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Ausgabe:

1965

Spalte:

208-209

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Baur, Jörg

Titel/Untertitel:

Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium 1965

Rezensent:

Zeller, Winfried

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207

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

208

fehlt im 2. Kapitel das negative Urteil über Lessing (l.Aufl.
S. 31). Auch fehlen die Namen bei der sehr einseitigen Typisierung
der protestantischen Religions-Philosophie, wie sie in der
1. Auflage erscheinen: Schleiermacher und Ritsehl, Barth und
Brunner.

Zwischen ihnen wird im Offenbarungsbegriff darin eine
Übereinstimmung behauptet, daß für beide Richtungen die
Offenbarung nur das positive oder negative Korrelat zum
Wesen des Menschen sei. (l.Aufl., S. 37 f.). Metz hat sich
gegenüber einer solchen sehr vereinfachenden Typisierung abgegrenzt
(428). Allerdings werden auch jetzt noch Schleiermacher
und Rudolf Otto ausdrücklich genannt. Ihre Auffassung von
der Offenbarung wird als eine Aussage des ungeschichtlichen
autonomen Geistes und als „einbahnig", „von unten" abgewertet
(139). Auch wird bewußt darauf verzichtet, drei philosophische
Grundtypen historisch zu belegen, wie es in der
1. Auflage geschehen ist: Plato bis Hegel; Kant; Heidegger
(79). Es erscheint in der zweiten Auflage zwar der Begriff der
Geworfenheit und der Erstreckung für die Geschichte, ohne
hier aber Heidegger zu nennen (108).

Die fundamentalontologische Begründung der Religionsphilosophie
hat in dieser Neubearbeitung als Voraussetzung der
Theologie etwas Bestechendes. Wir haben in der Gegenwart auf
evangelischer Seite nicht dergleichen an ontologischer Deduktion
aufzuweisen. Die drei metaphysischen anthropologischen
Sätze bedürften durchaus auch einer evangelisch-theologischen
Entsprechung und könnten hier für eine theologische Interpretation
der geschichtlichen Existenz Verwendung finden:

1) Zur Grunderfassung des Menschen gehört seine Transzendenz
auf das Sein überhaupt (87).

2) Der Mensch ist in dem Maße horchend auf das Reden
oder Schweigen Gottes, als er sich in freier Liebe dieser Botschaft
des Redens oder Schweigens öffnet (133).

3) Der Mensch ist auf das Offenbarungswort angewiesen
(200). Wir könnten hierbei auf Karl Barth hinweisen, der in
seiner Schöpfungslehre auf Grund der Inkarnation und von dieser
aus erklärt: „Jeder Mensch ist als solcher ein Mitmensch
Jesu" (Kirchliche Dogmatik III, 2, S. 159).

Allerdings ist die Art, wie hier die protestantische Theologie
der Gegenwart abgetan wird, bedrückend. Darüber hinaus
entsteht der Eindruck, als wenn alle theoretische Hinfuhrung
auf die Hörigkeit einem in der Geschichte ergehenden Offenbarungswort
gegenüber doch gewonnen worden ist von der biblischen
Offenbarung her. Dies wird auch von dem Bearbeiter
angedeutet, wenn er erklärt: Die Religionsphilosophie endet
mit dem Imperativ: auf Gottes Wort zu horchen. „Und da ein
solches Wort tatsächlich ergangen ist, braucht eine Religionsphilosophie
auch nichts mehr zu tun, als eine solche .fundamentaltheologische
'Anthropologie zu entwerfen" (211). Die Offenbarungsreligion
habe faktisch die Religionsphilosophie überholt
, deshalb sei die Religionsphilosophie nur dann das, was sie
sein solle, wenn sie „fundamentaltheologische Anthropologie"
ist (212). Damit ist doch zugegeben, daß alle Metaphysik im
Grunde auf katholischer Seite nichts anderes ist, als ein Echo
auf die Offenbarungstheologie.

So sehr wir dem Satz widersprechen müssen: „Die Religionsphilosophie
muß zu Gott kommen" (209), bleibt doch das Anliegen
dieser wertvollen Studie auch für uns wesentlich.

Es ist in evangelischer Sicht dem nachzudenken, was hier
metaphysisch vorgetragen wird: Mathematische Wahrheiten
sind nicht sicherer und strenger bewiesen als die „einer Metaphysik
des Göttlichen". „Metaphysische Erkenntnis läßt sich
strenger und notwendiger beweisen, weil sie im Grunde des
Daseins immer notwendig mitbejaht wird" (132). Dies gilt aber
für uns nicht von dem Beweis einer Metaphysik, sondern für den
Erweis der Kraft des Wortes, das „durch den Mund Gottes
geht" (Matth. 4,4). Dafür darf die Kirche eintreten. Dies geschieht
aber nicht nur durch die Predigt. Sie hat auch den
Auftrag, das Trauen auf Gottes Wort in seiner grundsätzlichen
Bedeutung für die Anthropologie und Philosophie aufzuweisen.
Dies kann aber im evangelischen Sinne nicht logisch deduziert

werden. Es kann nur explikativ geschehen: Die gemeindliche
Existenz ist so zu entfalten, daß bei aller Kritik gegenüber ihrer
eigenen Faktizität das Faktum der Offenbarung Gottes als das
Fundament der wahren Menschlichkeit ontologisch sichtbar wird.

EUenach Heinz Erich Ei s en h uth

Schaeffler, Richard: Die Struktur der Geschichtszeit. Frankfurt/M.:
Klostermann [1963]. XII, 571 S. gr. 8° = Philosophische Abhandlungen
, Bd. XXI. Kart. DM 45.—; Lw. DM 49.50.

Das wichtige Buch des Tübinger Philosophen greift schon
von der offen sichtbaren Thematik her in verschiedene Bereiche
ein, so daß eine Anzeige an dieser Stelle als gerechtfertigt erscheint
: Es berührt neben den spezifisch philosophischen Problemen
auch historische und theologische, wenn man will sogar
naturwissenschaftliche. Allerdings setzt sich Sch. von dem jetzt
häufigen Bemühen ab, das Zeitproblem von den Ergebnissen der
Relativitätstheorie und Quantenphysik her anzugehen; vielmehr
behandelt der erste Teil des Buches („Die Geschichte des Problems
") die Fragestellung selbst in ihrer über zweitausendjährigen
Entwicklung, von Zenon von Elea über Piaton, Aristoteles,
Plotin und Augustin bis zu Kant und Heidegger, womit auch ein
Ausgangspunkt für Schs. eigene „Ontologische Analyse" geschaffen
ist (die den zweiten Teil des Werkes umfaßt).

Gewiß liest sich das Buch nicht leicht, und das Fehlen von
Namen- und Sachindex (nur ein Stellenregister ist angefügt)
erschwert den Zugang zu mancher wichtigen Passage. Hinter
manche Darlegung des historischen Teiles wird man auch ohne
weiteres ein Fragezeichen setzen. So enthält der Abschnitt
„Piatons Weg von der Problematik des Sokrates-Schicksals zur
Betrachtung der Bewegung und der Zeit" manche Unebenheiten.
Sollte sich der allmählich stärker werdende Realismus Piatons
(Vom „Staat" zu den „Nomoi" und von der „Apologie" über
den „Phaidon" zum „Phaidros") nicht vor allem aus der zunehmenden
Berücksichtigung der historischen Ereignisse des
4. Jhs. und aus der Einbeziehung des historischen Schrifttums
(Thukydides!) erklären lassen? Auch zu Augustin, der kürzlich
von Lampey und Wachtel in ähnlicher Richtung analysiert
worden ist, tauchen Fragen auf. Sch. hebt die Bedeutung des
Kirchenvaters für sein Problem stark hervor. Er versäumt es auch
nicht, seinen Ausführungen eine breitere Quellenfundierung zu
geben. Doch die — hier natürlich notwendige — Systematisierung
des disparaten Gedankengutes ist schon wegen Augustins wechselnder
Bezugnahme auf Theorie und Praxis, auf individuelle und
kollektive Verhältnisse etwas fragwürdig.

Von Augustin erfolgt ein großer Sprung zu Kant und zu
Heidegger, in dessen existentialistischer Philosophie Sch. wichtige
Ansätze für seine ontologische Analyse erkennt. Er betont aber
auch, daß „das Freiheitsproblem" und „mit ihm die Frage nach
der Zeitlichkeit und der Zeit" nur lösbar sei, „wenn das Verhältnis
der geschichtlichen Freiheit zu ihrem geschichts-ermög-
lichenden Grunde neu bestimmt werden kann" (S. 360). Sch.s
ontologische Analyse kreist dementsprechend immer wieder um
die Problematik von „Sein und Zeitlichkeit" sowie „Zeitlichkeit
und Freiheit". Besonders hebt er die „eigenverantwortliche Entscheidung
der je individuellen Freiheit" als vorwärtstreibend für
das historische Geschehen heraus (S. 550). Andererseits gewährt
Sch. auch dem metaphysischen Bereich — etwa mit folgender Feststellung
— breiten Spielraum: „Zeit ist der durch die Selbstgewährung
des transzendenten Seins eingeräumte Bereich einer
Verwaltung der Seinsgegenwart; sie ist das „Da", in das hinein
das Sein durch das Seiende sich gegenwärtig setzen läßt, indem
es als Ursprung erfaßbar, als Zukunft im Ausgriff erstrebbar
wird. Sie ist so der Möglichkeitsgrund der Zeitlichkeit schlechthin
" (S. 553).

Halle/Saale Hans-Joachim D i e s n e r

Baur, Jörg: Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium. Eine
Untersuchung zur Theologie Johann Andreas Quenstedts. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1962]. 200 S. gr. 8°. Lw.
DM 9.80.

Eine theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Würdigung
des 17. Jahrhunderts gehört zweifelsohne gerade heute zu den
dringenden kirchenhistorischen Aufgaben. So darf jeder Versuch