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Ausgabe:

1965

Spalte:

253-257

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Existenz und Ordnung 1965

Rezensent:

Grundmann, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 4

254

Immerhin sind wichtige Voraussetzungen geschaffen worden. Der
Verlag der BuchdTUckerei Berichthaus in Zürich, der auch die
Zwingliausgabe im Corpus Reformatorum zu Ende führt, wird
das Werk verlcgcrisch betreuen und auch drucken. Der Schweizerische
Naticnalfonds zur Förderung der Wissenschaften in Bern
hat eine ausreichende Subvention der Edition zugesagt. Außerdem
unterstützen er und der Kanton Zürich die Arbeit durch
Besoldung eigens hierfür angestellter Assistenten.

Die vom Zwingliverein eingesetzte wissenschaftliche Kommission
für die Herausgabe der Werke Bullingers hat im vergangenen
Jahr unter ihrem Vorsitzenden Fritz Blanke zunächst
die Edition des Briefwechsels beschlossen. Dieser soll, entgegen

früheren Meinungen, ohne Auswahl in vollabgediucktem, kommentierten
Originaltext veröffentlicht werden. Nur mit einer
Gesamtausgabe ist die Garantie gegeben, daß der historischen
und theologischen Wissenschaft kein Quellenmaterial aus diesem
Bereich vorenthalten wird und die heute immer häufiger vorkommenden
Rückgriffe auf die Originale sich völlig erübrigen
werden. Daß die Herausgeber sich bemühen, nach modernsten
Editionsgrundsätzen zu arbeiten, möge man ihnen zubilligen. Im
Laufe der Zeit sollen auch die theologischen Werke Bullingers,
zumindest in Auswahl, eine zum Briefwechsel parallele Ausgabe
erhalten. Der Abschluß des ganzen Werkes ist freilich auf lange
Zeit noch nicht abzusehen.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

LWoIf, Eriki j Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum
60. Geburtstag, hrsg. v. T. Würtcnberger, W. Maihofe r,
A. Hollerbach. Frankfurt/M.: Klostermann [1962). VII, 504 S.
gr. 8°. Kart. DM 43.50; Lw. DM 48.50.

Die hier angezeigte Festschrift ist dem bekannten Freiburger
Kirchenrechtler und Rechtsphilosophen gewidmet, der
wiederholt, darunter vor allem mit einem Vorabdruck aus
seinem großen Kirchenrechtslehrbuch (Ordnung der Kirche. Lehr-
und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis, 1961)
in dieser Zeitschrift zu Wort gekommen ist (ThLZ 85, 1960,
Sp. 642—648; vgl. dazu die Rezension des Unterzeichneten
ThLZ 87, 1962, Sp. 329—340). Entsprechend den beiden Hauptarbeitsgebieten
des Gelehrten (vom Strafrecht als drittem hat
sich W. seit langem zurückgezogen) ist die Festschrift in zwei
Abteilungen gegliedert, von denen die erste den Titel trägt
Theologische Existenz — Ordnung der Kirche" und folgende
Beiträge enthält: Karl Barth „Von der Taufe des Johannes zur
Taufe auf den Namen Jesu", Ernst Wolf „Christliche Freiheit für
die .freie Welt'", Jacques Ellul „Realite sociale et theologie du
droit", Karl Rahner „Über den Begriff des ,Ius divinum' im
katholischen Verständnis", Günther Wendt „Das Ältestenamt
im Aufbau der evangelischen Kirchenverfassung", Hans Lier-
mann „Evangelisches Kirchenrecht und staatliches Eherecht in
Deutschland. Rechtsgeschichtliches und Gegenwartsprobleme",
Alexander Hollerbach „Zur Problematik der bedingten Taufe",
Arnold Ehrhardt „Soziale Fragen in der alten Kirche" und
Ernst Walter Zeeden „Calvinistischc Elemente in der kurpfälzischen
Kirchenordnung von 1563". Die zweite Abteilung ist
überschrieben „Philosophische Existenz — Ordnung des Rechts"
und umfaßt folgende Aufsätze: Martin Heidegger „Kants These
über das Sein", Werner Maihofer „Konkrete Existenz. Versuch
über die Philosophische Anthropologie Ludwig Feuerbachs",
Max Müller „Philosophische Grundlagen der Politik", Alexander
Passerin d'Entreves „Two questions about law", Fritz von Hippel
„Zur Unterscheidung von Recht und LInrecht", Thomas Würten-
berger „Vom rechtschaffenen Gewissen", Arthur Kaufmann
..Gesetz und Recht", Karl Engisch „Vom Sinn des hypothetischen
juristischen Urteils", Franz Wieacker „Die juristische Sekunde.
Zur Legitimation der Konstruktionsjurisprudenz", Karl Alfred
Hall „Über das Mißlingen. Eine anthropologisch-strafrechtliche
Studie über Versuch und Fahrlässigkeit" und Hans-Heinrich
Jeschcck „Aufbau und Stellung des bedingten Vorsatzes im Ver-
brechensbegriff". Den Abschluß bildet ein sehr sorgfältig gearbeitetes
„Schriftenverzeichnis Erik Wolf", das ein eindrucksvolles
Bild von der außergewöhnlichen Spannweite dieses Gelehrten
vermittelt. Aus diesem Schriftenverzeichnis seien nur die
beiden (neben dem Kirchenrechrslehrbuch) bedeutendsten Werke
Wolfs genannt: „Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte
" (1. Aufl. 1939; 4. Aufl. 1963) und „Griechisches
Rechtsdenken" (1950 ff.).

Für den Leserkreis dieser Zeitschrift ist vor allem die erste
(vorwiegend kirchenrechtlichc) Abteilung der Festschrift von
Interesse. Darum sei wenigstens auf einige der darin enthaltenen
Beiträge etwas näher eingegangen. Besondere Aufmerksamkeit
verdient der Aufsatz von Karl R a h n e r, der kürzlich von Innsbruck
nach München berufen worden ist, „Über den Begriff des

,Ius divinum' im katholischen Verständnis" (S. 62—86). Die Abhandlung
zeigt, wie sehr man katholischerseits heute über Fragen
neu nachdenkt, die längst endgültig beantwortet schienen.
R. geht davon aus, daß als ius divinum nur solches Recht in Betracht
komme, das in der Urkirche in einer noch näher zu bestimmenden
Weise als geoffenbart nachweisbar ist, wobei für R.
das Zeitalter der Urkirche mit dem Tod des letzten Apostels
endet, weil die Apostel nicht nur als (erste) Offenbarungsüber-
lieferer, sondern auch als (letzte) Offenbarungsträger in Betracht
kommen (S. 74). Diesen Zeitpunkt will R. übrigens nicht „absolut
" oder streng „uhrzeitlich" verstehen (S. 75), so daß „unter
Umständen die Abgeschlossenheit der Offenbarung mit dem Tod
des letzten Apostels nicht hindert, daß eine bestimmte Qualität
eines späteren nachapostolischen Ereignisses mit offenbarungsmäßiger
Sicherheit als von Gott geoffenbart erkannt werden
kann" (S. 86) und folgerichtig auch die Entstehung von ius divinum
in nachapostolischer Zeit immerhin denkbar ist. Ein für die
aus der Urkirche hervorgehende nachapostolische frühchristliche
Kirche und die daraus allmählich entstehende römisch-katholische
Kirche fürwahr außerordentlich bedeutsamer Satz!

Trotz seines Offenbarungscharakters unterliegt das ius divinum
einem geschichtlichen Werdegang. Es tritt in jeder Zeit nur
in der dieser entsprechenden Gestalt in Erscheinung. In dieser
jeweiligen geschichtlichen Gestalt gilt es nun das invariable
Wesen des betreffenden Satzes göttlichen Rechts aufzuspüren. Es
geht um die „Wesensidentität in (im?) Gestaltwandel" (S. 65).
Weiterhin: Um annehmen zu können, daß ein historisch gewachsenes
Rechtsgebilde in seinem Wesen ius divium sei oder
enthalte, ist notwendig, daß es in der Zeit der Urkirche a 1 s
i u s (und nicht nur als eine vielleicht theologisch höchst bedeutsame
, rechtlich aber irrelevante Aussage) offenbart worden
ist. Wie will man das feststellen? Auf diese Frage gibt
R. nur implizit eine Antwort, indem er ausführt, ius divinum
könnten nur „Entscheidungen" sein, die für die Urkirche als
„legitime" angesprochen werden können, sei es, daß sie für sie
„wesensnotwendig" oder doch wenigstens „wesensgemäß" gewesen
sind (S. 71). Auch hier ist man versucht, weiterzufragen
und zwar nach dem erkenntnismäßigen Kriterium für das
„Wesensnotwendige" und „Wesensgemäße". In jedem Fall aber
sind solche in der Urkirche getroffenen Entscheidungen und die
durch sie eingeleitete geschichtliche Entwicklung irrevisibel,
einmalig und nicht umkehrbar. Das ergibt sich für R. aus dem
Wesen des Geschichtlichen. So kommt er zu dem Ergebnis: „Eine
wesensgemäße (dem Wesen legitim entsprechende), rechtschaffende
und irrevisible Entscheidung der Kirche kann dann als ,ius
divinum' betrachtet werden, wenn sie in der Zeit der Urkirche
erfolgte" (S. 74). Zu beachten ist dabei, daß das auch dann gilt,
wenn die in der Urkirche getroffene Entscheidung nicht eine
wesens n o t w e n d i ge, sondern nur eine wesens g e m ä ß e
gewesen ist, wenn sie also als Wahl zwischen mehreren legitimen
Entscheidungsmöglichkeiten zustandegekommen ist. Auch dann
ist sie im späteren Verlauf der Geschichte nicht mehr revisibel:
„Wenn man . . . den Eindruck haben sollte, die verschiedenen
.Verfassungen' der späteren christlichen Bekenntnisse seien in
irgendeiner Weise und in einem bestimmten Grad alle auch schon
in der Urkirche vorgebildet gegeben gewesen, so ist dies kein
Argument dafür, wenigstens für sich kein entscheidendes, daß
diese Pluripotentialität des urkirchlichen Systems immer auch