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Ausgabe:

1964

Spalte:

944-946

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weissgerber, Hans

Titel/Untertitel:

Die Frage nach der wahren Kirche 1964

Rezensent:

Kinder, Ernst

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943

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

944

„In den Vereinigten Staaten neigt intensive Religion dazu,
einen theoloigschen oder einen erweckungseifrigen Charakter anzunehmen
. Die Pseudoreligion der Bestseller und populären Zeitschriften,
die ihr Plätzchen findet zwischen Geschichten und weisen Tieren und
Wunderdrogen, berichten von neu erfundenen Vorrichtungen und
Schönheitsmitteln, und was sonst noch interessant und unterhaltend
sein mag, braucht uns hier nicht aufzuhalten. Ernsthafte Religion, die
eine Krise im Menschenleben bewirkt, die den Menschen zur Umkehr
zwingt und ihn tief beeinflußt, wird in Amerika am besten von Reinhold
Niebuhr und Billy Graham vertreten. Graham ist der Niebuhr
des armen Mannes und spricht zum Herzen derer, die sich Worte für
20 Dollar das Stück nicht leisten können. Niebuhr hingegen spricht
trotz seiner in Detroit als Prediger verbrachten Jahre in der Hauptsache
den Intellektuellen an und bietet ihm eine christliche Version
von Marx, Nietzsche, Freud und den jüngsten geistigen Entwicklungen.

In Bubers chassidischer Botschaft ist nichts von Erweckungsglauben
oder Theologie zu spüren. Und für die noch immer leise Stimme dieser
Religion, die ohne Rhetorik zum Gemüt und ohne eindrucksvolle
Suada zum Geist spricht, gibt es bisher nur wenige Ohren in der
englisch sprechenden Welt. Daß es je eine sehr große Hörerschaft
geben wird, die Bubers Chassidim mit offenem Herzen lauscht, ist
nicht wahrscheinlich. Es wird jedoch nicht lange dauern, bis diese
Geschichten fraglos zur Bibliothek der Gebildeten gehören werden,
jener Schicht, die jetzt begonnen hat, Auszüge aus Buddhas Reden und
den Upanischads sowie eine freie Übertragung der Bhagavagita in
Volksausgaben zu lesen. Diese Geschichten werden sicherlich weitgehend
erinnert werden, wenn die Theologen dieser Zeit den
Weg Schleiermachers und Harnacks gegangen sind, von weniger berühmten
Namen, die höchstens noch Fachgelehrten bekannt sind, ganz
zu schweigen" (584 f.).

Erlangen Hans-Joachim SchoepI

B a r t n i n g, Gerhard: Von der Kraft in Gegensätzen zu leben. Zum

Gedächtnis von Nikolaus von Cues (f 11.8. 1464) (Quatember 28,

1963/64 S. 112—114).
Bouillard, Henri: Philosophie de l'Action et Foi chretienne. A

propos d'un ouvrage de M. Dumery (RechSR 52, 1964 S. 261—268).
Composta, Dario: L'ateismo nella filosoiia del diritto (Salesia-

num 26, 1964 S. 3—53).
Kingstone, F. Temple: Some Aspects of the Notion of Paradox

fn Contemporary Philosophy (Anglican Theological Review 46,

1964 S. 195—203).
Mclnerny, Ralph: Metaphor and Analogy (Science« Ecclesiasti-

ques 16, 1964 S. 273—289).
Moellering, Ralph: Christianity and Communism — An Ideolo-

gical Comparison (Concordia Theological Monthly 34, 1963 S. 645

bis 6 54).

Niel, Henri: Le Materialisme marxiste (Sciences Ecclesiastiques 16,

1964 S. 251—272).
Pieper, Josef: Was heißt „dürftige Zeit"? Über da6 Fest im Ganzen

des Daseins (Universitas 19, 1964 S. 521—527).
Scheltens, Gonsalvus: Der Ausgangspunkt des Gottesbeweises

(FS 46, 1964 S. 119—135).
Siegmund, Georg: Der Ursprung des modernen Atheismus im

Idealismus (Wissenschaft und Weisheit 27, 1964 S. 129—135).
— Nietzsches Antichristentum (ZW 35, 1964 S. 379—388).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Brunner, Peter: Pro Ecclesia. Gesammelte Aufsätze zur dogmatischen
Theologie. Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus 1962. 399 S. gr. 8°.
B. verteilt seine gesammelten Aufsätze auf fünf Themenkreise
: Schrift und Bekenntnis (13—82), Gott und Mensch
(85—125), Wort und Sakrament (129—202), Kirche und Amt
(205-338), Christ und Welt (341—3 88). Wie man sieht, ist
der Abschnitt „Kirche und Amt" der umfänglichste, es folgen
mit Abstand „Wort und Sakrament" sowie „Schrift und Bekenntnis
", während die Themen „Gott und Mensch" und
».Christ und Welt" am kürzesten behandelt sind, ein Symptom
für die Verteilung der Gewichte im theologischen Denken
Brunners. Es empfiehlt sich nicht, die 23 Aufsätze hier einzeln
zu nennen. Nur einige Hauptgedanken seien hervorgehoben.
(Brunner stellt sehr stark die Autorität der Apostel heraus.
Diese haben nach ihm das Evangelium „erzeugt" (20. vgl. 195).
Darum ist es uns „untersagt zu versuchen, an dem lehrenden
Mund und der spendenden Hand jener Zeugen vorbei zu dem
redenden Mund und der spendenden Hand Christi selbst vorzudringen
. Dieser Versuch wäre Ungehorsam gegen die von
Christus selbst erteilte Bevollmächtigung seiner erwählten

Zeugen" (26). „Wenn ein von Christus erwählter und beauftragter
Apostel selbst das Evangelium verkündigt oder ein
Sakrament spendet, so liegt in der apostolischen Vollmacht
dieser Person die Gewähr dafür, daß solche Verkündigung tatsächlich
Evangelium ist und solche Spendung tatsächlich der
Einsetzung Christi entspricht" (28). Das Sola scriptura beruht
darauf, daß „neben der schriftlichen Gestalt des apostolischen
Wortes keine Instanz genannt werden (kann), der eine gleiche
Autorität zukommt". „Um der Erhaltung der apostolischen
Autorität willen ist an dem scriptura sola festzuhalten"
(39). Hier wird man bei aller Anerkennung der Sonderstellung
der Apostel doch fragen müssen, ob nicht auch schon Jesu Verkündigung
Evangelium war, ob wir nicht also nach dieser Verkündigung
fragen dürfen, u. U. auch hinter das apostolische
Zeugnis zurück, ob nicht auch für uns Christi Autorität der
der Apostel übergeordnet bleibt, und ob das sola scriptura
angesichts des nichtapostolischen Ursprungs vieler neutestament-
licher Schriften nicht anders begründet werden muß als bei B.?
Oder soll der Titel „apostolisch" den neutestamentlichen
Schriften in genere beigelegt werden? Das hieße, die geschichtliche
Forschung unter ein dogmatisches Verdikt stellen. Über
diese äußert sich B. in der Tat sehr zurückhaltend: historische
Erkenntnisse können „eine Hilfe für die Auslegung des kanonischen
Textes selber" sein, aber nur unter Wahrung des
Grundsatzes, daß „nicht die von einer historisch-kritischen
Methode erarbeitete . . . Rekonstruktion von .historischen' Tatbeständen
. . . Norm sein (kann) für eine Lehrentscheidung in
der Kirche" (195). Wird nicht so der Bibeltext dem Wesen des
Evangeliums zuwider zum Lehrgesetz erhoben?! — Bedenken erweckt
B.s Versuch, Luther und Thomas in der Tauflehre zu harmonisieren
(149). Hierbei dürfte übersehen sein, daß bei Luther
das Wort aufs engste mit dem Glauben zusammengehört. Den
Glauben erwähnt aber Thomas in den von B. zitierten Texten
nicht. Da liegt ein sachlicher, nicht nur terminologischer Unterschied
zu Luther vor. — Fraglich ist mir auch B.s Prognose:
li,Auf keinen Fall gibt es an dem Ort, an dem wir selbst stehen,
ein Zurück zu einer neuen Erfüllung ursprünglich heidnischer
Religiosität" (99). Warum sollten die heidnischen Weltreligionen
, die heute ein Erwachen erleben, nicht auch bei uns Fuß
fassen und allmählich größere Kreise sammeln? Wir werden
auch hier mit Prognosen sehr vorsichtig sein müssen. — Nicht
recht überzeugend ist B.s Argumentation, wenn er die im
Neuen Testament geforderte Unterordnung (Hypotage) der Frau
unter heutigen Verhältnissen für vereinbar hält mit der Übernahme
leitender Ämter im politischen Bereich, aber nicht mit
der Übertragung des Hirtenamtes in der Kirche (332—336). —
Wenn in dieser Besprechung die kritischen Anfragen im Vordergrund
standen, so soll doch am Schluß nicht verschwiegen sein,
daß B. in seinen Aufsätzen sehr vieles bietet, was lehrreich und
anregend ist, so daß wir ihm und dem Verlag für die Herausgabe
dieses Bandes dankbar sein müssen. Außerdem haben
solche Aufsatzsammlungen auch als Dokumente zeitgenössischer
Theologie ihren hohen Wert.

Erratum: Muß es nicht auf S. 45 heißen: „Darum ist es ein Irrtum,
wenn man meint, der Kirche würden auch solche Dogmen. . . geschenkt,
deren Inhalt nicht eindeutig der Schrift gemäß ist.. ." statt: . . . der
Kirche würden nicht solche Dogmen . . . geschenkt, deren Inhalt eindeutig
der Schrift gemäß ist. . ."?

Halle/Saale Erdmann Schott

Weißgerber, Hans: Die Frage nach der wahren Kirche. Eine
Untersuchung zu den ekklesiologi6chen Problemen der ökumenischen
Bewegung. Essen: Ludgerus-Verlag 1963. 392 S. 8° = Koinonia.
Beiträge zur ökumenischen Spiritualität und Theologie, hrsg. von
Th. Sartory, 2. DM 22.— ; Lw. DM 26.—.

Es gibt in deutscher Sprache einige Gesamtüberblicke über
die Geschichte der modernen ökumenischen Bewegung (vor
allem das große von St. Neill und R. Rouse hrsg. Sammelwerk
sowie die Einführung von E. Hornig). Aber zum ersten Mal wird
hier von evangelischer Seite aus eine durchgehende grundsätzlich
theologische Durchleuchtung des Ringens um die
Einheit der Kirche vorgelegt, wie es sich im Verlaufe dieser ökumenischen
Bewegung von Anfang dieses Jahrhunderts an bis