Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

265-268

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nötscher, Friedrich

Titel/Untertitel:

Vom Alten zum Neuen Testament 1965

Rezensent:

Reventlow, Henning

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

265

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4

266

Nötschcr, Friedrich: Vom Alten zum Neuen Testament. Gesammelte
Aufsätze. Bonn: Hanstein 1962. VII, 2 50 S. gr. 8° = Bonner
Biblische Beiträge, hrsg. v. F. Nötscher u. K. Th. Schäfer, 17.
DM 32.-.

Der vorliegende Band stellt eine Sammlung eigener Aufsätze
dar, die der bekannte Verfasser, Ordinarius für Altes
Testament an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität
Bonn, in der von ihm selbst mit herausgegebenen Reihe
der Bonner Biblischen Beiträge veröffentlicht hat. Von der üblichen
Form der Aufsatzsammlung, wie sie in jüngster Zeit
mehr und mehr modern geworden ist — man kann eine immer
größer werdende Beliebtheit dieser Art der Wiederveröffentlichung
bereits erschienener Arbeiten feststellen — unterscheidet
sich diese Sammlung vor allem dadurch, daß fast alle hier zusammengefaßten
Beiträge in den allerletzten Jahren erschienen
sind: der älteste stammt aus dem Jahre 1949, der jüngste sogar
aus dem Jahre 1961, war also im Zeitpunkt der Drucklegung
noch so gut wie neu. Den eigentlichen Anstoß zur Veröffentlichung
haben nach dem Vorwort dem Verfasser die wiederholten
Ansuchen um Sonderdrucke dieser Aufsätze, die nicht
mehr vorhanden waren, gegeben, darüber hinaus aber wohl
auch der Wunsch, diese an verschiedenen Orten zerstreuten
thematisch benachbarten Arbeiten in einem einzigen Bande
zusammenzufassen.

Der Titel dieses Bandes: Vom Alten zum Neuen Testament
, führt allerdings insofern etwas in die Irre, als von den
hier vereinigten Aufsätzen sich eigentlich nur zwei: der erste
und der letzte, ihrem Schwerpunkt nach mit alttestamentlichen
Fragen befassen, zwei weitere kurze Beiträge (der elfte und der
zwölfte) ausschließlich mit dem Neuen Testament, während der
zehnte Altes und Neues Testament zusammen betrachtet. Aber
diese durchweg knappen Skizzen stehen mehr am Rande. Das
eigentliche Thema des Bandes, mit dem sich die umfangreichsten
Arbeiten beschäftigen, bilden die Schriften von Qumran. Für
dieses Thema darf der Verfasser mit Recht unsere Aufmerksamkeit
erwarten, da er im Räume der katholischen Forschung zu
den prominentesten Kennern der Qumran-Literatur gehört
(vgl. bes. die in der gleichen Reihe als Band 10 erschienene
Monographie des Verfassers: Zur theologischen Terminologie
der Qumran-Texte, 1956). Der Band enthält folgende Aufsätze
: 1. Schicksal und Freiheit (Studia Biblica et Orientalia,
vol. I: Vetus Testamentum, 312—328. Rom 1959 = Biblica
40, 446—462), S. 1—16. Hier wird das allgemeine religiöse Problem
der Antinomie zwischen Schicksal und Freiheit an Hand
der jüdischen Lehrmeinungen im Zeitalter Christi (wie sie von
Josephus dargestellt werden) und vor allem der alttestamentlichen
Anschauungen über diesen Punkt aufgerollt. Das Ergebnis
eines umfassenden Rundganges durch das Alte Testament
zeigt, daß von einer absoluten Schicksalsbestimmtheit des
menschlichen Lebens im Alten Testament nicht die Rede sein
kann, sondern nur von einer Vorsehung, einem Vorherwissen
Gottes, neben dem die menschliche Freiheit aber bestehen bleibt.
Auch im Buche Kohelet, das in gewissem Sinne eine Ausnahme
darstellt, findet sidi nichts von einem Schicksal, das neben Gott
wirksam sein könnte, wohl aber von einer Vorherbestimmung
Gottes, der sidi zu fügen klug ist. Der 2. Aufsatz: Schicksalsglaube
in Qumran und Umwelt (BZ 3, 1959, S. 205-234; 4, 1960.
S. 98—121), S. 17—71, der umfangreichste der Sammlung, schließt
sich thematisch eng an den ersten an und steht auch in engem
zeitlichem Zusammenhang mit ihm. Hier bilden die Anschauungen
, die sich aus den Schriften von Qumran über freien Willen
des Menschen, über Wahlfreiheit, Erwählung, Verwerfung
und Bekehrung, Ehre Gottes, Weg des Menschen, Vorauswissen
, Lohn und Strafe entwickeln lassen, zusammen mit dem
bekannten Dualismus zwischen Licht und Finsternis, Gut und
Böse, den eigentlichen Mittelpunkt der Betrachtung, wobei sich
wieder keine eindeutige systematische Lösung des Mit- und
Gegeneinander von göttlicher Vorherbestimmung (Erwählung und
Verwerfung) und menschlicher Freiheit ergibt. Diese findet sich
nur auf praktisch-aszetischem Wege, indem man sich um die
Übereinstimmung des menschlichen Wollens mit der göttlichen
Prädestination bemüht. Dieses in den Qumran-Schriften gewonnene
Bild wird noch in einen breiten Rahmen gestellt, indem
der Schicksalsglaube in der Umwelt des Alten Testaments:
Babylonien-Assyrien, Ägypten und Ugarit an den Anfang der
Betrachtung gestellt und jeweils in einem kurzen Abschnitt abgehandelt
wird, während mit der Lehre des nachbiblischen
Judentums und des Islam geschlossen wird. Auch diese Stücke
bieten zum Teil interessante Beobachtungen für sich, z. B. die
Bemerkung, daß der Fatalismus durchaus nicht die einhellige
Bestimmung des Islam darstellt, sondern nur eine aus dem
arabischen Heidentum stammende, vor allem poetische Unterströmung
bildet, die Mohammed vergeblich auszurotten versuchte
und die allerdings das Gesicht dieser Religion weitgehend
formte (im Anschluß an W. Caskel, Das Schicksal in
der arabischen Poesie, 1926). Auch der 3. Aufsatz: Himmlische
Bücher und Schicksalsglaube in Qumran, (Revue de Qumran 1,
1959, S. 405—411), S. 72—79, berührt sich noch nahe mit dem
gleichen Thema. Hier wird die Frage behandelt, ob es wohl auch
in Qumran die aus dem Neuen und Alten Testament bekannte
Vorstellung von himmlischen Büchern wie dem Buch des Lebens
und des Gerichtes gegeben habe, und damit beantwortet,
daß solche Bücher zwar nicht ausdrücklich erwähnt werden,
aber die Vorstellung der Sache nach doch vorhanden ist (so,
wenn von dem „Griffel des Lebens" oder dem „Griffel des Gedächtnisses
" die Rede ist, mit denen offenbar im himmlischen
Merkbuch die Taten der Menschen für das Gericht und die Namen
der Erwählten festgehalten werden). Eine textkritische
Untersuchung zu einem ebenfalls benachbarten Thema ist der

4. Aufsatz: „Gesetz der Freiheit" im NT und in der Mönchsgemeinde
am Toten Meer (Biblica 34, 1953, S. 193—194 ),

5. 80—82, eine kurze Miscelle, die dem Nachweis dient, daß in
lQS X 6.8.11 der Ausdruck n^n p-n hoq härüt und nicht
herüt zu lesen ist, so daß in Wirklichkeit von einem „Gesetz
der Freiheit" gar nicht die Rede ist, sondern nur von einem
„eingravierten Gesetz", die Berührung zum Neuen Testament
also entfällt.

Im Mittelteil der Sammlung stehen eine Reihe von Aufsätzen
verschieden großen Umfanges, die sich alle mit Qumran
beschäftigen und teils theologische Begriffe aus den Qumran-
schriften analysieren, teils sidi mit Ordnungen und Gebräuchen
der Qumran-Gemeinde befassen. Zur ersten Gruppe, die sich
mit der obengenannten Monographie des Verfassers über die
theologische Terminologie der Qumran-Texte berührt, gehören
der 6. Aufsatz: „Wahrheit als theologischer Terminus in den
Qumran-Texten (Festschrift V. Christian, 1956, S. 83 — 92),
S. 112—125, der 7. Beitrag: Heiligkeit in den Qumranschriften
(Revue de Qumran 2, 1960, S. 163-181. 315-344), S. 126-174,
und der 8.: Geist und Geister in den Texten von Qumran (Festschrift
A.Robert, 1957, S. 305-315), S. 175-187. Der 6. Aufsatz
bietet eine Begriffsbestimmung des Terminus 'mt in den
Qumran-Schriften, deren Ergebnis lautet, daß dieser Begriff
keineswegs eindeutig ist, sondern, ganz wie schon im Alten
Testament, eine Vielzahl von Beziehungen enthält: so kann er
göttliche und menschliche Treue bezeichnen, Gesetzestreue und
wahre Religionsübung, rechtschaffene Lebenshaltung, besonders
auch gegenüber dem Nächsten. Auf der anderen Seite steht der
prinzipielle Gegensatz zwischen Wahrheit und Lüge, der die
Form des bekannten Dualismus annehmen kann, wie er besonders
in dem dualistischen Traktat 1 QS III 13—IV 26, aber
auch darüber hinaus in den Qumran-Schriften zu finden ist. Der
Ausdruck ist schillernd; der jeweilige Zusammenhang muß über
seine konkrete Bedeutung entscheiden. — Der Aufsatz über
Heiligkeit in den Qumran-Schriften ist ebenfalls eine Begriffsbestimmung
, die sich mit der Wurzel qds befaßt. Hier wird
wieder ein sehr weiter Kreis abgeschritten, wobei das entscheidende
Ergebnis schon vorausgeschickt wird (S. 128 f.): eine wesentliche
Weiterführung über das Alte Testament hinaus findet
sich für den Begriff in den Qumran-Schriften nicht. Nach einer
kurzen Darstellung des allgemeinen Sprachgebrauchs des Verbums
qds und der Nomina qodää und qados wird die Verwendung
des Begriffes der Heiligkeit für heilige Orte und Dinge
(den Tempel, das Allerheiligste, heilige Dinge, Tage und Gesetze
und den „heiligen Sproß") und für die persönliche Heiligkeit
abgehandelt (hier geht es um den heiligen Gott und an-