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Ausgabe:

1964

Spalte:

109-118

Autor/Hrsg.:

Amberg, Ernst-Heinz

Titel/Untertitel:

Glaube und Dogmatik 1964

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 2

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sprechenden Parallelstellen bezieht. Die realen entstehen dadurch
, daß 6idi der Sitz der Grundgedanken durch wiederholte
Schriftlesung im Herzen konzentriert121.

An dieser Kritik der Tradition und an der Fortbildung
bzw. Umdeutung der einzelnen Lehrstücke der orthodoxen
Dogmatik können wir die subjektive Tendenz Franckes, die
uns in seinen deutschen Schriften begegnete, am deutlichsten
wiedererkennen.

Abschließend läßt sich folgender Tatbestand feststellen.
Von drei verschiedenen Ansätzen her sucht
Francke seine hermeneutischen Anschauungen zu gestalten. 1693
Prävaliert das Schema Schale-Kern der Schrift, 1694/1702 der
Gegensatz des rechten und falschen Zwecks des Lesers, 1717
(1709) das Begriffspaar rechter und falscher Sinn der Schrift.

In diesen verschiedenartigen Entwürfen treffen sich zwei
Gedankenlinien im Kreuzschnitt, eine objektive, die
sich auf Gestalt und Inhalt der Schrift, und eine subjektive,
die sich auf die Stellung der Leser zu ihr bezieht. Bei der ersten
erfolgt der Ansatz von der Sache, bei der zweiten vom Menschen
her. Die erste geht vom Unterschied Schale-Kern,
Äußeres-Inneres, Wissenschaft-Frömmigkeit, die zweite vom
Gegensatz richtig - falsch, bekehrt-unbekehrt aus.

Während in den deutschen Schriften das subjektive Anliegen
Franckes zu starker Entfaltung gekommen ist, 6ind die
hermeneutischen Entwürfe von 1693 und 1717 (1709) Versuche
, beide Linien miteinander zu kombinieren, das orthodoxe
Traditionsgut mit der subjektiven Tendenz auszugleichen und

~~"') PH. 150 f.

zu einer wissenschaftlichen Neugestaltung der Hermeneutik zu
gelangen.

Franckes exegetisch -hermeneutische Wirksamkeit hat den
Anstoß zu einander widersprechenden Entwicklungen gegeben.
Durch die Ausrichtung auf die Sprachen, die Zeitgeschichte und
die Einleitungsfragen wurde der Weg für die Entwicklung einer
kritischen philologisch-historischen Bibel-
wissenschaft freigelegt12*.

Daneben zeichnet 6ich aber noch eine andere theologiegeschichtlich
bedeutsame Linie ab. Das Festhalten an der
Inspirationslehre und am Gedanken der symphonischen Harmonie
, die praktisch-porismatische Auslegung, die schrankenlose
typologische Ausdeutung des Alten Testamentes mit Hilfe
des sensus mysticus, die Ausrichtung der Exegese auf existentielle
Applikation und das erbauliche, von subjektiven Erlebnissen
bestimmte Verständnis der Bibel haben eine Entwicklung
eingeleitet, die einem geschichtsfremden kerygmati-
schen Biblizismus einen weiten Lebensraum in der
neuprotestantischen Theologie und Kirche ermöglichen sollte.

Beide Entwicklungslinien entsprechen nicht dem Anliegen
Franckes und seiner im Grunde synthetisch gemeinten historisch
-pneumatischen Exegese. Die praktische
Frömmigkeit ist zwar das Ziel seiner Theologie. Aber Schale
und Kern, Wissenschaft und Praxis, philologisch-historische
Arbeit und Frömmigkeit bilden eine organische Einheit.

12J) Vgl. O. Podczeck, Die Arbeit am Alten Testament in Halle zur
Zeit des Pietismus, Wiss. Ztschr. Halle, Ges. -Sprachwiss. R., 7, 1958,
1059 ff.

Glaube un

Von Ernst-Heinz

L

Es ist für die dogmatische Arbeit heute kennzeichnend, daß
sich wieder eine stärkere Herausstellung des Glaubens in seiner
Bedeutung für das Ganze der dogmatischen Aussagen geltend
macht. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig mit
den Gesamttendenzen der Gegenwartstheologie verflochten und
können hier nicht vollständig analysiert werden. Es scheint aber
vor allem eine charakteristische Wandlung zu sein, die sich
in dem erneuten Hervortreten des Glaubensbegriffs anzeigt:
die Offenbarung bzw. der Offenbarungsbegriff wird nicht mehr
als die einzige, z. T. wohl auch nicht mehr als die zureichende
und überzeugende Möglichkeit angesehen, dogmatische Aussagen
zu begründen1. Die Offenbarungstheologie hatte ihre große
Stunde, als es galt, die Theologie von den Fesseln weltanschaulicher
und zwangsapologetischer Voraussetzungen zu befreien.
Auf die Dauer konnte sie sich aber nicht von dem Vorwurf des
'.Offenbarungspositivismus" (Bonhoeffer) freihalten, besonders
nachdem im System der Christologischen Dogmatik Karl Barths
aus dem Offenbarungsbegriff als Grenzbegriff gegen Vernunfterkenntnis
eine Offenbarungsmetaphysik geworden war, in der
Offenbarung mit ihrem Urheber und ihrem Inhalt identifiziert
und sowohl ontisch wie noetisch christologisch gefaßt wurde .
Daß in diesem System der Glaube nur eine nachgeordnete Rolle
spielt und ihm eine gesamtdogmatische Funktion überhaupt
nicht zuerkannt werden kann, versteht 6ich fast von selbst3.

*) Auch das Programm „Offenbarung als Geschichte" der Theologengruppe
um W. Pannenberg geht von gewissen kritischen Beobachtunsen
hinsichtlich des Offenbarungsverständnisses in der evangelischen
Theologie der Gegenwart aus, sucht den Ausweg aus dieser Problematik
aber nicht durch einen Ansatz beim Glauben, sondern in einer
Neufassung des Offenbarungsbegriffs im Sinne einer „offenbarenden
Geschichte" (Offenbarung als Geschichte. Göttingen 21963, S. 7 ff.;
S. 95).

') Vgl. dazu meine Habilitationsschrift: Christologie und Dogmatik
— Untersuchung ihres Verhältnisses in der evangelischen Theologie
der Gegenwart. Leipzig 1960 (maschinenschriftlich).

3) G. Ebeling hat dieser Abwertung des Glaubens bei Barth und
der Art und Weise ihrer Begründung besonders nachdrücklich widersprochen
und demgegenüber gefordert, dem Glaubensbegriff „nicht erst

Dogmatik

. m b e r g, Leipzig Ernst Sommerlath zum 75. Geburtstag

Gerade dieser Umstand ist aber für die evangelische Dogmatik
auf die Dauer unbefriedigend, vor allem wenn man sich klar
macht, daß einerseits der Offenbarungsbegriff innerhalb der
reformatorischen Theologie keineswegs eine fundamentale Bedeutung
hatte, andererseits aber Luther die Zusammengehörigkeit
von Gott und Glaube als entscheidend ansah*.

Man wird also in den heutigen Versuchen, vom Glauben
her die Dogmatik zu entwerfen5, nicht einfach nur einen Rückfall
in die Zeit und die Methoden vor der theologischen Neubesinnung
der zwanziger Jahre sehen dürfen, zumal sich die
grundlegenden Einsichten jener Neubesinnung auch festhalten
lassen, ohne daß man einer Offenbarungsmetaphysik verfällt,
bzw. eich der Engführung einer Christologischen Dogmatik verschreibt
. Im folgenden soll an einigen Punkten aufgezeigt werden
, wie die gesamtdogmatische Funktion des Glaubens in
Kraft gesetzt werden kann, ohne daß damit eine Subjektivie-
rung oder Reduzierung der christlichen Botschaft verbunden ist
(weithin wird ja der Ansatz beim Glauben von seinen Kritikern
als Tendenz zur Reduktion u. ä. angesehen").

am Ende, sondern von Anfang an" alle Aufmerksamkeit zu widmen
(Wort und Glaube. Tübingen 1960, S. 205 f.).

*) „Denn die zwei gehören zuhaufe, Glaube und Gott." (Die Bekenntnisschriften
der evangelisch - lutherischen Kirche. Göttingen 31955,
S. 560). -— Zur Auseinandersetzung über die etwaige Feuerbach - Vorläuferschaft
Luthers vgl. jetzt auch: Paul Althaus, Die Theologie Martin
Luthers. Gütersloh 1962, S. 50 f. — Im übrigen ist der Verdacht
der Feuerbach-Vorläuferschaft Luthers wohl nicht nur aus dogmatischen
Gründen widerlegbar, sondern auch als unhistorische Konstruktion in
sich widersprüchlich.

6) Welche verschiedenen Möglichkeiten für die Gesamtauffassung
und die Einzeldurchführung sich bei solchen Versuchen ergeben können
, würde ein Vergleich zwischen C. H. Ratschow (Der angefochtene
Glaube. Gütersloh 1957) und G. Ebeling (bes.: Das Wesen des christlichen
Glaubens. Tübingen 1959; Wort und Glaube. Tübingen 1960)
zeigen, der hier jedoch nicht erfolgen kann.

°) Z. B. von E. Kinder gegenüber G. Ebeling (E. Kinder: Dogmatik
und Dogma, in: Dogma und Denkstrakturen [Schlink-Fcstschrift] herausgegeben
von W. Joest und W. Pannenberg. Göttingen 1963). Wenn
Kinder in diesem Zusammenhang schreibt: Man kann „das unbedingt
Geltende in der christlichen Botschaft wohl als soldies nur im Glauben