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Ausgabe:

1965

Spalte:

226-228

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Rohde, Joachim

Titel/Untertitel:

Die redaktionsgeschichtliche Methode 1965

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

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die er bekämpft, und kann sie mit den Lösungen, die er bietet, nicht
überwinden, weil er die BP wesentlich in den gleichen Kategorien versteht
wie sie. In Calvins Auseinandersetzung mit den Täufern wird der
Vorwurf der Gesetzlichkeit hinfällig; bei allem Biblizismus hat er sich
eine sehr elastische Hermeneutik geschaffen, um die Täufer in seine
Fänge zu bekommen und ihnen nirgends Recht zu geben. Es zeigt sich,
daß gerade die reformatorische Wiederentdeckung paulinisdhen Gedankengutes
und seine einseitige Überbetonung in der Auseinandersetzung
mit den Römischen zu einer gewissen Verständnislosigkeit
gegenüber den Evangelien bzw. zu ihrer Absorption in paulinisch
orientierte Theologie geführt hat. Wiederum läßt das scharfsichtige
Beobachten des täuferischen Beharrens auf dem toten Buchstaben und
der dadurch bedingten Gesetzlichkeit der Täufer Calvin sich völlig
auf paulinisdie Standpunkte stellen und die wirkliche Intention der BP
übersehen. Zur Beobachtung der Erweichung radikaler Aussagen bei
Calvin wurde neben die BP seine Auslegung von Mt 10 gestellt, in der
sich die Motive der Polemik ebenso konzentriert finden und die zugleich
mit dem Anklingen maßgeblicher calvinischer Themata auf eine
Lösung der Frage verweist.

Die Arbeit ist so angelegt, daß sie konzentrisch immer wieder die
eine Frage umkreist: Warum werden allen Radikalismen evangelischer
Ford erungen, sofern die Täufer ihnen nachzukommen suchen, die
Spitzen abgebrochen, so daß sie nur noch in einer erweichten Form
gültig sind? Die Arbeit führt in ihrem ersten Teil während der Darstellung
der calvinischcn Auslegung von BP und Mt 10 zu einer immanenten
Beantwortung der Frage. Es werden zur Verdeutlichung und
Erhellung bereits Parallelstellen aus anderen Kommentaren bzw.
Predigten Calvins herangezogen. Der zweite Teil zieht einen größeren,
aber konzentrisdien Kreis, indem er Stoff aus entlegeneren Gebieten
zur Beantwortung der Frage heranholt (Calvins Traditionsgebundenheit
In Hinblick auf die Kirchenväter und das Mittelalter, seine Abhängigkeit
von Zeitgenossen wie den Humanisten und spez. Bucer, das Verhältnis
von Gesetz und Evangelium bei Calvin, die Behandlung der
Hbertas Christiana als appendix iustificationis, die Ausgeprägtheit einer
rein futurischen Eschatologie). Ein letzter Beitrag zur Erhellung der
Frage bietet die Untersuchung des persönlichen Verhältnisses Calvins
einmal zu den Täufern, zum andern zu den Waldensern. Hat Calvins
Engagement und Interesse in Sachen der Täufer, mit denen er persönlich
relativ wenige Kämpfe auszufechten hatte, innerhalb seines theologischen
Denkens ein solches Gewicht, daß die Polemik gegen sie
neben einem großen Teil seines Schrifttums seine Auslegung von BP
und Mt 10 durchdringen und modifizierend beeinflussen konnte? Oder
beabsichtigt Calvin nicht vielmehr in erster Linie mit der betonten
Frontstellung gegen die Täufer die Gruppe anzusprechen, die ihm ungleich
dringlicher am Herzen lag. die Waldenser? In der Polemik gegen
die Täufer stecken Anspielungen auf die früheren Ideale der Waldenser
; Calvin faßte es als seine Aufgabe auf, die Waldenser nach ihrem
äußerlichen Anschluß an die Reformationskirchen im Laufe der Zeit
durch seine Kommentare und Predigten auch theologisch in die Kirche
heimzuholen. In der Absicht, die in ihren Augen von den Reformatoren
vernachlässigte BP radikal zu verstehen, werden die Täufer an den
Rand der Werkgerechtigkeit geführt. In dem Augenblick, in dem Calvin
seine scharfe Absage an den Synergismus vollzieht, gerät er in die
Bahnen einer, an der BP gemessen, ethischen Indifferenz. Die „Irrwege"
beider Seiten sind durch die jeweilige Gegenfront bedingt; so kommt
es zu dem merkwürdigen Wechselverhältnis zwischen Calvin und den
Täufern, daß durch die jeweilige Absicht, das Gegenüber zu korrigieren,
der eigene Standpunkt korrekturbedürftig wird. Das berechtigte Anliegen
beider Seiten ist nur in Relation zueinander zu sehen.

P e i t e r, Hermann: Motiv oder Effekt, Schleiermachers Ethik als
Lehre vom sittlichen Sein statt vom sittlichen Sollen unter besonderer
Berücksichtigung seiner im Gegensatz zu Kant aufgebauten
Lehre vom höchsten Gut. Diss. Berlin 1963. 247 S.
Durch ein Studium der Schleiermacherschen Ethik gegenüber einer
Kulturethik, der Wertethik Schelere, einer Ethik der Ordnungen sowie
gegenüber der imperativischen Moral Kants und Kierkegaards kritisch
geworden, hält der Verfasser Schleiermachers Fragen an unsere Zeit für
fruchtbarer als die traditionellen Einwände gegen ihn. Folgende Fragestellungen
bestimmen den Gang der Arbeit:

1. Was bewegt Schleiermacher, einer Form der Ethik besonderes
Gewicht zu geben, die er die Lehre vom höchsten Gut nennt? Warum
ist eine Ethik in dem Maße vollkommen, wie sie dem Begriff des
höchsten Gutes auf den Grund gekommen ist? Inwiefern sind Tugend-
lchre und Pflichtenlehre allein kein selbständiger, unmittelbarer, ursprünglicher
und vollständiger Ausdruck des Gegenstandes der Ethik?
Kann es überhaupt andere Formen einer Ethik geben als die genannten
drei?

2. Ist das höchste Gut ein Ideal, das zu erlangen über die Welt

hinausgegriffen werden muß, oder ist es Korrelat zur Welt? Ist Kants
Postulat der Unsterblichkeit theologische Reminiszenz oder Zeichen
einer ihr Gebiet übersteigenden Ethik?

3. Verliert eine Ethik des Seins sich unkritisch an das Vorhandene,
oder bestimmt sie anderen, empirischen Disziplinen ihre Aufgaben?
Ist das Sollen das Besondere des ethischen Wissens? Oder kennzeichnet
es das Spekulative bzw. das Politische?

4. Kann die Ethik davon ausgehen, daß Gott dem Menschen ein
Sein zugesprochen hat? Ist Gottes Gabe der Geist, oder ist sie eine
Forderung? Sind die zehn Gebote theologisch verstanden, solange der
Indikativ in ihnen unerkannt bleibt?

5. Inwiefern bleibt Schleiermacher in der Ethik seinem Grundsatz
aus den „Reden" treu, daß Religion nichts zu tun hat mit Moral?
Setzt die gängige Behauptung, Schleiermacher habe die Glaubenslehre
von der philosophischen Ethik abhängig gemacht, nicht schon eine Unkenntnis
seiner philosophischen Ethik voraus?

6. Ist der Mensch, was er will oder nicht will, oder tut und will er,
was er ist? Ist Schleiermachers Prämisse, die ursprüngliche Durchleuchtung
der Natur durch die Vernunft sei der Ethik vorgegeben, lediglich
metaphysisch erschlichen? Oder bedarf die Welt der Moral zu ihrem
Gedeih solcher Menschen, die Distanz zum Objekt der Arbeit halten
und in ihren Werken nicht ihre Selbstverwirklichung suchen?

(Der Verf. dieser Schleiermacher-Dissertation forscht nach dem Verbleib
von Nachschriften der „Christlichen Sitte" (z. B. von Vangerow,
Hohnhorst, Orth, Bötticher, Erbkamp und George). Wer könnte ihm
dabei durch Hinweise oder Leihgaben behilflich sein? Für jeden Hinweis
wäre dankbar: Dr. Hermann Peiter, Berlin N 54, Wilhelm-Pieck-
Straße 30 III.)

R o h d e, Joachim: Formgeschichte und Redaktionsgeschichte in der
neutestamentlichen Forschung der Gegenwart. Diss. Berlin 1962,
Bd. I XXII, 304 S.; Bd. II S. 305-547, Anmerk. S. 1-76.

Das ursprüngliche Ziel der Arbeit war es, in Anknüpfung an die
Licentiatendissertation von Erich Fascher „Die formgeschichtliche
Methode" (1924) die seither erschienene Literatur zur Formgeschichte
darzustellen und zu prüfen. Das ist im I. Hauptteil (S. 1—304) geschehen
. Es erwies sich aber als notwendig, auch die in den letzten
Jahren entstandene redaktionsgeschichtliche Forschungsmethode und
die dazu erschienene Literatur zu berücksichtigen. Diesem Ziel dient
der II. Hauptteil (S. 305—481). In einem III. Teil wurde dargestellt,
wie sich beide Forschungsmethoden auswirken auf die heute viel erörterte
Frage nach der Parusieverzögcrung und auf die seit einigen
Jahren auf anderer Ebene als in der liberalen Leben-Jesu-Forschung
wieder neu aufgenommene Frage nach dem historischen Jesus.

Im I. Hauptteil wird in einem 1. Kapitel die historische Genesis
und das Aufkommen der formgeschichtlichen Forschung an den ersten
Arbeiten (K. L. Schmidt, Dibelius, Bultmann, Albertz und Bertram)
und der Kritik Faschers gezeigt (S. 1—55). Das 2. Kapitel (S. 55
—227) ist der Fortführung der formgeschichtlichen Arbeit gewidmet.
Dabei kommen zur Sprache: 1. die Weitcrarbeit der ersten fonnge-
schichtlichen Forscher, 2. der Einfluß der formgesdiiehtlichen Methode
auf die Synoptikerforschung im deutschen Sprachgebiet, in den nordischen
Ländern und im anglo-amerikanischen Sprachgebiet, 3. die
Argumente gegen die Formgeschichte von Seiten protestantischer
Forscher (L. Koehler, Holl, von Dobschütz, Feine, Goguel, Büchsei,
M. Werner, Cullmann) und 4. die katholische Stellungnahme zur Formgeschichte
. Das 3. Kapitel (S. 228—279) befaßt sich mit weiteren Anwendungsmöglichkeiten
der formgeschichtlichen Methode, und zwar auf
das Johannesevangelium (negativ), die Apostelgeschichte und bestimmte
Stücke der neutestamentlichen Briefliteratur (Paränese, kultisches
und liturgisches Gut), auch auf die Apostolischen Väter und das
Thomasevangelium. Zwei Exkurse setzen sich mit den Problemen
„Formgeschichte und rabbinische Überlieferung" und „Formgeschichte
und Apophthegmata Patrum" auseinander. Das 4. Kapitel (S. 279—304)
faßt den Ertrag der formgcschichtlichen Arbeit kritisch zusammen:

Die Auflösung des Rahmens der synoptischen Evangelien wird bejaht
, jedoch mit der Einschränkung (gegen Schille und auch Bultmann),
daß der historische Wert von Ortsangaben bei Einzelstücken nicht
ohne weiteres bestritten werden darf. Die Bedeutung der mündlichen
Überlieferung als Quelle der synoptischen Evangelien wird nachdrück-
lidi betont, aber auch die Benutzung schriftlicher Quellen keineswegs
ausgeschlosssen, auch für Markus nicht. Bereits im Hinblick auf die
Ergebnisse der redaktionsgeschichtlichen Forschung wird die Rolle der
Evangelienverfasser hervorgehoben, die in der formgeschichtlichen
Forschung ungebührlich zurückgetreten, wenn auch nicht völlig übersehen
worden war. Die Aufteilung des synoptischen Stoffes in Formen
und Gattungen wird sowohl bei Dibelius als auch bei Bultmann