zwingiis gewichtigste
lateinische Schrift und zweitgrößte überhaupt. In dreieinhalb
Monaten hat er sie, meist nächtens „schwitzend" — weshalb
er sie lieber „Nächte" nennen wollte —, auf Bitten evangeliumsgeneigter
Franzosen verfaßt. Die Zeiten hatten sich geändert
. Zwingiis alte Franzosenfeindschaft, die ihn 1516 das Glarner
Pfarramt gekostet, hatte der Hoffnung auf den humanistenfreundlichen
Franz I. und auf eine mögliche Bündnispolitik mit
Frankreich Platz gemacht. Zwingli hatte Freunde in Frankreich
gefunden, die nach Zürich kamen und ihn baten, ihr evangelisches
Anliegen durch eine grundsätzliche Schrift an die französischhumanistische
Adresse zu unterstützen, „d'encourager les refor-
mateurs allemands ä s'oecuper de la marche de l'Evangile dans
les pays francais". In 29 loci hat Zwingli sein ganzes Lehrsystem
, dogmatisch und ethisch, die wahre Religion des reformatorisch
gegründeten Glaubens gegen die bisher falsche Religion
der Tradition und der Vernunft kontrastierend, dargestellt, so
daß man hier den ganzen Zwingli kennenlernen kann. Der
Kommentar ist sein „reifstes und umfassendstes Werk". Er steht
zwischen den „67 Schlußreden" für das concilium „in der großen
radtstuben zu Züridi" 1523 und der „Fidei ratio", seiner
„Confessio Augustana" 15 30, die er 9 Tage nach dieser unaufgefordert
Karl V. überreichen ließ, und der „Expositio christianae
fidei" 1531, wieder an Franz I. gerichtet, seinem letzten Werk,
das erst 15 36, also zusammen mit Calvins „Institutio", im
Druck erschien.

Das Jahr 1525 gilt in der deutsch-schweizerischen Reforma-
tionsgeschichte als Höhe- und Schlußpunkt der Zwinglischen
„Kirchenbesserung". Die Trennung von Erasmus und Luther ist
erfolgt, das kirchliche und gottesdienstliche Leben erstellt. Der
Kampf mit den Täufern hat begonnen, die „amicae exegeses"
mit Luther stehen bevor. In diesem geistigen „Dreifrontenkrieg"
dokumentiert er noch einmal, und so schonungslos wie nie zuvor
, seine Stellung gegen Rom, die ihm dann den Tadel des so
lange von ihm verehrten Erasmus einträgt: „O bone Zuingli,
quid scribis, quod ipse prius non scripserim". Im „Commentarius"
findet sich auch der konkrete Ansatzpunkt für die Abendmahls-
differenz: mit Luther: in dem Geständnis der Abhängigkeit von
dem holländischen Juristen Cornelius Hoen, der das „est" als
„bedeutet" gedeutet hat.

Zwingli hat wie Luther keine „Institutio" geschrieben. Unter
seinen genannten vier systematischen Schriften bietet der
„Commentarius" die reformationsgeschichtliche Verbindung zu
Calvin. Blanke weist eingangs darauf hin, daß der erste Satz

der Calvinischen „Institutio" in dem kleinen Abschnitt des
Zwinglischen „Commentarius": ,Inter quos constet religio' enthalten
ist. Calvin hat also den Kommentar gekannt und benutzt.
Im Calvin-Jahr 1964 dürfte diese Nahtstelle der Zürcher und
Genfer Reformation von Interesse, vielleicht auch monographisch
anregend sein. Dies umsomehr, als Zwingli auch in der „Prote-
stantisierung" Frankreichs Calvins Vorläufer war, der seine
„Institutio" 1536 aus Basel ebenfalls Franz I. und im Endergebnis
ebenso erfolglos gewidmet hat. Der Orleans hatte kein
tief ergehendes Interesse; die angegriffenen Theologen der Sorbonne
indizierten das Werk; Frankreich blieb ein katholisches
Land.

Leo Jud, Zwingiis „Melanchthon", hat den Kommentar bereits
1526 übersetzt, allerdings in recht freier Weise. Auszugsweise
Übersetzungen haben Walther Köhler in der sog. Kirchenratsausgabe
(1918) und Edwin Künzli in seiner neuen „Auswahl"
(1962) geboten. In der nun vollendeten Edition der „Hauptschriften
" Band 9 u^jd 10 liegt eine vollendete Übertragung des
ganzen „Commentarius" vor, mit der Blanke, der vor mehr
als einem Menschenalter den Entliberalisierungsprozeß Zwingiis
begonnen hat, in 6inn- und wortgetreuer Wiedergabe den Zugang
zu Zwingiis „Zentralwerk", chronologisch und dogmatisch
gesehen, erleichtert hat.

Berlin Fritz Schmidt-C 1 anaing

Beck, Nestor: Lutero e o Estado (Igreja Luterana 25, 1964 S. 1—23).

Becker, Karl Josef: Das Denken Domingo de Skotos über Schrift
und Tradition vor und nach Tricnt. Ein theologiegeschichtlicher Beitrag
zum Verständnis des Trienter Dekretes (Schol. 39, 1964 S. 343

—373).

Brandenburg, Albert: Luthertheologie unter ökumenischem Aspekt
(Catholica 18, 1964 S. 220—226).

Fraenkel, Peter: Utraquism or Co-Existence: Somc Notes on the
Earliest Negotiations Before the Pacification of Nuernberg, 1531—32
(StTh 18, 1964 S. 119—158).

H a 11 e r, Horst: Gewissen — Ermahnung. Zwei Kategorien zur Bestimmung
der pädagogischen Verhaltensweise Martin Luthers in
seinen Schul Schriften von 1524, 1530 und im Großen Katechismus
(NZSTh 6, 1964 S. 214-242).

Kautzmann, Daltro: Lutero e Erasmo (Igreja Luterana 25, 1964
S. 23—38).

Kösters, Reinhard: Luthers These „gerecht und Sünder zugleich"
(Catholica 18, 1964 S. 193—217).

M o 1 n ä r, Amedeo: Das Erziehungswesen der Brüder (Communio
Viatorum 7, 1964 S. 161—171).

O e s c h, W. M.: Luther zur Heiligen Schrift, zu ihrer Inspiration und
zu ihrer Auslegung (Luth. Rundblick 12/1964 S. 58—79).

Rottmann, H.: Das Sola Scriptura-Prinzip bei Luther (Igreja Luterana
25, 1964 S. 39—51).

Szydzik, Stanis-Edmund: Mönchtum und Reformation (Catholica!?,
1964 S. 143—149).

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Lilienfeld, Fairy von: Nil Sorskij und seine Schriften. Die Krise
der Tradition im Rußland Ivans III. Berlin: Evangelische Vcrlags-
anstalt [1963]. 336 S. gr. 8" = Quellen u. Untersuchungen z. Konfessionskunde
d. Orthodoxie, hrsg. v. K. Onasch. Kart. MDN 28.—.
Diese Arbeit, die als Dissertation von der theolog. Fakultät
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1961 angenommen
wurde, ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis sowohl
des historischen Weges der russischen Kirche seit dem
16. Jh. als auch des Wesens der Orthodoxie, besonders der
russischen Frömmigkeit. Die geistesgeschichtlichen Momente
stellt die Verfasserin in einen knapp und klar umrissenen historischen
Rahmen.

Die Epoche Iwans III. bedeutet eine Zäsur nicht nur in
staatspolitischer, sondern auch kirchlicher Entwicklung. Rußland
wird mündig: der Moskowitische Zentralstaat kündigt der Goldenen
Horde die Tributzahlungen, die russische Kirche erlangt
ihre Autonomie. Diese Entwicklung aber wird von einer tiefen
Krise der byzantinischen Tradition begleitet. An diesem Wendepunkt
stehen Josif Wolozkij und Nil Sorskij, die für den weiteren
geistigen Weg Rußlands maßgebend sind.