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Ausgabe:

1964

Spalte:

117-126

Autor/Hrsg.:

Kühn, Ulrich

Titel/Untertitel:

Theologie als Gottesdienst 1964

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 2

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V.

Das evangelische Verständnis des Glaubens läßt sich,
wie wir im Vorausgegangenen sahen, nur klären, indem entscheidende
dogmatische Aussagen zur Sprache kommen. Die
Gefahr einer Reduktion der dogmatischen „Substanz" konnten
wir dabei nicht feststellen, vielmehr ergab sich anhand der
Untercheidung von Grund, Herkunft, Struktur und Bestimmung
des Glaubens eine Kontinuität der gesamtdogmatischen Fragestellung
, die das oben über Dogmatik und Glaube Gesagte bestätigt
. Es scheint demnach der Versuch möglich zu sein, besonders
von der Frage nach dem Grund des Glaubens her die gesamte
Dogmatik entscheidend bestimmt sein zu lassen, ohne
daß sie dadurch auf die Explikation des Glaubensverständnisses
beschränkt wird. Wohl aber sind die darauf bezogenen Aussagen
in gewisser Weise „führend" auch in den anderen Themenkreisen
der Dogmatik. Das ist gemeint, wenn von gesamtdogmatischer
Funktion des Glaubens gesprochen wird. Das soll
abschließend am Beispiel der Sündenlehre wenigstens kurz angedeutet
werden.

Die Grund- oder Personsünde ist die Verleugnung jener

Bestimmung des Menschen zum Glauben, die wir als ersten
(allgemeinen) Grund-Satz des göttlichen Handelns bezeichnet
hatten. Der Sünder will sich nicht unter Gottes Bestimmung
beugen, er will diese Bestimmung nicht ergreifen, er will das
Werk Gottes nicht an sich geschehen lassen. Durch den Anspruch
des Gesetzes Gottes wird dieses grundsätzliche Nein des
Sünders zu seiner göttlichen Bestimmung auch in seinen einzelnen
Handlungen offenkundig: er kann das Gesetz nicht halten
, weil er den Geber des Gesetzes nicht seinen Gott sein läßt.
So wird das Verhältnis von Gott und Mensch in Verkehrung
seiner ursprünglichen Zielsetzung (Gemeinschaft, Glaube) durch
die Sünde zu einem Schuldverhältnis. Nur durch den durch Jesus
Christus erwirkten Freispruch von der Schuld kann es wieder
zu einem Glaubensverhältnis werden, und zwar dann, wenn die
Schuld bejaht und der Freispruch (der auf Grund fremder Unschuld
— der Jesu Christi — ergangen ist) angenommen wird.

Auch hier bedeutet also die Beziehung zum Glauben Geschehenlassen
des Werkes Gottes, Verzicht auf eigene Gerechtigkeit
vor Gott im Sinne der Buße, Annahme der Gerechtigkeit
Christi. Etwas anderes sollte nie gemeint sein, wenn vom
Glauben her dogmatische Aussagen gemacht werden.

Theologie als Gottesdienst1

Von Ulrich Kühn, Leipzig Ernst Sommerlalh zum 75. Geburtstag
Es ist von Zeit zu Zeit notwendig, daß wir uns die Frage Übung des kirchlichen Amtes notwendig ist. Theologie als
nach Wesen und Sinn der Theologie vorlegen. Was tun wir tag- ..Berufswissen" — so mag sich gerade auch mancher Student,
aus tagein an der Theologischen Fakultät? Und weshalb tun wir der sich auf das Amt vorbereitet, den Sinn dessen, was er fünf
es? Ein Nachdenken über diese Frage ist schon deshalb notwen- Jahre lang treibt, zurechtlegen. Ebenso wie für den Beruf des
dig, weil uns bei Theologiesrudenten heute manchmal eine ge- Arztes ein bestimmtes Fachwissen Voraussetzung ist, das er
wisse Verdrossenheit aller Theologie gegenüber begegnet. Zwar vorher auf der Universität erwirbt, so ist es auch mit dem theofangen
die meisten mit großen Erwartungen an, aber bei vielen logischen Wissen für den Pfarrer. Es war Schleiermacher, der in
kommt dann bald die Enttäuschung darüber, wie die Theologie seiner „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums" diese
nüchtern betrachtet wirklich aussieht. Und sie sehnen den Tag Auffassung vertreten hat. „Die christliche Theologie" — so
herbei, an dem sie dieses ihnen fragwürdig erscheinende wissen- lautet der § 5 der 2. Auflage von 1830 — „ist der Inbegriff der-
schaftliche Tun vertauschen können mit dem einen, was offenbar jenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln., ohne
not ist: dem praktischen Dienst in der Kirche und an den Men- deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung
6chen. der christlichen Kirche, d. h. ein christliches Kirchenregiment,
Solches Fragen nach Wesen und Sinn der Theologie ist nicht möglich ist." Und um das noch zu unterstreichen, fährt er
nun aber nicht bloß wegen der Bedenken mancher Studenten im folgenden Paragraphen fort: „Dieselben Kenntnisse, wenn
notwendig, vielmehr werden wir durch solche Bedenken sie ohne Beziehung auf das Kirchenregiment erworben und behingewiesen
auf das Bild selbst, das die heutige wissen- sessen werden, hören auf, theologische zu sein, und fallen jede
schaftliche Theologie darbietet. Die starke Spezialisierung der der Wissenschaft anheim, der sie ihrem Inhalte nach zugehören."
einzelnen theologischen Disziplinen und die damit verbundene Die Theologie ist nach Schleiermacher eine positive Wissen-
Aufsplitterung der ganzen Theologie läßt die Frage, was denn schaft, d. h. eine solche, deren Elemente unter sich in keinem
Theologie überhaupt zur Theologie mache, dringend werden. von ihrer eigenen Sache her gegebenen Zusammenhang stehen,
Inwiefern ist die Exegese des Alten und des Neuen Testamen- sondern nur verbunden sind, sofern sie alle auf die Lösung
tes etwas anderes als ein Stück Religionsgeschichte? Inwiefern einer praktischen Aufgabe bezogen sind (§ l). Man lernt in
ist die Kirchengeschichte etwas grundlegend anderes als lediglidi Apologetik und Polemik, in alttestamentlicher und neutesta-
eine besondere Abteilung der allgemeinen Geschichte? Inwiefern mentlicher Exegese, in Kirchengeschichte und Dogmatik, was das
ist systematische Theologie etwas anderes als Philosophie und ist: Christentum, und dieses Wissen ist bezogen auf die wich-
Praktische Theologie etwas anderes als eine besondere Sparte tigste theologische Disziplin, die praktische Theologie, in der
pädagogischer Methodologie? Was macht diese Disziplinen zu es um die Frage einer künftigen rechten Gestaltung des
wirklichen theologischen Fächern, und was gibt uns das Recht, Christentums und der Kirche geht.

sie aus dem Rahmen der philosophischen Fakultät herausgelöst Im Unterschied zu dieser Auffassung wird heute — zweiin
einer besonderen theologischen Fakultät zu betreiben? tens — die Theologie vielfach gekennzeichnet als wissenschaft-

So etwa stellt sich uns das Problem, das früher vielfach liehe Prüfung der kirchlichen Verkündigung. Auch hier liegt der
unter dem Namen der theologischen Encyklopädie verhandelt Sinn der Theologie wieder in ihrer Bezogenheit auf praktischwurde
. Es kann nun in diesem Rahmen nicht unsere Aufgabe kirchliches Handeln. Aber es bestehen doch zwei wichtige
sein, eine umfassende Antwort auf die aufgeworfene Frage zu Unterschiede gegenüber Schleiermacher: einmal geht es nicht
formulieren. Es kann sich vielmehr nur darum handeln, auf eine mehr um das praktisch-kirchliche Handeln schlechthin, sondern
besonders wesentliche Dimension dessen, was Theologie ist, speziell um die Verkündigung des Wortes Gottes; und zum
hinzuweisen. Dazu vergegenwärtigen wir uns zunächst kurz anderen ist Theologie jetzt weniger einfach als Wissensquell
vier in der neueren evangelischen Theologie vorliegende Ver- verstanden, aus dem sich die Verkündigung nährt, sondern als
suche, das Wesen der Theologie zu bestimmen. kritische Prüfung eines Handelns, das aufgrund des Befehls

Da gibt es - erstens - die Auffassung, unter Theologie Gottes immer schon geschieht, der Theologie also vorgegeben

sei die Summe des Wissensstoffes zu verstehen, der zur Aus- 'st und nur nach seiner Sachgemäßheit zu befragen ist. Dieses

.-- Verständnis der Theologie finden wir ausgeprägt bei Karl Barth

*) Dem Text der folgenden Ausführungen liegt des Verf.s am und vielen von ihm beeinflußten Theologen. Nach Barth ge-

26. Juni 1963 in Leipzig gehaltene Habilitations-Probevorlcsung zu- schieht die Prüfung der kirchlichen Verkündigung von Jesus

gründe. Christus als Kriterium aus. „Kommt die christliche Rede von