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Ausgabe:

1964

Spalte:

950-951

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gollwitzer, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter 1964

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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949

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

950

„durch Einblicke in psychologische Zusammenhänge vor kurzschlüssiger
Beurteilung der Betreuten, ihrer Lebens- und
Glaubensnöte zu bewahren. Unmittelbare Hilfen für die Praxis
sind uns das Wesentliche" (4). Dabei sind die Anliegen einer
vollwertigen Theologie gewahrt, aller psychologische Rat ist unverkürzt
auf die Hilfe zu einem neutestamentlich vollgültigen
Christusglauben ausgerichtet.

Nach einer Einleitung über Grundlagen des seelsorgerlichen
Gesprächs und einem kurzen I. Kapitel über Gestaltung des
Raumes geht das Hauptkapitel (II) vor in der Folge Anknüpfung
— Persönlichkeitserkenntnis — Verkündigung — Hilfe zur Verwirklichung
der Glaubenserkenntnis. Das III. Kapitel 6agt viel
Gutes über das Geheimnis der Begegnung.

Der Wert des Buches — grundsätzlich und praktisch gesehen
gleichermaßen — liegt in der durdi die Psychologie ermöglichten
und mit ihr intensiv durchgeführten Differenzierung
aller für die Seelsorge mitspielenden Elemente. Der
Seelsorger wie der Betreute werden gesehen in ihrer geschichtlichen
und persönlichen Bedingtheit und Einmaligkeit, auch mit
der Wandlung der Verstehensmöglichkeiten vom Gestern zum
Heute. Damit kommen die psychologischen Momente zu notwendiger
, intensiver und doch überall eingeordneter Würdigung,
mit dem Ineinander von Glauben und Unglauben im gleichen
Menschen, Glaube und Unglaube je in sich in Bewegung und
Wandlung, die Einmaligkeit der Person, die Vielfalt ihrer Reaktionen
auf theologische Formen der Verkündigung und auf das
unmittelbar personbezogene seelsorgerliche Wort, die Fülle der
Möglichkeiten des Weges zum Menschen, auch zu dem Fernen
und Verschreckten, die Sorgsamkeit einer Führung zum Glauben
und zur Festigung in ihm. So wird dem unbewußt weit verbreiteten
seelsorgerlichen Leitbild, das den Menschen fast nur unter
dem vergröberten Schema Sünde-Gnade sieht und entsprechend
das Wort der Verkündigung verengt, die lebendige Begegnung
zweier Lebensströme in unbegrenzt mannigfaltiger Verflechtung
entgegengesetzt. Besonders wertvoll ist die konkrete Durchführung
des Mit- und Ineinander von Theologie und Psychologie, die
Wahrung des Vollgehaltes des Evangeliums in einer Differenzierung
, die von den schlichtesten Ansätzen in sorgsam-liebevoller
Dosierung bis zum Ziel der Lebensgestaltung unter dem
,,Leitbild persönlicher Christusnachfolge" geht, die Aufnahme
aller Grenzsituationen und aller Zwielichtsituationen, die glückliche
Verbindung von fester Zielstrebigkeit der Verkündigung
mit feinstem Taktgefühl („oft genügen Andeutungen"), die Betonung
der Geduld, und nicht zuletzt die Aufgabe des Seelsorgers
, zu fester Verklammerung eines völligen Eingehens in
den Betreuten mit intensiver Reinigung seines eigenen Inneren
vor und nach (!) den Gesprächen zu kommen.

Die große Zahl illustrierender Fall-Beispiele ist besonders
wertvoll dadurch, daß sie nicht nur berichten, sondern methodisch
zugespitzt 6ind auf instruktive Fragen: etwa: „Der Konflikt
lag in. . ., aus welchen schicksalhaften Bedingungen ist diese
Haltung zu verstehen? . . ., worin lagen positive Möglichkeiten
und Ansatzpunkte?" Ebenso wertvoll sind die das ganze Buch
durchziehenden gesprächsmethodischen Hinweise, die nicht nur
formal manch gute Hilfe zu sicherem und kundigerem Vorwärtskommen
bieten, sondern auch in die feineren Bereiche, wie etwa
Erkennen der verdrängten eigentlichen Schuld hinter unbewußt
vorgeschobener, instruktiv hineinführen.

Grundsätzliche Einwände habe ich nicht anzumelden.
Der Wert einer Eingliederung des Betreuten in die kirchliche Gemeinschaft
ist zwar für viele wirklich so zentral, wie hier dargestellt.
Interessieren würde es aber, ob die Autorin nicht auch Erfahrungen
hat mit Menschen, die da unüberwindbare Schwierigkeiten haben. —
Entsprechend taucht gerade in der Seelsorge bei der Wertung der Un-
entbehrlichkeit des Sakraments die Frage auf, ob die Theologie nicht
ein Stück Wirklichkeit übersieht hinsichtlich kultfremder Menschen, die
doch eine vollwertige Glaubenskraft haben. — Für die praktischen Fallbeispiele
wäre zu fragen, ob nicht in einer Neuauflage bei einigen die
Durchführung noch weiter ausgebaut werden könnte, d. h. das, was
nach der Feststellung „das Problem lag darin, daß ..." geschehen
ist. Ich glaube, daß viele Leser dafür dankbar wären.

Auf jeden Fall ist dieses Buch ein sehr wertvoller Beitrag
zur Theorie und Praxis der Seelsorge, nicht nur — wie es die

Einleitung bescheiden ausdrückt — für den jungen Seelsorger.
Auch der Erfahrene kann mit Freude zu ihm greifen und wird
viel Wertvolles aus ihm empfangen.

Berlin OttoHaendler

Lerle, Ernst, Mag. phil., Dr. theol. habil.: Methode der Gedankenimpulse
in der Homiletik. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1961]. 64 S.
8°. Kart. DM 3.30.

Wenn aus mancherlei Gründen die Rezension erst jetzt
erfolgt, hat die Aktualität des Anliegens dieses Büchleins doch
;in keiner Weise an Bedeutung verloren. Im Gegenteil! Lustlose
Gottesdienste, die oft mit dem Rückgang der Zahlen der
Gottesdienstbesucher zusammenhängen, das weitgehende Fehlen
der mittleren und jüngeren Generation sind Anzeichen, daß
heute mehr denn je gilt: Die Predigt muß gemeindefähig sein.
Die Forderung, daß die Aufnahmefähigkeit der Hörer berücksichtigt
werden muß, ist unumstritten. Vielfach wird der Predigtstoff
nicht mehr verstanden. Die meisten Hörer haben die
Predigt schon vergessen, wenn sie die Kirche verlassen. Der
Prediger selbst verfällt allzu leicht immer wieder in den Fehler,
zu theoretisch, den empirischen Tatsachen zu fern, über die
Hörer hinwegzupredigen.

Lerle macht den Versuch, mit seiner Anleitung den
Prediger zur konkreten Verkündigung zu verhelfen. Sein Ziel
ist, dem Prediger den Weg zu weisen, wie er mittels seiner
Predigt den ganzen Menschen, also auch Wille und Sphäre
seines Handelns, ansprechen kann. Leitmotive und Gedankenimpulse
6ollen dem säkularisierten Menschen den Text veranschaulichen
und das Gehörte einprägsam machen. Sie sind
kleinste Einheiten einer Predigt, die in Bildern und Gleichnissen
sich leichter dem Gedächtnis des modernen Hörers einprägen
.

An sieben Perikopenbeispielen führt Lerle seine Absicht
dem Leser praktisch vor: Aus der Predigtliteratur der Vergangenheit
wie der Gegenwart wurden Gedankenimpulse des
für die Predigt aufgegliederten Textes ausgewählt. Etwa 130
Pfarrern wurden die Motive und Impulse kurze Zeit vor dem
Gottesdienst mitgeteilt. Die Zahl der Anregungen zu einer
Stelle betrug im Höchstfall 10. Die angeschriebenen Pfarrer
teilten Lerle mit, welche der Gedanken sie für ihre eigene
Predigt verwendet hatten. Dieses Ergebnis ist in dem Büchlein
mitgeteilt. Es geht hier also zunächst um eine Anreicherung
und Konkretisierung, um eine Aktualisierung und lebhaftere
Vergegenwärtigung des Predigtinhalts für den modernen Menschen
. Es bleibt zu hoffen, daß es dem Verfasser vergönnt sein
möge, zu den sechs Predigtreihen, die vom Lutherischen Liturgischen
Ausschuß für die Predigt empfohlen wurden, Impulse
zu erarbeiten, die der Vergegenständlichung der Verkündigung
dienen können. Manche Experimente für eine zeitnahe Verkündigung
sind in unserer Epoche des geistigen Umbruchs bereits
erprobt worden. Was hier begonnen wurde, hätte für die
Verkündigung den Vorteil, dem gehetzten, von zahlreichen
Eindrücken hin und her geworfenen Menschen unserer Zeit
bleibende Vorstellungen zu vermitteln, die bei den Hörern
dazu beitragen können, mehr Klarheit über den Glauben zu
gewinnen und das Glaubensleben zu vertiefen.

Berlin Helmut R i s t o w

Gollwitzer, Helmut: Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter.

Neukirchen/Moers: Neukirchener Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins
[1962]. 111 S. 8° = Biblische Studien, hrsg. von
O. Weber, H. Gollwitzer u. H.-J. Kraus, H. 34. Kart. DM 5.60.

Eine aufrüttelnde Auslegung. Man könnte sagen: viel mehr
als Auslegung, nämlich eine theologische Denkarbeit, die zugleich
Verdolmetschung und — in der Form ganz unaufdringlich — Anrede
ist, 60 daß man sich der hier freigelegten und zur Geltung
gebrachten Botschaft schwer entziehen kann. Hier wird deutlich,
daß man den einzelnen Text nur im Zusammenhang des Ganzen
der biblischen Botschaft verstehen kann und daß also, will man
verstehen, die Linien weit ausgezogen werden müssen. Zugleich
aber ist hervorzuheben, daß hier einfach der Text befragt
wird, in einer großen Leidenschaft und Beharrlichkeit des Ver-