Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

195-197

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Diepen, Herman M.

Titel/Untertitel:

Douze dialogues de christologie ancienne 1965

Rezensent:

Andresen, Carl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

195

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

196

D i c p e n, Dom H. M., O. S. B.: Douze Dialogues de Christologie
ancienne. Rom: Herder 1960. 247 S., 1 Farbtaf. 8°. Kart. Lire
2000.— ; DM 16.—.

Die 12, vom Verf. mit vollem Bedacht (p. 11) so bezeichneten
„Dialogues" sind in ihrem Grundstode aus zwei längeren
Aufsätzen hervorgegangen. Mit dem einen beteiligt sich D.
als Mitglied der Pontificia Academia Theologica Romana an
dem, anl. ihrer Neukonstituierung erschienenen Eröffnungsband
des Akademieorgans unter dem Titel: „Stratagemes contre
la Theologie de rEmmanuel", Divinitas 1, 1957, 444—478 (jetzt
= Dial. l/II). Der zweite erschien unter der Überschrift „Les
douze Anathematismes au Concile d'Ephese et jusqu'en 519",
Rev. Thomiste 55, 1955, 300—338 (jetzt = Dial. III/VI) und
war durch die Kritik von Christmas Moeller (RHE 49, 1954,
909) an der Monographie des Verfassers „Les Trois Chapitres
au concile de Chalcedoine", Oosterhout 1953 ausgelöst. Zu
diesem, durch Ergänzungen, Umstellungen und damit verbundene
Akzentverschiebungen der Polemik überarbeiteten Grundstock
sind 6 weitere Kapitel gekommen, welche die angeschnittene
Thematik (Orthodoxie Cyrills v. Alexandrien, dogmatische
Bewertung seiner Anathematismen gegen Nestorius
durch Rom) über Gregor d. Gr. hinaus bis hin zur Encycl.
Pius'XII. „Orientalis Ecclesiae decus" anl. des 1500jährigen
Todesjahres von Cyrill 1944 weiterverfolgt. Daß Pius XII. gleichfalls
die von D. als Zeugen für die Orthodoxie Cyrills beschworenen
Päpste zitierte, schließt zweifelsohne den Kreis der Beweisführung
in diesem Sammelband, dessen Geschlossenheit der
Verfasser in der abschließenden Zusammenfassung (233 ff.)
stark betont, weckt zugleich aber auch beim Leser das Interesse
an der Frage, wer den Entwurf dieser Enzyklika gemacht hat.
Im übrigen wird er den einheitlichen Charakter der Aufsatzsammlung
nur dann mitempfinden können, wenn er sein Interesse
auf die geschichtsmethodischen Ausführungen des Verfassers
, die vor allem in dem Abschlußkapitel „Saint Cyrille et
le Concile d'Ephese dans la consciense historique de I'Eglise"
(250 ff.) niedergelegt sind, konzentriert. Sie seien deshalb auch
in den Mittelpunkt dieser Anzeige gestellt, die darin zugleich
einer Bitte des Autors entspricht, „de ne pas opposer une fin de
non recevoir ä nos conclusions mais d'en discuter les fonde-
ments" (233).

l) Allerdings werden an den „historien de notre epoque"
nicht geringe Anforderungen der Diskussionsbereitschaft gestellt
. Schon die Art, wie aus der gegenwärtigen Debatte um die
Geschichtswissenschaften und ihre Methoden der Geschichtsdeutung
Kapital geschlagen wird, kann ihn verdrießlich
stimmen:

Er wird zunächst auf drei „Fehlerquellen" historischer Methode
hingewiesen. Einmal werde er bei dem Versuch, in seiner Darstellung
Geschichte zu rekonstruieren, allzu leicht ein Opfer seiner subjektiven
Prämissen. „Et ceci se produit inevitablement quand l'infidele s'en-
hardit ä narrer l'histoire de I'Eglise" (218), was an Ed. Schwartz und
seine als „Pamphlet" bezeichnete Untersuchung „Cyrill und der Mönch
Viktor" (Ak. Wien, 1928) konkretisiert wird: er repräsentiere den
„Protestant liberal, type du savant du 19e siecle, erudit parfait et con-
naissant admirablement ses soucres, depourvu seulement de cette con-
naturalite qui est indispensable pour penetrer dans le domaine sacre"
(219). — Die zweite Fehlerquelle sei „l'infiltration d'un element de foi
humaine dans le domaine de toutes les Sciences" (221), womit die
Übernahme früherer Forschungsergebnisse und das Fortschleppen von
Fehlurteilen von einer Generation zur anderen gemeint ist, — eine
Fehlerquelle, die selbst bei der Überprüfung derselben anhand von
Quellen bestehen bleibe. — Drittens wird ein wissenschaftlicher „Snobismus
" genannt, der sich kritiklos den „neuesten und gewagtesten"
Thesen nur deshalb anvertraue, weil diese „in Mode sind". Wohl sei
dem Profanhistoriker die Redlichkeit objektiver Quellenforschung, das
Bemühen diskreten Zurücktretens hinter der wörtlichen Zitation
seiner Quellen zuzubilligen, was gelegentlich das subjektive Element
der Geschichtsinterpretation „auf ein Minimum" reduzieren könne
(222 f.). Der „historien catholique" besitze jedoch in dem „Geschichtsbewußtsein
der Kirche" (ein von Pius XII. anl. des Empfangs des
10. Internationalen Historikerkongresses zu Rom 1955 geprägter Begriff
) ein noch objektiveres Kontrollmittel. Dasselbe aktualisiere auf
historischer Ebene das zeitlos gültige Erbe des geoffenbarten Glaubens
und spreche sowohl aus den Kirchenvätern (dem „Mund des heiligen
Geistes") wie aber auch aus den päpstlichen Verlautbarungen, sei es
Pius XI. in der Encycl. „Lux veritatis" (1931 anl. der 1500 Jahrfeier

des Konzils v. Ephesus) oder der eingangs erwähnten von Pius XII.
1944: „ils commandent notre obeissance" (232).

Hier wird vom Boden der allgemeinen Geschichtshermeneutik
aus argumentiert, um zunächst die profane Geschichtserkenntnis
mit dem Odium ihres Subjektivismus der Urteils-
findung zu belasten, andererseits katholischer Historik in einem
Geschichtsbewußtsein transsubjektiver Art die Prärogative der
Objektivität zuzuschreiben. Um aber die immer wieder betonte
Bejahung historischer Methoden auch auf dieses „Geschichtsbewußtsein
der Kirche" zu begründen, wird ein ontologisches
Argument herangezogen: „Ce qui est düment demontre, dans
n'importe quelle science, appartient desormais au domaine de la
verite, et celle-ci est toujours 6acree et intangible. Rien ne sau-
rait Iui etre oppose, meme pas au nom de la foi, car le vrai ne
peut etre contraire au vrai. Un seul et meme en effet, le vrai
Dieu, disait Pie XII, est Auteur de toute verite" (217). Die Absolutheit
transzendentaler Wahrheit setzt die Objektivität ihrer
Manifestation in der Geschichte schlechthin, wobei die Kirchen-
und Dogmengeschichte nur ein Ausschnitt darstellt. So kann der
„katholische Historiker" sogar davor gewarnt werden, „d'oppo-
ser un veto ä la science" (229), indem er gleichzeitig auf die
metaphysischen Prämissen des von ihm zu fordernden Geschichtsbegriffes
aufmerksam gemacht wird: . . . puisque'il s'agit
d'une histoire sacree (gesperrt vom Verf.) et qui deborde
donc le domaine proprement scientifique de l'histoire" (235).

Wie aber ist unter solchen Prämissen eine fruchtbare Diskussion
zu führen? Sie lassen letztlich nur zwei Alternativen
offen — entweder die der Bejahung des dogmatischen Konzeptes
eines magisterium ecclesiae, dessen „Geschichtsbewußtsein"
durch die cathedra Petri normative Verpflichttung für den Gläubigen
wird, d. h. aber die Konversion des Profanhistorikers
oder die polemische Auseinandersetzung mit dem Autor, sei es
nun seine Geschichtsmetaphysik neuthomistischer Prägung (der
Begriff einer Geschichtstheologie würde ihm nicht gerecht), 6ei
es die Legitimität seines Rekurses auf die geschichtshermeneu-
tische Debatte und den, unter ihrem Eindruck von Pius XII. geprägten
Begriff des „Gesdiichtsbewußtseins der Kirche". Dabei
macht der Verfasser dem Gegner sogar die Auseinandersetzung
sehr leicht. Gerade in dem Zusammenhang, wo er gegenüber der
Cyrill-Enzyklica Pius' XII. die Gehorsamspflicht geltend macht,
heißt es: „Iis (sc. les textes) sortent d'une plume tres avertie
des publications dans tous les domaines de la science sacree"
(232) daher wird das Eingeständnis gemacht, daß auch der
Mund der Kirchenväter (der Papst) bei der Aktualisierung des
„Geschichtsbewußtseins" sich nicht von der Geschichtsforschung
dispensieren kann, dh. aber darin nicht der Kontingenz der Ge-
sdiichtshermeneutik entzogen ist.

2) So bleibt der „Historiker unserer Epoche" in Wahrheit
nur angesprochen, um nicht zu sagen: umworben. Angegriffen
sind jedoch andere! Wie Dialog 1 eindeutig ausspricht, richtet
sich die Polemik des Autors einmal gegen die Versuche von
A. Gaudel und P. Glorieux, der antiochenischen Christologie des
Homo assumptus für die katholische Dogmatik systematisches
Gewicht zu verleihen, wobei man nicht die Kritik an dem
cyrillischen Grundzug der Christologie des Aquinaten scheut
und für ihn nur die Entschuldigung anführen kann, er habe den
pseudo-apollinaristischen Charakter jener Quellen nicht erkannt,
die bereits Cyrill von Alexandrien bei seinem Appell an sie verkannt
habe. Letzteres hatte bereits H. Lietzmann bei der Edierung
des Apollinarisnachlasses (1904) festgestellt, „mais qui
n'etait pas catholique" (23). Darüber hinaus hatte Duchesne in
seiner Kirchengeschichte, spez. bei der Darstellung von Ephesus
und Chalkedon, aus solcher Quellenanalyse die Folgerungen für
eine Würdigung gezogen: nun hier gilt für den Autor das
Prinzip „de mortuis nil nisi bene" ,,il etait un bon pretre"
(näher begründet durch eine Fußnote bzw. einem Zitat aus einer
älteren französischen Untersuchung zu Abelard und Bernhard
von Clairvaux). Anders hingegen wird mit den katholischen
Forschern der Gegenwart verfahren. Galtier, der die These
von den apollinaristischen Fälschungen aufgenommen hat, oder
Christmas Moeller, der ähnlich wie Duchesne bezweifelt, daß in
Chalkedon 451 den Anathematismen Cyrills ökumenische An-