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Ausgabe:

1964

Spalte:

142-144

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kreck, Walter

Titel/Untertitel:

Die Zukunft des Gekommenen 1964

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 2

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ebenso aber auch der „dilettantische" Soziologe Wilh. Heinr.
Riehl werden als typische Wirkkräfte im protestantisch-konservativen
Meinungsbereich herausgestellt, Stahl sowohl als Riehl
vermögen nicht über ihren bürgerlichen Schatten zu springen
(Ich setze für Riehl ein Fragezeichen). Wicherns Artikel über
den vierten Stand (Fliegende Blätter 1851), auch manche Beiträge
der Kreuzzeitung (Huber!) erweisen größeren Scharfblick
in der Beurteilung der Lage. Mit Recht wird Hermann Wageners
anerkennend gedacht (310, 316 ff.). Für das Scheitern von
Wageners Ideen sind die wirtschaftlichen und rechtlichen Forderungen
des ostelbischen Großgrundbesitzes verantwortlich zu
machen (322). Diese Feststellung bedarf allerdings des Kommentars
. Der Konflikt zwischen industriell und agrarisch geprägter
Gesellschaftsordnung wird meistens einseitig in Betracht
gezogen (und zwar zuungunsten der agrarischen Interessen
und Tendenzen). Der Vorwurf: „Halb-erahnte Wirklichkeit
" ist nur halbwahr, wenn man sich nüchtern Deutschlands
damalige tatsächliche ökonomische Struktur vergegenwärtigt.
(Produktionsstatistik). Auch das Generationenproblem ist hier
zu beachten. Die um 1848 Fertigen konnten in der Regel nicht
mehr mitgehen. Deutlich wird das an Sh.s Schilderung des
spannungsvollen Verhältnisses zwischen Wichern und Huber.
Auch Wichern glich seine Ideen dem preußischen Konservativismus
an. Hübet kam nicht zum Zug. Der preußische Konservativismus
widerstrebte dem Gedanken, daß der Mensch die
Verfügungsgewalt über 6ich selbst besitze und forderte Beugung
unter die traditionelle autoritäre und allumfassende korporative
Herrschaft. Vor 1848 mochte die Bindung an die agrarischen
Traditionen des europäischen Lebens noch verständlich
sein, danach wurde sie Hemmnis, ja Schuld. Kap. 7 ..Eine Ära
konservativen Mißgeschicks" ist besonders instruktiv durch
umfassenden Einbau der Schweizer Verhältnisse in die Gesamtdarstellung
, die sich bis dahin recht einseitig an der preußischen
Situation orientierte. Ferner wird gründlich in die
organisierte Arbeiterbewegung und die weltanschaulichen
Differenzen, die zwischen Marx und Lasalle bestanden (über
letzteren K. Kupisch!), eingeführt. Die Darlegungen Shanahans
bewegen sich jetzt auf voller Höhe. Ich kenne kein Buch, das
so ausgezeichnet auch in die psychische Struktur des Proletariats
einführte. Kap. 8 schließt sich weiterführend an (Protestantismus
und Proletariat). Lasalles Programm begriffen zunächst
Wagencr und Huber. Sie sahen, daß sich die Arbeiter
weder mit karitativen Hilfsleistungen noch mit einer auf die
Industrie übertragenen christlich-patriarchalischen Betreuung zufrieden
gaben. Ebenso versuchte Wichern der Situation Rechnung
zu tragen, erschreckt vor allem durch die Anzeichen dafür
, daß die Arbeiterschaft in den Städten dem Christentum
absagen könnte. Die nach 1860 einsetzenden zahllosen Projekte
konnten die evangelische Geistlichkeit wohl verwirren
und zur Flucht in die Kirchenpolitik verleiten. Der großen Ausnahme
Bodelschwingh wird der Verf. kaum gerecht, weil er
jeweils das durchdachte (oft ja nur theoretische) Programm zu
wenig einfühlend dem mehr charismatischen Impuls in einer
Weise vorzieht, daß letzterer in seiner wahrscheinlich zunächst
viel bedeutsameren realen Auswirkung zu gering angeschlagen
wird. Letzten Endes verbirgt sich hinter dieser Beurteilung wohl
das systematische Problem Naturrecht — Staat, Liebe — christliche
Gemeinde. Daß auch eine aus Liebe auf das „Gebot der
Stunde" horchende Entscheidung nicht ohne Beziehung zu
volkswirtschaftlichen Erkenntnissen gefällt werden muß, zeigt
jedenfalls Wicherns Vorstoß im Jahre 1869. Wichern erkannte
— körperlich bereits in seiner Kraft gebrochen — die Notwendigkeit
des sozialen Realismus an. (Sollte diese Tatsache
nicht Einfluß auf die Beurteilung des früheren Wichern nehmen?
vgl. unser oben ausgesprochenes Bedenken.) Im Jahre 1869 begann
etwas Neues. Welche Tragik liegt darin, daß Wichern die
Führung 1 873'74 abgeben mußte und darum die Stoßkraft der
evangelisch-sozialen Bewegung erlahmte! Immerhin war der
Bann gebrochen. Die soziale Frage geriet nicht mehr in Vergessenheit
. Joh. von Hofmann. Friedrich Naumann und schließlich
Adolf v. Harnack (alle drei werden von Sh. nicht mehr
behandelt1) machen z. B. klare und gediegene Gesichtpunkte für
die Beurteilung der Sozialdemokratie geltend. Es ist zu hoffen,

daß der Verfasser bald die Fortführung seines so inhaltsreichen
Werkes vorlegen kann. Es ist ja nicht selbstverständlich, daß
ein Gelehrter in Amerika sich derartig sachkundig in eine
Problematik einarbeitet, deren Darstellung zu den schwierigsten
Aufgaben der Geschichtsschreibung gehört. Daß ein
Katholik sich dieser Aufgabe unterzogen hat, verdient besondere
Anerkennung. Die kritischen Bemerkungen, die sich im
wesentlichen auf die ersten drei Kapitel bezogen (wahrscheinlich
stellten die folgenden Kapitel den früheren Stammteil des
Werkes dar?), sollen nicht unser Gesamturteil beeinträchtigen.
Shanahans Werk stellt einen sehr bedeutenden Beitrag zur
Geistes- und Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts dar.

Nouendettelsou Friedrich Wilhelm Kantzenbach

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Kreck, Walter: Die Zukunft des Gekommenen. Grundprobleme der
Eschatologie. München: Kaiser 1961. 198 S. gr. 8°. Lw. DM 14.50.
Krecks Buch zerfällt in drei Hauptteile. Der erste (die
Haupttypen der Eschatologie, 14-77) gibt einen Überblick über
die wichtigsten Konzeptionen von Eschatologie in der heutigen
Theologie: hier erscheinen die sog. konsequente Eschatologie
( Buri, Martin Werner), die heilsgeschichtliche (O. CuIImann),
die Eschatologie des hic et nunc, in ihren beiden Gestalten als
Zeit-Ewigkeits-Dialektik (die erste Auflage meiner „Letzten
Dinge", die „Theologie der Krise", d. h. der frühe K. Barth,
E. Brunner — die Kritik daran durch H. W. Schmidt und Urs v.
Balthasar) und als Entweltlichung (R. Bultmann, Fr. Gogarten).
Mit der Darstellung verbindet sich jedesmal schon Kritik: sie
würdigt das Wahrheitsmoment in der jeweiligen Konzeption,
stellt Fragen an sie von den Grundzügen der biblischen Eschatologie
und der in ihr gemeinten Sache her und stellt fest, daß
keine der behandelten Gestalten dem Neuen Testament gerecht
wird. Weitaus am ausführlichsten wird der letzte Typus wiedergegeben
und kritisch behandelt. Kreck geht ernst auf die Gedanken
Bultmanns und Gogartens ein, gibt ihnen das Recht,
das sie angesichts des biblischen Zeugnisses haben, und zeigt
zugleich, wie sie doch eine Verengerung der Eschatologie bedeuten
: ihr berechtigter Gegensatz gegen eine Heilstatsachen-
Theologie führt sie zu einer „verengten und darum verzerrten
Alternative" zwischen der „Geschichtlichkeit" im Sinne des
eschatologischen Hier und Jetzt einerseits, dem Interesse an
Vergangenheit und Zukunft andererseits; dadurch zu einer
Reduktion der Predigt von geschehenen Taten Gottes oder
von erwarteten künftigen auf das ausdehnungslose Jetzt der
kerygmatischen Situation" (75) — alle Eschatologie „schrumpft
zusammen zur Umschreibung der eschatologischen Haltung"
(76), jede „perfektische oder futurische Aussage von Ereignissen
in der Theologie" kommt als illegitim zu stehen, man läßt „die
Christusgeschichte mit der Verkündigungsgeschichte zusammenfallen
" (73). Dabei „kommen gewichtige Momente der biblischen
Eschatologie nicht mehr zum Tragen" (75). Diese Auseinandersetzung
mit Bultmann und Gogarten greift — wie das
bei einer Grundlegung der Eschatologie sachlich gar nicht anders
möglich ist — weit über das im engeren Sinne eschatologische
Feld hinaus. Sie bedeutet einen sehr wertvollen Beitrag zu der
gegenwärtigen Debatte über das rechte theologische Verständnis
der Geschichte und Geschichtlichkeit.

Der zweite Hauptteil, das Mittelstück des Buches (77—119)
hat zum Gegenstand „die Grundfrage der Eschatologie", wie
sie auch durch den Titel des Buches bezeichnet wird: „Die Zukunft
des Gekommenen" — es ist kennzeichnend für die heute
vordringlich gestellte eschatologische Aufgabe, daß auch Emil
Brunners eschatologischer Entwurf von 1955 den entsprechenden
Titel trägt: „Das Ewige als Zukunft und Gegenwart". Es
handelt sich um die Frage, wie sich das „Schon" und „Jetzt"
des im Evangelium zugesagten Heils zu seinem „Noch nicht",
seiner Erwartunng verhält (82). Es gilt, die drei Sätze des
Neuen Testaments, daß „das Eschaton in Jesus Christus bereits
einmal für allemal gekommen ist, daß es in ihm heute und hier
zu uns kommt, und daß es noch kommen wird, obschon es
Perfektum und Gegenwart ist", in ihrem notwendigen Linterschied
und in ihrer Einheit zu verstehen, besser als die im