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Ausgabe:

1965

Spalte:

199-201

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Southern, Richard W.

Titel/Untertitel:

Saint Anselm and his biographer 1965

Rezensent:

Schmitt, Franciscus Salesius

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199

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

200

die Ausgabe hineinkommt. Nur hätte die Tatsache, daß die
Echtheit nicht unbezweifelt ist, noch schärfer, für jeden Benutzer
des Bandes unübersehbar, mitgeteilt werden sollen.

Für den Band als Ganzes sind wir wieder wirklich dankbar.

Kurt Dietrich S c h m i d t f

Southern, R. W., Prof.: Saint Anselm and his Biographer. A study
of monastic life and thought. 1059—c. 1130. London: Cambridge
University Press 1963. XVI, 389 S., 1. Taf. gr. 8. Lw. 50 s.

Der Verf., durch sein Buch „The Making of the Middle
Ages" (1. Aufl. 1953; auch ins Deutsche übersetzt) bekannt, legt
in dem anzuzeigenden Werke das Resultat seiner langjährigen
Studien über Anselm v. Canterbury und seinen Biographen
Eadmer vor. Den letzten Anstoß zur Abfassung des Buches gaben
seine Birbeck-Vorlesungen im Trinity College zu Cambridge. Der
Untertitel weist darauf hin, das S. die beiden Persönlichkeiten in
dem Milieu des mönchischen Lebens und Denkens zeigen will.
Nach dem Vorwort umfaßt das Schrifttum der beiden Männer die
theologische, asketische (devotional), persönliche, historische und
(in geringerem Maße) ökonomische Seite der monastischen Erfahrung
. S. will alle diese Aspekte nicht erschöpfend behandeln,
sondern nur insoweit als Anselm und Eadmer diese Gebiete gefördert
und herauskristallisiert haben. Auf viele Details wird in
scharfsinnigen Darlegungen neues Licht geworfen. Wenn auch
nicht alle Hypothesen S.s überzeugen, so wird man doch den
meisten zustimmen können.

Der größere Teil des Buches (bis 226) gilt naturgemäß dem
größeren Anselm. Schöne Seiten sind ihm auch am Schlüsse, wo
das Verhältnis zu Eadmer behandelt wird, gewidmet. S. schickt
eine gedrängte Schilderung der Situation in der Welt bei der Geburt
und beim Tode Anselms voraus. Für Abstammung und
Jugendzeit steht uns nur Eadmer als Quelle zur Verfügung. Das
Dunkel über der Zeit nach der Flucht aus seiner Vaterstadt Aosta
bis zu seinem Eintritt in Bec in der Normandie bleibt deshalb
auch bei S. unaufgehellt. Der junge Anselm wird durch Lanfrank,
Prior und berühmtes Haupt der Schule von Bec, angezogen. In
der geistigen Welt beherrschte dieser damals das Feld, namentlich
durch seine Kontroverse mit Berengar über die Eucharistie,
die eingehend behandelt wird. Lanfrank und Anselm waren einander
kontrastierende Gestalten. In der Theologie sollte Anselm
seinen einstigen Lehrer weit überragen.

Die Darstellung der Beccer Zeit erschöpft sich zum größten
Teil in der Charakterisierung seiner Werke. Mehrere Seiten (73
—76) gelten auch den Freundschaftsbriefen, in denen die emotionalen
Ergüsse der Frühzeit zu ergründen gesucht werden. Nach
seiner Erhebung zum Erzbischof von Canterbury im Jahre 1093
setzen diese jäh aus. Der Artikel von A. Fiske, „St. Anselm and
Friendship", Studia Monastica 3 (1961), 259—290, wurde noch
nicht berücksichtigt.

Das Hauptgewicht wird auf Anselms englische Zeit gelegt,
deren Quellen der Verf. souverän beherrscht. Umwälzende Ergebnisse
in der Darstellung der kirchenpolitischen Ereignisse
durften nicht erwartet werden, da wir hier fast ganz auf Eadmers
Darstellung angewiesen sind und auch S. über keine neuen
Quellen verfügt. Aber es wird uns über eine Reihe von Einzelheiten
Aufschluß gegeben, die sich in einer kurzen Besprechung
nicht wiedergeben lassen.

Ein wesentlicher Punkt darf jedoch nicht unbesprochen
bleiben. Nach S. ist Anselm, so groß und sicher und voller originaler
Ideen er als Philosoph und Theologe war, zu praktischen Aufgaben
unfähig gewesen, namentlich sei er als Staatsmann ohne
jede Konzeption (vision) gewesen und habe deshalb völlig versagt
. Dem können wir nicht zustimmen. Wohl ist es aber wahr,
daß Anselm — aus seiner monastischen Haltung heraus — die
weltlichen Geschäfte nicht liebte und sich ihnen, wo er es ohne
Verletzung einer Gewissenspflicht konnte, entzog. Aber nachdem
er sich einmal zu seiner exponierten Stellung als Erzbischof
und als Primas von England gezwungen sah, hatte er sehr wohl
feste Grundsätze, nach denen er unbestechlich handelte. Unter
schwierigsten Verhältnissen — man denke an die beiden despotischen
Könige Wilhelm Rufus und Heinrich I., oder an den
Verrat durch den gesamten vom Hofe abhängigen und ihm verschriebenen
Episkopat, oder an die manchmal ungenügende Unterstützung
durch Rom — erreichte er durch seine Standhaftigkeit,
bei aller Vornehmheit in der Form, nichts weniger als die Freiheit
der englischen Kirche von der weltlichen Gewalt, die unter
Wilhelm dem Eroberer und seinem getreuen Diener, dem praktisch
so befähigten Lanfrank, verloren gegangen war. Er stellte
die lose gewordene Verbindung mit dem päpstlichen Stuhle
wieder her und verhalf dem rechtmäßigen Papst zur Anerkennung
in England. Ein größeres Lob läßt sich für einen Kirchenmann
(nicht Staatsmann!) wohl nicht denken. Durch diese Haltung
reihte sich Anselm unter die großen Bischöfe der Kirche
ein und konnte für die Zukunft jedem Kirchenfürsten zum gültigen
Vorbild dienen. Eine gewisse Unsicherheit in taktischen
Fragen, besonders am Anfang, spielt demgegenüber keine erhebliche
Rolle.

Der Erörterung der politischen Ereignisse fügt S. ein interessantes
Kapitel über die Umgebung Anselms in Canterbury an.
Dem Haushalt stand der in weltlichen Geschäften gewandte,
dabei wundersüchtige Balduin vor. Mit ihm war Eustachius aus
Bec gekommen. Alexander, der in den „Dicta Anselmi" Anselms
geistliche Vorträge festhielt, bildete mit Balduin Anselms
Gesandtschaft an den Papst. Alle drei waren mit Eadmer, der für
die Liturgie verantwortlich war, Anselms Begleitung im zweiten
Exil.

Als theologische Erben Anselms zeichnet S. Gilbert Crispin,
Abt von Westminster; dann Radulf, wohl Mönch von Caen,
dann Abt von Battie; schließlich Honorius Augustodunensis,
dessen Herkunft rätselhaft bleibt, und der nach Meinung S.s ein
Ire war. Auf ihn geht er näher ein. Es wird aber festgestellt, daß
Anselms Einfluß auf die Theologie, von seinen nächsten Schülern
aus dem Benediktinerorden abgesehen, sich nur langsam geltend
machte.

Anselm wirkte auf seine Zeitgenossen am mächtigsten durch
seine Reden, sei es im Kapitel oder bei Tisch oder zu anderen
Gelegenheiten. Von niemandem sonst im Mittelalter sind so viele
Reden aufbewahrt worden wie von ihm, sowohl von Eadmer in
seiner „Vita Anselmi" wie von Alexander in den „Dicta" und
besonders von dem Kompilator des weitverbreiteten Werkes
„De similitudinibus".

Hier möchte ich S. dahin berichtigen, daß diese Kompilation
der Hauptsache nach aus zwei Werken besteht: dem „De morum
qualitate per exemplorum coaptationem" eines Unbekannten,
der aber zweifellos der Kommunität von Canterbury angehörte
und mit dem Kompilator nicht identisch sein kann, da sein Werk
darin korrumpiert ist (c. 1—146); und den „Dicta Anselmi" des
Alexander (die Edition dieser beiden Werke befindet sich durch
S. und mich in Vorbereitung). Daran schließen sich Auszüge aus
Eadmers „Vita Anselmi". In die Kapitel 47—71 hat der Kompilator
das Werk Eadmers „De beatitudine caelestis patriae"
hineinverwoben. Für die Annahme S.s, daß der Verf. der Kompilation
außerhalb Canterburys zu 6uchen sei, besteht m. E. kein
triftiger Grund. — Daß ferner der „Sermo de ordinatione beati
Gregorii episcopi", der sich unter Eadmers Werken findet, auf
eine Predigt Anselms zurückgehen soll (App. II, S. 364—366), ist
eine gewagte Hypothese. Früher (Mediaeval and Renaissance
Studies I [1941] 6) nahm S. mit M. Rule an, daß der Sermo eine
Predigt Eadmers in St. Andrews in Schottland wiedergibt.

Dem Schrifttum Anselms wird verhältnismäßig wenig Raum
gewährt. Wir finden keinen Abschnitt über Anselms Lehre,
sondern die Erörterungen zu einzelnen Werken werden in die
Darlegung des Lebensganges eingeflochten. Der originale Charakter
der Werke, ihre neue Methode, ihr augustinischer Einfluß
wird deutlich gemacht. Bei den „Gebeten und Betrachtungen"
wird ihre Neuartigkeit, ja „Revolution" gegenüber der Tradition
herausgearbeitet. Zu „De grammatico", einer „Einführung in die
Dialektik", wird bemerkt, daß ihr Wert oft unterschätzt wurde,
heute aber das Interesse seitens linguistischer Philosophen, wie
von D. P. Henry, findet. Ausführlicher werden das „Proslogion"
(57—66) und besonders „Cur Deus Homo", dem ein eigenes
Kapitel gewidmet wird, behandelt (77—121); immer unter neuen
Gesichtspunkten.