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Ausgabe:

1965

Spalte:

184-187

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jüngel, Eberhard

Titel/Untertitel:

Paulus und Jesus 1965

Rezensent:

Käsemann, Ernst

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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183

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

184

Das gleiche gilt für den Messiastitel: natürlich hat dieser
im Laufe der Zeit auch eine allgemeinere, übertragene Bedeutung
angenommen, ohne daß jedesmal der förmliche Akt
einer Salbung vorausgesetzt wäre, aber abstrahiert wird immer
von einem Konkreten. Und da scheint es doch methodisch
falsch, von einem der spätesten Belege, Jes 45, 1 (und dazu
noch Sach 4, 14) auszugehen, wo es sich noch dazu um einen
Ausländer handelt. Daß dort natürlich abstrahiert ist, beweist
noch nichts für die Anfänge. Und eine „theologische" Aussage
wie 2. Sam 12, 7 steht nicht frei im Raum, sondern bezieht sich
auf eine entsprechende kultische Praxis zurück.

Am aufschlußreichsten scheint mir der von Kutsch als
„Sonderfall" beurteilte Akt der Salbung Salomos zu sein
(l. Kön 1; S. 56). Wenn David hier, um die Nachfolge Salomos
zu sichern, an diesem zu seinen eigenen Lebzeiten die Krönungsriten
vollziehen läßt (ein auch in Ägypten bekannter Brauch)
und dazu auch die Salbung gehört, die durch den Priester Zadok
(V. 39) zusammen mit dem Propheten vollzogen wird, beweist
das, daß ein Davidide durch einen Vertreter Jahwes gesalbt
sein mußte, um als legitim in sein Amt eingesetzt zu gelten.
Eine ungewöhnliche Form hätte gerade in diesem Falle Verdacht
erregt, 6tatt die Lage zu sichern, und so mußte David möglichst
legitime Wege gehen, um seinen Willen durchzusetzen. Der Bericht
in 1. Kön 1 scheint also gerade (zumal er von einem
Augenzeugen stammen könnte) beispielhaft für die tatsächliche
Institution zu sein, und das Miteinanderwirken von Priester
und Prophet ist sicher für das legitimistische Südreich bezeichnend
. Die Einsetzung durch das Volk (die Ältesten usw.) steht
dazu keineswegs im Widerspruch, da die sakralen Handlungen
natürlich durch kultische Funktionäre ausgeführt
werden. Daß es nicht auch im Hethiterreich so gewesen ist,
erscheint keinesfalls sicher. Und nur so erhält der Titel
tY6V rmrä einen wirklichen konkreten Sinn.

Hingewiesen sei noch auf die wieder den außerisraelitischen
Bereich betreffenden beiden Schlußabschnitte, die von der
Überreichung von Salböl als Huldigungsakt zwischen altorientalischen
Königen und von der Salbung von Gründungsurkunden
an Tempeln unter Nabonid handeln (S. 66—70) und neue Erkenntnisse
vermitteln.

Kiel Henning Graf ReYentlow

Feuillet, Andre: Einige scheinbare Widersprüche des Hohenliedes

(BZ 8, 1964 S. 216—239).
Gamberoni, Johann: Das Elterngebot im Alten Testament (BZ 8,

1964 S. 161—190).
Haspecker, Josef: Religiöse Naturbetrachtung im Alten Testament

(Bibel und Leben 5, 1964 S. 116—130).
Holt, John Marshall: „So He May Run Who Reads It" (JBL 83, 1964

S. 298—302).

Kingsbury, Edwin: The Prophets and the Council of Yahweh

(JBL 83, 1964 S. 279—286).
Köbert, R.: Achamoth (Bibl 45, 1964 S. 254 f).

L e D e a u t, R.: Miryam, soeur de Moise, et Marie, mere du Messie
(Bibl 45, 1964 S. 198—219).

L e 11 a, Alexander di: The Recently Identified Leaves of Sirach in
Hebrew (Bibl 45, 1964 S. 153—167).

Lohfink, Norbert: Auslegung deuteronomischer Texte. II. Ein Kommentar
zum Hauptgebot des Dekalogs (Dt 6,4—25) (Bibel und
Leben 5, 1964 S. 84—94).

Loretz, Oswald: Zum Problem des Eros im Hohenlied (BZ 8, 1964
S. 191—216).

Marquardt, Friedrich-Wilhelm: Die Bedeutung der biblisdien Landverheißungen
für die Christen. München: Kaiser 1964. 56 S. 8° =
Theol. Existenz heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. 116.
DM 3.80.

Osten-Sacken, Peter v. d.: Bemerkungen zur Stellung des
Mebaqqer in der Sektenschrift (ZNW 55, 1964 S. 18—26).

Pope, Marvin: The Word nnti in lob 9,31 (JBL 83, 1964 S. 269
—278).

Rad, G. von: Theologie des Alten Testaments. II. Die Theologie der

prophetischen Überlieferungen Israels. Nachdr. d. 3. Aufl. Berlin:

Evang. Verlagsanstalt [1964]. 448 S. gr. 8°.

(s. Bespr. in ThLZ 1961, 11, Sp. 801 u. 1961, 12, Sp. 895).
Schmidt, Werner: Jerusalemer El-Traditionen bei Jesaja (ZRGG 16,

1964, S. 302—313).

S c h u n c k, K.-D.: Strukturlinien in der Entwicklung der Vorstellung

vom „Tag Jahwes" (Vetus Testamentum 14, 1964 S. 319—330).
Ziegler, Joseph: Zwei Beiträge zu Sirach (BZ 8, 1964 S. 277—284).

NEUES TESTAMENT

Jüngel, Eberhard: Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung
der Frage nach dem Ursprung der Christologie. Tübingen:
Mohr 1962. IX, 319 S. gr. 8U = Hermeneutische Untersuchungen
zur Theologie, hrsg. v. G. Ebeling, E. Fudis, M. Mezger, 2. Kart.
DM 22.— ; Lw. DM 26.50.

Aus mancherlei Gründen lohnt es sich, dieses Buch zu lesen
und zu bedenken. Ein altes Thema wird hier mit den Mitteln
und Kategorien einer neuen Situation exegetisch, historisch,
systematisch durchreflektiert. Löblicherweise geschieht das in
dichter Sprache, zuweilen freilich recht abstrakt, mit vielen funkelnden
, gelegentlich gar zu geistreichen Einfällen, durchsichtig,
zielstrebig und aus einer Belesenheit heraus, die dem Autor Ehre
macht und den Leser in den letzten Diskussionsstand stellt.
Ausgezeichnete Analysen befassen sich mit der Forschung zur
paulinischen Rechtfertigungslehre, dem historischen Jesus, dem
Menschensohnbegriff, dem Problem der Eschatologie und, besonders
gut gelungen, der Gleichnis-Interprgation. Sie füllen
mehr als ein Drittel der Monographie. Schon aus ihnen ergibt
sich, daß das Gewicht des Ganzen auf der Frage nach dem Verhältnis
des verkündigten zum verkündigenden Jesus ruht. Paulus
wird relativ kurz abgetan, seine Rechtfertigungslehre im allgemeinen
aus Bultmanns Perspektive gesehen. Die Kürze an dieser
Stelle ist, ebenso symptomatisch für die eingeschlagene Methode
wie in der Argumentation problematisch, zwiefach begründet:
Jüngel meint, aus den Strukturen der Rechtfertigungslehre eine
ausreichende Basis für den von ihm angestrebten Vergleich gewinnen
zu können, da sie die Mitte der paulinischen Theologie
sei. Zweitens vertritt er die These, Paulus sei deshalb und darin
Theologe, weil er Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft zu
interpretieren hatte. Damit sind jedoch systematische Postulate
zum Ausgangspunkt einer mindestens auch historischen Untersuchung
gemacht, und es droht von vornherein die Gefahr einer
verkürzten Perspektive. Tatsächlich ist es mein Haupteinwand
gegen das Buch, daß es dieser Gefahr erlegen ist. Wohl erfreut
sich heute das Denken in Strukturen der größten Beliebtheit.
Doch bestätigt sich dem, der historisch arbeitet, immer wieder,
daß man gut tut, damit zu enden, statt so zu beginnen. Nur
sehr wenige vermögen die Strukturen des Stoffes von ihren
Vorurteilen zu trennen, und im vorliegenden Falle wird man
wahrhaftig nicht behaupten dürfen, daß die genannten Prämissen
unbestritten oder gar selbstverständlich wären. Doch ist es das
Recht des Autors, auf seine Weise zu beginnen, und man wird
dem Systematiker nicht verwehren, systematisch zu denken,
wenn er dabei die Sache wirklich einfängt. Eben dadurch erhalten
Anlage und Durchführung jenes Teils einen überraschenden
Reiz, der den größten Umfang hat und dem historischen Jesus
gewidmet ist. Jesu Botschaft ist danach genau so zentral durch
die Gleichnisrede bestimmt wie die des Paulus durch die Rechtfertigungslehre
. Das bedeutet nicht nur, daß hier ein charakteristisches
Element und das zuverlässigste Gut der Jesustradition
aufgedeckt werden soll und formgeschichtliche Erwägungen
diesen Einsatz zweckmäßig erscheinen lassen. Vielmehr gilt, daß
die Gleichnisrede der einigende Grund der Verkündigung Jesu
ist, von welchem aus erst die Gottesanschauung, Eschatologie
und Ethik Jesu in ihrer Zusammengehörigkeit angemessen zu
verstehen sind (173.202), wie sie auch die implizit mit ihr verbundene
Christologie erhellt.

Der naive Leser, den es ja auch unter Theologen noch gibt,
wird freilich nicht gleich begreifen, inwiefern man die Rechtfertigungslehre
mit der Redeform des Gleichnisses vergleichen
kann. Als Fuchs-Schüler erklärt der Autor dazu, daß es sich
beide Male um Ereignisse einer eschatologischen „Sprachgeschichte
" handle, in welcher Gott selbst zur Sprache kommt
(28 3 und passim). Was meint das aber? Zugrunde liegt doch
wohl die biblische Anschauung von den mancherlei Manifestationen
des hypostatisch geschilderten Gotteswortes im Felde der
Heilsgeschichte. Entkleidet man diese Anschauung aus der sie