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Ausgabe:

1965

Spalte:

281-283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Johannes Calvin 1509 - 1564 1965

Rezensent:

Moritz, Bruno

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4

282

Luther gestritten hat, nicht gerecht" wird (S. 9). Rez. vermag
aber dem Autor nicht beizupflichten, wenn er über die von ihm
wissenschaftlich durchaus mit Respekt genannten gelehrten
Luthermonographien urteilt, „sie wollen eben wissenschaftlich
sein und erwecken den Anschein einer ängstlichen Vorsicht, sich
auf die Gegenwart und damit auf Entscheidungen einzulassen"
(ebd.). Die Neubearbeitung der WA hat eine Anzahl von sehr
beachtlichen Luther-Monographien im Gefolge gehabt, die ein
sachgemäßes Verständnis Luthers sehr gefördert haben. Auch
bei dem Verzicht, darin die Brücke zur Gegenwart unmittelbar
zu schlagen, wird sich die Arbeit dieser Lutherphilologie und
Lutherexegese sicher auch für eine Vertiefung der Frage Luther
und die Gegenwart auswirken. Der Zusammenhang zwischen
Leben und Forschung braucht nicht immer vordergründig auf der
Hand zu liegen, jeder mag an seinem Platz dazu beitragen, daß
die Maßstäbe gelehrter Arbeit beachtet und die drängenden
Fragen des Lebens nicht vergessen werden.

Güttingen Hans-Walter Krumwir.dc

[Calvin, Johannes;J Johannes Calvin 1509—1564. Eine Gabe zu
seinem 400. Todestag. Hrsg. v. J. R o g g e. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt
[1963]. 159 S., 12 Taf. 8°. Pp. MDN 7.80.

Unter diesem Titel ist rechtzeitig zum 400. Todestag des
Reformators ein Gedenkbüchlein erschienen, auf das hinzuweisen
eine angenehme Aufgabe ist. W. Niesei sagt einmal: „Was weiß
man schon bis weit in die Kreise der Gebildeten hinein von
Calvin? Daß er die Vorherbestimmung gelehrt und Servet verbrannt
hat? Das ist in der Regel alles, und es ist auch noch
falsch!" Vielleicht könnte dieses Buch diesen Tatbestand ändern!

Als Herausgeber zeichnet Joachim Rogge, der selber ein
Brevier von ca. 50 Seiten beigesteuert hat aus Schriften und
Briefen des Reformators und Zeugnissen seiner Zeitgenossen.
Linter treffenden Überschriften, die häufig die Beziehung zu
unsern heutigen theologischen und kirchlichen Fragen herstellen,
wird in ca. 100 Auszügen eine wahre Fundgrube reformatorischer
Erkenntnisse dargeboten und, wie es der Herausgeber in seinem
Vorwort sagt, „dazu gelockt, tiefer in das Lebenswerk dieses
einzigartigen Mannes einzudringen". Eingeteilt ist das Brevier
in die 5 Abteilungen: „Der reformatorische Theologe", „Der
Erneuerer der Kirche", „Der Ausleger und Prediger Heiliger
Schrift", „Calvin und die anderen Reformatoren" und „Calvin
als Mensch".

Linter der Überschrift „Calvinus oecumenicus, Weg und
Werk des Reformators" gibt Günter Gloede, der Verfasser der
193 8 im Brunnen-Verlag erschienenen kleinen Calvin-Biographie
„Zucht und Weite" einen kurzen Abriß des Lebens und Wirkens
Calvins. Er zeigt den Reformator als den Mann, „der die Fackel
der Reformation für einen bedeutenden Teil Europas aufgenommen
hat, als sie dem sterbenden Luther und seinen Nachfolgern
in Deutschland aus der Hand gesunken war". Der Gestalt-
werdung der Kirche legt Calvin ungleich mehr Gewicht bei als
Luther, und zwar aus der Glaubensmitte heraus, Gloede prägt
dafür den Ausdruck „Christus-Universalismus". Er zeige sich
auch in Calvins Abendmahlslehre. Gloede schreibt: „Der Züricher
Reformator wollte ein Gedächtnismahl feiern und keine reale
Gegenwart Christi im heiligen Mahl annehmen, an der aber —
einem Calvin nicht anders als einem Luther — alles gelegen ist. . .
Die Lutheraner sollten daher ihre alten Vorstellungen aufgeben,
daß die Reformierten ein Erinnerungsmahl im Sinne Zwingiis
feiern. Das ist schon seit Calvins Tagen nicht mehr wahr." Wird
nicht noch vielfach im luth. Konfirmandenunterricht diese falsche
reformierte Abendmahlslehre den Kindern beigebracht? Unter
dem Thema: „Die Theologie Calvins" versucht Werner Krusche
die spezifische Eigenart der Theologie Calvins herauszustellen.
Worin liegt sie? In der Betonung der Ehre und Souveränität
Gottes? In der Lehre von der Prädestination? Oder von der
Heiligung? Oder ist das Entscheidende, daß er einfach Schrifttheologe
gewesen ist? Krusche macht den Versuch, zwei Calvins
Theologie durchziehende und bestimmende Momente wie zwei
Brennpukte einer Ellipse herauszustellen: Gottes Freiheit und
des Menschen Gewißheit. Gottes Freiheit, die Freiheit uns zu gut
ist, verhindert nicht, sondern ermöglicht erst des Menschen Gewißheit
und Geborgenheit. „Wenn es mit allen Mitteln aus ist,
so wollen wir uns ihm anvertrauen, der alles kann, ihm und
seiner einzigartigen Kraft, die immer in Gang ist, wenngleich
kein einziges Mittel vorhanden ist." Calvin betont leidenschaftlich
die Zusammengehörigkeit von Gottes Wort und Geist.
„Auch der heutige Prediger braucht nicht zu resignieren, wenn
das von ihm verkündete Gotteswort nicht sofort Frucht bringt,
er darf auf das gewisseste damit rechnen, daß Gottes Geist das
von ihm gepredigte Wort in die Herzen eindringen lassen wird —
wann es ihm gefällt." Ebenso können wir unserer Erwählung
nur gewiß werden durch den Blick auf Christus, den „Spiegel
unserer Erwählung". Der Blick auf Ihn, inj dem wir erwählt
sind, macht uns unseres Heils gewiß. Und der Erwählte erhält
die Gabe der Beharrung. Sie ist aber nicht irgendwie menschliche
Standhaftigkeit, sondern Gottes Beständigkeit. Wie stark Calvin
in dieser Gewißheit lebte, zeigen die Worte aus seinem Testament
: „Ich erkläre, in diesem Glauben, den mir Gott gegeben
hat, leben und sterben zu wollen, indem ich keine andere Hoffnung
und Zuflucht habe als zu seiner Gnadenwahl, in der mein
ganzes Heil gegründet ist."

In einem Calvinbuch kann auch die Auseinandersetzung mit
den Gegnern und Verfälschern! des Bildes Calvins nicht fehlen.
Unter der Überschrift „Der verkannte Calvin" ist Heinz Langhoff
dieser Frage nachgegangen. Er sagt dazu, „man müsse heute mit
Bedauern feststellen, daß sich durch diese geschickte und eingängige
Arbeit (gemeint ist besonders Kampfschulte) mehr als
eine Generation von katholischen wie evangelischen Pfarrern
und Religionslehrern aufs Ganze gesehen vom Studium der
Quellen abhalten und am wirklichen Calvin vorbeiführen ließ".
Es darf nicht übersehen werden, daß Calvin in dem kirchlichen
Handeln nicht völlig frei war und daß die Kirche in Genf weitgehend
der staatlichen Obrigkeit Untertan war. Das gilt weithin
auch für den Fall Servet. Calvin erbat für den Verurteilten statt
des „unehrlichen" Feuertodes die „ehrliche" Enthauptung, wurde
aber vom Rat abgewiesen. Wenn wir auch das Urteil von Stefan
Zweig in seinem Buch „Ein Gewissen gegen die Gewalt" S. 164:
„Calvin entehrt die Reformation bereits im zweiten Jahrzehnt
seiner Herrschaft durch diesen erbärmlichsten Akt seiner geistigen
Tyrannei" als völlig abwegig und den Unterschied der Zeiten
mißachtend verurteilen müssen, so werden wir es doch als ein
Zeichen evangelischen Gewissensernstes ansehen, wenn vor
60 Jahren „ehrerbietige und dankbare Söhne Calvins" an der
Hinrichtungsstätte ein Sühnedenkmal errichteten. Langhoff
schließt seine Arbeit mit den Sätzen: „Calvin war kein Legenden
-Heiliger, er paßt überhaupt in keine Schablone... Er
war ein bevollmächtigter Ausleger und Prediger des Wortes
Gottes. Gerade als solcher hat er manchen Anstoß erregt, aber
es handelt sich dabei in zahllosen Fällen eben um das Ärgernis,
das das Wort Gottes selber hervorruft. Es ist den vielfältig angefochtenen
Kirchen der Gegenwart dringend nötig, die unechten
Anstöße an der Persönlichkeit Calvins fortzuräumen, damit der
große Lehrer und Zeuge uns ungehindert in den Machtbereich
des göttlichen Wortes ziehen kann."

Um die angefochtenen Kirchen der Gegenwart und Calvin
als Helfer geht es besonders in den Ausführungen von Fritz
Schröter: „Calvins Bedeutung für Kirche und Theologie der
Gegenwart". Calvins Denken ist immer verbindliches Denken, so
daß es heißt: Rechtfertigung und Heiligung, Glaube und Gehorsam
, Kirche für die Welt. Reformation ist für Calvin Gestaltung
der Kirche im Gehorsam gegen das Wort Gottes. Darum
stellt er eine Kirchenordnung auf aus der Mitte des Gottesdienstes
. Der im Abendmahl gegenwärtige Herr darf nicht durch
Lästerer vnd Frevler geschmäht werden. Die Gemeinde muß über
seine Ehre wachen. Durch Christus als den Träger der Herrschergewalt
Gottes regiert Gott selbst die Kirche, und dies ist zugleich
nach Eph. 1, 22 das Weltregiment. So entsteht in Genf die nach
dem Willen ihres Herrn ausgerichtete Kirche, die nach Gottes
Wort in ihrer Gestalt reformierte Gemeinde. Hier liegt die geschichtliche
Bedeutung Calvins, daß er, wie Karl Holl einmal
sagt, die Reformation „vor dem Versanden gerettet" hat. Als
die Gegenreformation zum entscheidenden Schlag ausholte, kam
der Widerstand von den freien Gemeinden, die sich als Dienst-