Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1965

Spalte:

190-192

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Von der Sendung des Johannes bis zur Begegnung mit Maria Magdalena 1965

Rezensent:

Grundmann, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

189

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

190

Kirche zurückgeht. In der mündlichen Weitergabe durch die Gemeinden
erfuhr der Stoff — in begrenztem Umfang — mancherlei Veränderungen,
im Gottesdienst, im katechetischen Gebrauch (dazu 269—275), in der
Missionspredigt, wie an Beispielen gezeigt wird. Die kleinen Einheiten
wurden vermutlich rasch gruppiert; eigentliche Sammlungen
ordnen sich dann um ein Thema (284) usw. Für die Passionsgeschichte
vermutet L.-D. mehrere Vorstufen; darin sind nach ihm z. B. die Verschiedenheiten
zwischen Matth./Mark, einerseits und Luk./Joh. andererseits
begründet (287) usf. Die Texte, die neben den Sammlungen
weiterhin mündlich umliefen, und erste literarische Redaktionen beeinflußten
sich gegenseitig (288) etc. Die Zwei-Quellen-Theorie ist
in das Museum der Hypothesen zu verbannen (289, vgl. 234 f.). Kap.

XI führt schließlich, u. a. nach einer Erörterung bestimmter für die
zuverlässige Weitergabe des Stoffes günstiger Bedingungen, auf die
vorösterliche Gemeinde und ihre Mission als die Quelle der Tradition
zurück (vgl. Riesenfcld, Gerhardsson, Schürmann).

Der letzte Teil des Buches gibt, auf der Basis der vorangehenden,
.Prolegomena zu einer Geschichte Jesu Christi, unseres Herrn'. Kap.

XII erörtert die historische Zuverlässigkeit der Überlieferungen. Die
Frage nach den ipsissima verba Jesu ist zu stellen, ihre Bedeutung
aber auch nicht überzubewerten (32 5; die .objektive Wahrheit' der
Worte Jesu hängt nicht an dem buchstäblich vom Irdischen Gesagten,
sie ist bewahrt durch den Geist, der den vielfachen Sinn seines Wortes
offenbart (334, Anführungszeichen L.-D.). Im einzelnen werden dann
die Erzählungen unter den Gesichtspunkt des Kap.s gestellt, gerade
auch von ihm her schwieriger zu beurteilende, und z. T. kritische Bemerkungen
gemacht. Das Kap. schließt mit dem Versuch einer Skizze
des äußeren Ablaufs der Wirksamkeit Jesu. — Kap. XIII faßt vor
allem die Verkündigung Jesu zusammen: die Aussagen über die Gottesherrschaft
, über Gott, das Verhältnis des Menschen zu Gott usw.
Jesus wird verstanden als der Sohn, die Kirche als das Gottesvolk
(sie ist nicht mit der Gottesherrschaft zu identifizieren [426], bereitet
6ie aber vor und geht am Ende in ihr auf [432]). Die Auferstehung
fügt sich in bestimmtem Sinn in die Geschichte ein und ist zugleich
ein Geheimnis des Glaubens (442). — Kap. XIV (s. o.) geht von
dem Satz aus, daß der Historiker auch die Beziehung zu erhellen hat
zwischen dem vergangenen Ereignis (in Jesus von Nazareth) und dem
glaubenden Verständnis Jesu als des Herrn (453). L.-D. erörtert zunächst
die Bedeutung des Geistempfangs für das kirdiengründende
Zeugni6 der Apostel. Sodann kennzeichnet er nochmals die Evangelien
nach ihrer Eigenart, nun unter dem Stichwort (das Jesusgeschehen als)
■der Sinn der Geschichte' (in der Darstellung der Passion durch Luk.
ist Jesus der Typus des verfolgten Gerechten; im Joh.-Ev. ist sie
Jesu Triumphweg zum Vater [464]). Für das Joh.-Ev. werden hier
schließlich besonders die transzendenten Züge des Jesusbildes herausgearbeitet
.

Literaturverzeichnis, Sach- und Stellenregister schließen das Buch
ab. In den Anmerkungen ist — ohne geographische oder konfessionelle
Begrenzung — auf eine Fülle von Monographien und Aufsätzen vor
allem neueren Datums verwiesen.

Da L.-D. schon seinerseits weithin zusammenfassend darstellt
, konnten hier im ganzen nur die wichtigsten Stichworte
und in ihrem Zusammenhang bestimmte Thesen seines Buches
genannt werden; die zahlreichen weiterführenden Hinweise zu
Kritik und Interpretation des Traditionsstoffes und zur Beurteilung
seiner Verwendung in den Evangelien und auch manche
großen Linien der biblischen Theologie, die L.-D. zieht, wollen
im einzelnen verarbeitet sein. Vor allem aber wird man sich
mit seinem Buch als ganzem auseinandersetzen müssen, das von
der historischen Forschung her — einer Forschung, die durch
ihre Erkenntnisse weder den Glauben ersetzen noch ihn an sich
begründen noch etwa seinen Gegenstand bestimmen will (20);
Jesus, der Herr, allein vermag das versiegelte Buch zu öffnen
(mit einem Hinweis darauf schließt das Ganze bedeutungsvoll)
— zu einem einheitlichen Verständnis des irdischen und des erhöhten
Jesus Christus vorzudringen bemüht ist, dessen Wirken
als irdischer und erhöhter eines ist. Mag man in Voraussetzung
und Folgerung manches — und z. T. Entscheidendes — anders
sehen, sei es im Bereich der biblisch-theologischen Aussagen, sei
es in dem der Grundlagen: es wird jedenfalls zur Klärung
der uns neu aufgegebenen Frage der Beziehung der Offenbarung
zu der Geschichte, in der Gort handelnd sich kundgetan hat,
hilfreich sein, mit der hier vorgetragenen Auffassung des Kon-
tinuums zwischen dem irdischen Jesus und dem Christus des
Glaubens ins Gespräch zu kommen, in ein beteiligtes und zum
Hören bereites und deshalb fruchtbares Gespräch.

Halle/Saale Gerhard Delling

Bernard, P. R., O. P.: Das Mysterium Jesu. Bd. 1: Von der Sendung
des Johannes bis zur Begegnung mit Maria Magdalena.
Bd. 2: Von der Mission in Galiläa bis zum letzten Gang nach
Jerusalem. [Ins Deutsche übertr. von H. P. M. S c h a a d und K.
Faschian]. Basel, Freiburg, Wien: Herder [1959/1960]. 469 S. u.
606 S. 8°. Lw. DM 26 — u. DM 29.50.

Die vorliegende Arbeit des französischen katholischen Theologen
P. R. Bernard ist unter dem Titel Le mystere de Jesus 195 7
in der Bibliotheque Catholique, geleitet von Jean Fabregues, erschienen
und von Dr. phil. Herbert Peter Maria Schaad und Dr.
Konstanz Faschian ins Deutsche übertragen worden. Der Titel „Das
Mysterium Jesu" enthüllt, worauf es dem Verfasser ankommt: Er
will in einer vollständigen Interpretation der in den vier Evangelien
enthaltenen Jesusüberlieferung zur Begegnung mit Jesus führen
, indem er den Gang der Geschichte Jesu darstellt und dabei sein
Mysterium enthüllt. So ist also das Werk, das in zwei Bänden
von über tausend Seiten vorliegt und noch unvollendet ist — es
reicht bis zum Einzug in Jerusalem und der Verfluchung des
Feigenbaumes (Mark. 11, 12—14.18.19.), — ein Dokument der
Bemühung der katholischen Bibeltheologie eben um das Mysterium
des vorösterlichen Jesus. Seine rasche Übertragung ins
Deutsche, sein ebenso rasches Erscheinen wie seine Ausstattung
zeigen, welchen Wert die katholische Publizistik auf dieses
Jesusbuch legt. Dem mit der Jesus-Forschung der historischkritischen
Theologie vertrauten Rezensenten wird es, auch wenn
er die Grenzen der historisch-kritischen Forschung und ihre Einseitigkeit
zu erkennen meint, dennoch nicht leicht, diesem Werk
wirklich gerecht zu werden. Das ist begründet in der Art, wie
in ihm Aufnahme gewisser Erkenntnisse der historisch-kritischen
Forschung, fast naiv anmutende fundamentalistisch-historische
Beurteilung der Überlieferung und der meditative Charakter der
Auslegung verbunden werden. Daß die Jesusüberlieferung der
Evangelien von Ostern her gestaltet ist und von da aus die
Geschichte des vorösterlichen Jesus bestimmt wird, das wird
nicht erkennbar. Die formgeschichtliche und redaktionsgeschichtliche
Forschung besteht offenbar für Bernard überhaupt
nicht. Die Evangelienberichte werden vielmehr als Geschichte
des vorösterlichen Jesus verstanden, und sein Mysterium soll
gesucht und enthüllt werden. Wir sind freilich gern bereit, uns
durch eine solche Darstellung fragen zu lassen nach dem Grund
des Ostergeschehens in der Geschichte des vorösterlichen Jesus.

Das Mysterium Jesu hat seinen entscheidenden Schlüssel in
Joh. 3, 14—21 und 31—36; der Passus wird überschrieben ,Tiefe
Gedanken über das Mysterium Jesu" (I S. 113—119). Es wird
verstanden als trinitarische Theophanie, und zwar als in den
Dienst unserer Erlösung gestelltes Mysterium der Menschwerdung
Gottes (I 53). Diese Theophanie vollzieht sich in
Offenbarungen, die denen mitgeteilt werden, die sie ertragen
können (I 66). Dieses Mysterium enthüllt sich u. a. darin, daß
Jesus ist, was er sagt; so heißt es z.B. zu den Seligpreisungen:
,,Er hat diese Seligkeiten so in seinem Leben, wie er sie in
6einer Lehre vorträgt. Er hat sie alle, sowohl die der Kleinen
wie die der Großen. Er hat alle ihre Verdienste; er trägt ihren
ganzen Lohn. Er ist ganz und gar selig, so wie er die Seinen
einlädt, selig zu werden. Die Seligpreisungen sind ein Bild
seiner selbst" (I 412), ein übrigens durchaus zutreffendes Urteil.
Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Da Bernard die
Enthüllung des Mysteriums in seinem vollen Umfang in die
Geschichte des vorösterlichen Jesus zurückträgt, gewinnt für ihn
das Johannes-Evangelium als ausgezeichneter Ausdruck dieses
Mysteriums den Charakter eines historischen Berichtes, der mit
den Synoptikern zu einem Ganzen verbunden werden muß. Die
Frage nach der historischen Bedeutung der johanneischen Traditionen
ist uns freilich neu aufgegeben; es sei auf C. H. Dodds
zweites großes Werk zum Johannes-Evangelium unter dem Titel
,,Historical Tradition in the Fourth Gospel" hingewiesen. Bernard
schafft sich im Grunde eine neue Evangelienharmonie und
greift dabei auf alte Bemühungen dieser Art bis hin zu Tatian
zurück.

Die Darstellung der Geschichte Jesu und die Enthüllung seines
Mysteriums wird durch die vier Evangelien bestimmt. In Übereinstimmung
mit Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung ist für
Bernard das Markus-Evangelium das älteste unter den vier Evangelien.