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Ausgabe:

1965

Spalte:

209-214

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Beumer, Johannes

Titel/Untertitel:

Die mündliche Überlieferung als Glaubensquelle 1965

Rezensent:

Andersen, Wilhelm

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209

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

210

Beachtung beanspruchen, der die Epoche der lutherischen Orthodoxie
mit weitergreifenden Fragestellungen dem theologiegeschichtlichen
Verständnis zu erschließen unternimmt, wie es
Jörg Baur in seinem Buch über die Theologie Johann Andreas
Quenstedts getan hat.

Der Verfasser möchte das Bild der Orthodoxie von noch
immer gängigen Vereinfachungen befreien. Es geht sicher nicht
mehr an, das Verhältnis von Spätorthodoxie und Frühaufklärung
als selbstverständlichen gleitenden Übergang zu verharmlosen.
Gerade Quenstedt zeigt einen durchaus kritischen Blick für die
Vielschichtige Problematik von Vernunft und Offenbarung. Aber
auch der Vorwurf, die Orthodoxie habe die protestantische
Theologie in Metaphysik aufgelöst, ist unhaltbar. Selbst in ihr
findet sich ein dynamisches Gottesverständnis, das in manchem
einen Ausbruch aus der Gegenständlichkeit ermöglichte. Trug
doch der neue qualitative Unendlichkeitsbegriff der lutherischen
Orthodoxie zu einer Überwindung des gegenständlichen ptole-
mäischen Weltbildes bei! Schließlich wurzelt auch der protestantische
Neuaristotelismu6 in kritischen theologischen und konfessionellen
Auseinandersetzungen mit aristotelistischen und
scholastischen Strömungen des 17. Jahrhunderts.

Mnrburj/Lahn Winfried Zeller

Born, Max: Symbol und Wirklichkeit (Universitas 19, 1964 S. 817
—834).

B r e u n i n g, Wilhelm: Der Beitrag des Nikolaus von Kues zum

Religionsgespräch der Gegenwart (TThZ 73, 1964 S. 221—233).
Delling, Gerhard: Telos-Aussagen in der griechischen Philosophie

(ZNW 55, 1964 S. 26—42).
Fiorito, M. A., u. L Garcia-Mata: Notas de exegesis tomista:

La composicion intrinseca del ente finito y Ia consideracion absoluta

(Ciencia y fe 19, 1963 S. 371—389).
Grau, Gerd-Günther: Nietzsche und Kierkegaard (DtPfrBl 64, 1964

S. 408-412).

Ha übst, Rudolf: Nikolaus von Kues und die Theologie (TThZ 73,

1964 S. 193—210).
H e n n i g, John: Zur geistesgeschichtlichen Stellung des Modebegriffs

„Gespräch" (ZRGG 16, 1964 S. 250—264).
Hossfeld, Paul: Das Sein in Heideggers späten Schriften und Gott

(ThGL 54, 1964 S. 332-334).
Joest, Wilfried: Raum, Zeit und Kausalität (ZW 3 5, 1964 S. 522

—536).

Pechhacker, A.: Zur Entfaltung unserer Seinserkenntnis (ZKTh 86,
1964 S. 430—441).

P e i t e r, Hermann: Motiv oder Effekt. Kants imperativische Moral und
Schleiermachers Lehre vom höchsten Gut (ZdZ 18, 1964 S. 327—332).

Penelhum, Terence: Pascal's Wager (The Journal of Religion 44,
1964 S. 201—209).

Schütz, Paul: Das Wagnis des Menschen im Offenen der Freiheit
(NZSTh 6, 1964 S. 192-214).

Spranger, Eduard: Wie gelangt man zum Philosophieren? (Universitas
19, 1964 S. 561—573).

W i s s c r, Richard: Homo vere humanus. Probleme und Aussagen der
philosophischen Anthropologie in geistesgeschichtlicher Sicht (ZRGG
16, 1964 S. 223—250).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

B e u m e r, Johannes, S. J.: Die mündliche Uberlieferung als Glaubensquelle
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1962. V, 138 S. 4* = Handbuch
der Dogmengeschichte, hrsg. v. M. Schmaus u. A. Grillmeier,
Bd. I: Das Dasein im Glauben, Fase. 4.

Im großangelegten Handbuch der Dogmengeschichte, in
dessen erster Teilveröffentlichung (Bd. IV, Fasz. 3, Buße und
letzte Ölung von B. Poschmann 1951) M.Schmaus im Vorwort
einen Plan des Gesamtwerkes angegeben hat, ist jetzt die
Faszikel 4 des 1. Bandes erschienen. Wenn auch die weiteren Beiträge
nur so zögernd erscheinen, werden noch viele Jahre vergehen
, bis das ganze Werk abgeschlossen vorliegen wird. Vorläufig
besteht darum nur die Möglichkeit, die Teilveröffentlichungen
, die in sich abgeschlossene Monographien sind,
zur Kenntnis zu nehmen. Auffallend an der vorliegenden Arbeit
über „die mündliche Überlieferung als Glaubensquelle", die mit
der Erörterung der Schriftlehre (Kap. I) einsetzt, dann die
Väterlehre (Kap. II), die Scholastik (Kap. III), das Konzil von

Trient (Kap. IV) und die nachtridentinische Theologie (Kap. V)
behandelt und mit einer Darstellung der mündlichen Überlieferung
in der Problematik von heute (Kap. VI) schließt, ist
die starke Berücksichtigung der nichtkatholischen Literatur.
Nach der Überzeugung des Verfassers „läßt sich der hohe Wert
der interkonfessionellen Auseinandersetzung nicht verkennen,
da sie ohne Zweifel viel dazu beiträgt, das Wesen der mündlichen
Überlieferung genau darzustellen und die Argumente, die
ihr Dasein und ihr Recht beweisen sollen, auf ihre Stichhaltigkeit
und Geltungskraft zu prüfen" (S. 129). Für das interkonfessionelle
Gespräch ist der geistige Boden dadurch vorbereitet
, daß „die Katholiken der Heiligen Schrift und die Protestanten
der Tradition eine gesteigerte Bedeutung zuerkennen,
und zwar trifft das 6o zusammen, daß die Bestrebungen hüben
wie drüben im wesentlichen gesondert für sich auftreten und
anscheinend nur ihrer Eigengesetzlichkeit Folge leisten. Von
einer bewußten Einstellung, sich dem Gesprächspartner anzupassen
und ihm Konzessionen zu machen, kann jedenfalls nicht
die Rede sein" (S. 128).

J. Beumer warnt allerdings zugleich auch davor, die gegenseitige
Annäherung der beiden christlichen Konfessionen in der
Stellungnahme zur Tradition in ihrer Tragweite zu überschätzen.
„Es sind der Gegensätze und der Schwierigkeiten noch genug
übrig" (S. 129). Sie bestehen einmal darin, „daß vereinzelte
Stimmen aus dem protestantischen Lager zugunsten der Tradition
keinesfalls 6chon die maßgebende Auffassung der
evangelischen Kirchen ausmachen" (ebd.). Zum andern muß auch
in Rechnung gesetzt werden, daß etwa Geiselmanns These vom
Mißverständnis des Verhältnisses von Schrift und Tradition im
Sinne einer „Zweiquellentheorie", das er der kirchlichen Kontroverstheologie
des 16. Jahrhunderts (besonders J. Eck, P.
Canisius und R. Bellarmin) zuschreibt, im römischen Lager zwar
große aber doch nicht allenthalben uneingeschränkte Zustimmung
gefunden hat (vgl. S. 128).

Die eigentlichen Schwierigkeiten für das gegenseitige Sich-
Verstehen und die gerechte Beurteilung liegen aber doch wohl
noch tiefer. Sie hängen mit der Frage zusammen: Was ist unter
„mündlicher Überlieferung" zu verstehen? Der Verfasser sagt im
letzten Kapitel 6ehr betont: Was man unter „Tradition" — gemeint
ist die mündliche Überlieferung — zu verstehen hat, dürfte
unmittelbar klar sein (vgl. S. 129). Aber gerade das stellt er in
den folgenden Sätzen selber wieder infrage, wenn er z. B. die
übergeordnete Bedeutung des Begriffes, welche die Schrift mit
einschließt, von der eingeschränkten unterscheidet, wo das nicht
der Fall ist.

Für den evangelischen Leser besteht noch eine andere
Schwierigkeit: Es scheint letztlich in der Schwebe zu bleiben,
ob wir bei der mündlichen Überlieferung vor allem an den sich
durch die Geschichte erstreckenden Strom der mündlichen
Tradition oder an die „mündliche Verkündigung" zu denken
haben, die es vor der Schriftwerdung des Wortes gab und die
auch weiterhin fortdauern und nicht etwa durch jene abgelöst
oder verdrängt werden soll (vgl. S. 5).

Das erste Kapitel, das die Schriftlehre entwickelt, stellt
sehr stark den zweiten Gesichtspunkt heraus, jiagadtdovai. und
nngadooig stehen in direkter Nähe zum xrjgvaasiv und zum
xrjgvyjua (vgl. S. 7). Die apostolische Verkündigung sollte nach
dem ausgesprochenen Auftrag Christi eine Wortverkündigung
sein und ist deshalb von Anfang an als mündliche Predigt zur
Durchführung gekommen (S. 5). Der Kyrios ist der letzte Ausgangspunkt
jeglicher Offenbarung und Überlieferung (S. 7).
Beumer betont darum sehr deutlich den Unterschied zwischen
der Paradosis der Apostel und der der nachapostolischen Kirche.
Und er lehnt den Vorwurf von E. Kinder gegen die katholische
Traditionsauffassung als unzutreffend ab. Er bekennt sich sogar
ausdrücklich zum folgenden Satz Kinders: „Das klare Zeugnis
der Apostel steht in einzigartiger Weise für das Heilsgeschehen
selbst, für das Evangelium im Namen Gottes, und damit in
einem grundsätzlichen Gegensatz zu aller weiteren Tradition,
die grundsätzlich in die andere Dimension der Antworten und
Reaktionen gehört und nicht dessen Fortsetzung auf der gleichen
Ebene sein kann" (S. 7/8). Überlieferung der einen Heilsbot-