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Ausgabe:

1964

Spalte:

144-145

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Neill, Stephen

Titel/Untertitel:

Menschliche Existenz vor Gott 1964

Rezensent:

Benckert, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 2

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ersten Teil dargestellten Konzeptionen es vermocht haben, also
da« Zugleich von „Schon" und „Noch nicht" (81 f.). Kreck
unternimmt das in drei parallelen Gedankengängen, deren Aspekte
untrennbar zusammengehören. Der erste hat es mit Jesus
Christus zu tun: er zeigt, wie der Gekommene notwendig als
der Kommende erwartet werden muß. Der zweite faßt die Verkündigung
, das Kerygma ins Auge, seinen Charakter als Verkündigung
und Ankündigung. Der dritte behandelt den Glauben
, sofern er notwendig Hoffnung wird. In dieser dreifacheinheitlichen
Besinnung wird die Notwendigkeit und das Recht
eschatologischer Aussagen begründet. Gesprächspartner und
weithin Gegner ist dabei die heutige existentiale Kerygma-
Theologie, welche den Unterschied von Perfektum, Präsens und
Futurum einebnet zu einer „Umschreibung der immer zukünftigen
, immer aus dem Unverfügbaren lebenden ,eschatolo-
gischen' Existenz" (87). Der erste Gedankengang macht geltend,
daß die Eschatologie primär Christologie ist (wie der Titel des
Buches es schon programmatisch ausdrückt), und zwar Christologie
, die nicht in Soteriologie oder Anthropologie aufgelöst
werden darf (87). Jesus Christus selbst ist unsere Zukunft und
Hoffnung, auf Grund dessen, was er ist, auf Grund seines
Auferstandenseins: „Die Auf erweckung Jesu Christi von den
Toten, welche die Osterbotschaft verkündigt, impliziert die
volle Erlösung des Menschen in seiner Ganzheit, die neue Welt
und die neue Menschheit" (91). So bleibt die Zukunft nicht
leer, sondern hat ihren in der Christologie begründeten Gehalt
. — Im zweiten Gedankengang betont Kreck in eingehender
Auseinandersetzung mit Bultmann (92 ff.): das Kerygma ist
nicht nur Anrede, sondern zugleich Mitteilung, ein Ineinander
von Kunde und Anrede, also nicht „freischwebende Anrede",
sondern Wort von einer geschehenen Tat Gottes, von dem einmal
in Christus Geschehenen (94 f.). Eben deswegen läßt es
auch die Zukunft nicht leer, es verkündet nicht allein die ewige
Zukünftigkeit Gottes, wie Bultmann will, sondern hat den
Charakter einer inhaltlich bestimmten Verheißung (97 ff.). „So
gewiß die Auferstehungsbotschaft nicht nur von einer Bedeutsamkeit
des Kreuzes oder einer Unweltlichkeit Gottes redet,
sondern von dem in aller Unbegreiflichkeit real mit seinen
Jüngern redenden und handelnden lebendigen Herrn, so gewiß
ist auch die Eschatologie bei allem Wissen um die letzte Unangemessenheit
ihrer Worte und Vorstellungen angesichts dessen
, was hier erwartet wird, nicht einfach genötigt, stumm zu
6ein oder nur privativ zu reden" (100). — Dritter Gedankengang
(102—108): der Glaube wird notwendig Hoffnung; das
ist in seinem Gegenstand begründet: dieser wird durch sich
selbst Gegenstand des Hoffens. Inhalt der Hoffnung ist also
mehr als das „Unverfügbare", die Hoffnung auf Gott ist nicht
ohne Hoffnung auf etwas, nämlich auf „ein vom geschehenen
Handeln Gottes her erschlossenes künftiges Handeln Gottes"
(105). Dieser Teil schließt mit einer systematischen Überlegung
zum Verständnis des „Zugleich" von „Schon" und „Noch nicht"
(108 ff.), dabei auch mit Fragen an K. Barth hinsichtlich seiner
Ausführungen in der Kirchlichen Dogmatik § 47 über „Der
Mensch in seiner Zeit".

Der dritte Hauptteil (Gegenwart und Zukunft Jesu Christi,
121—197) konkretisiert die Grundlegung und den Grundzug der
Eschatologie in den drei Stücken: Der Gerichtete als Richter
(121—148): Rechtfertigung und Gericht; Das Gericht nadi den
Werken; Seligkeit und Verdammnis); Der Gekreuzigte als Sieger
über den Tod (148—176: Der Doppelsinn des Wortes Tod;
Jesu Christi Sieg über den Tod; Die Aufhebung des Todes),
Der Erniedrigte als der erhöhte Herr (176—197: Die gegenwärtige
Verborgenheit der Herrschaft Christi; Die künftige Offenbarung
der Herrlichkeit Christi; Die Erwartung des Kommenden
). Diese Ausführungen zu den wichtigsten konkreten loci
der Eschatologie (Jüngstes Gericht, Auferstehung der Toten,
kommende Herrschaft Gottes) sind, wie das Vorwort sagt, nur
als Paradigmen gedacht, das heißt: sie wollen weniger die
Eschatologie nach allen Seiten entfalten als an den wichtigsten
Punkten die Anwendung des im zweiten Teil grundsätzlich Dargelegten
zeigen. Dem Grundgedanken des zweiten Teils, daß
die Möglichkeit, von der Zukunft Jesu Christi zu reden, ihren

Grund in der Gegenwart Jesu Christi hat, in dem „Schon" seines
Gekommenseins, in der das künftige Geschehen verheißen
ist, entspricht nun die Methode, die einzelnen Aussagen abzuleiten
.

Ohne auf diesen Teil im einzelnen eingehen zu können,
möchte ich mit Freude meinen comsensus in allem Wesentlichen
aussprechen. Darüber hinaus sei nur auf einiges Besondere hingewiesen
. In dem Abschnitt über Seligkeit und Verdammnis
kommt Kreck auch auf Barths Erwählungslehre zu sprechen
(142 ff.); er sucht zu zeigen, daß es sachlichen Grund hat, wenn
Barth trotz mancher Sätze, die dahin weisen könnten, sich doch
nicht für die Apokatastasis ausspricht — das sei in seinem Verständnis
der Wirklichkeit begründet, die das Evangelium meint
(„ein Geschehen, das von Gott her entschieden, dennoch nicht
Vergangenheit ist, sondern zugleich Gegenwart und Zukunft,
ein Zugleich, das nur in der Einheit des gekommenen, gegenwärtigen
und kommenden Jesus Christus begründet ist", 145).

— In dem Abschnitt „Jesu Christi Sieg über den Tod" gibt das
Buch einen wertvollen Abschnitt über das Ostergeschehen
(157 ff.). Gegenüber den heutigen Umdeutungen wird noch
einmal festgestellt, was 6chon früher (74) ausgesprochen war:
„Ostern ist nach dem Neuen Testament nicht nur der dialektische
Umschlag des Kreuzes, sondern Gottes neue Tat"; die
Ostertexte sind nicht mythologische Umschreibung der Bedeutsamkeit
des Todes Jesu, sondern ein gewiß „immer unzureichender
Niederschlag der Begegnung selbst, der Selbstbezeugung
des Auferstandenen". Auch hier, wo er die heute gängigen
Auffassungen abweist, spricht Kreck immer wieder aus, worin
sie als Antithese zu einem supranaturalistischen Historismus
recht haben. — Der Abschnitt „Die Aufhebung des Todes"
(165 ff.) legt 1. Kor. 15 schön aus.

Das Buch führt ausgezeichnet in die eschatologische Diskussion
der letzten Jahrzehnte mit ihren theologischen Hintergründen
ein. Es entwickelt den eigenen Standpunkt in fortgehender
eindringlicher und lehrreicher Auseinandersetzung vor
allem mit der existentialen Kerygma-Theologie und setzt ihrer
Verkümmerung der Eschatologie einen aus der Mitte des
biblischen Zeugnisses genährten Entwurf entgegen. Aus Vorlesungen
erwadisen ist das Buch im Stil lebendig und gut zu
lesen.

Erlangen Paul A 11 b a u s

N e i 11, Stephen: Menschliche Existenz vor Gott. Entwurf eines christ-
lidicn Menschenbildes. Übers, a. d. Englischen v. K. D o c k h o r n.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1961]. 304 S. gr. 8°. Lw.
DM 19.80.

Der Titel des Originals lautet: A Genuinely Human Exi-
stence. Towards a Christian Psychology. Während also der
deutsche Titel einen grundsätzlichen systematisch-theologischen
Anspruch anmeldet, läßt der Originaltitel einen Beitrag zur
seelsorgerlich-psychologischen Erziehung des Menschen erwarten.
Diese Erwartung wird auch nicht enttäuscht. Der Verf. bietet
aus reicher Erfahrung und genauer Kenntnis der Psychologie
hilfreiche Anleitung für den Weg aus der Zerrissenheit des
Lebens in ein harmonisches menschliches Dasein. „Ordnung gegen
Freiheit", „Das triebbestimmte Ich", „Ich und Du", „Vorgegebene
und selbstgestaltete Gemeinschaft", „Furcht, Enttäuschung
, Verbitterung", „Der Weg zur Freiheit", „Vollkommene
Freiheit" — diese Kapitelüberschriften deuten die behandelten
Problemkreise an. Das Lebensideal, das den Verf. dabei leitet,
ist vollendete Harmonie. „Wenn der Mensch leben will, wie
er leben sollte, muß er mit seiner Umwelt und seinen Nachbarn
in Einklang leben. Aber zuerst und am meisten muß er mit sich
selbst im Einklang sein. Das Wesen dieses Einklangs ist der
Hauptgegenstand dieses Buchs" (S. 68).

Nun erhebt sich die Frage, woher dieses Leitbild der
menschlichen Persönlichkeit kommt. Die Antwort ist eindeutig

— jedenfalls für den Christen: „Einmal erschien die menschliche
Natur in ihrer Vollkommenheit — in Jesus von Nazareth"
(S. 32 ). Seine vollendete Harmonie aufweisenden Charaktereigenschaften
sind für die Gewinnung einer harmonischen Per-