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Ausgabe:

1964

Spalte:

934

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Beyreuther, Erich

Titel/Untertitel:

Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit 1964

Rezensent:

Kupisch, Karl

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

934

den eine in der Spekulation gründende heilsgeschichtliche Systematik,
schließlich und im Ganzen: Durchbruch vom Rationalismus der Aufklärung
zum Supranaturalismus der Restauration) gültig zu vereinigen
gewußt (vgl. das IX. Kapitel).

Die Arbeit Heusers umfaßt einen Zeitraum von eineinhalb Jahrhunderten
und bringt die Erlösungslehre im weiteren Sinn (praktisch
geht es um die dogmatischen Themen von der Gotteslehre an über
Urständ, Erbsünde, Inkarnation, Kreuz, Lehre vom Heiligen Geist,
der Kirche, den Sakramenten, Rechtfertigung, Heiligung bis hin
zu den eschatologischen Fragen) von im ganzen 48 Theologen nacheinander
zur Darstellung. Der Verf. stellt sie uns in chronologischer
Anordnung vor, wobei sich ihm 4 Gruppen ergeben: Kapitel I:
Dogmatiker unter der Herrschaft der Aufklarung; Kapitel 11: Erlösungslehre
im Schatten der Romantik; Kapitel III: Erlösungslehre
'm Licht des Übernatürlichen; Kapitel IV: Erlösungslehre in Bereitschaft
für die Mysterienlehre. Die Vielzahl der behandelten Theologen
macht sich insofern nachteilig bemerkbar, als für jeden nur
sehr knapper Raum zur Verfügung steht und das Bild daher weithin
nicht sehr plastisch zu werden vermag. Außerdem 6tehen bedeutende
mit unbedeutenderen Theologen in einer Reihe; und überdies vermag
der Verf. die Thematik der Kapitelüberschriften bei seiner chronologischen
Anordnung nicht bei allen Theologen durchzuhalten, weil
einzelne inhaltlich immer noch oder schon zur benachbarten Gruppe
gehören (z. B. Liebermann und Waibel im ersten Kap., Bolzano im
zweiten Kap. usw.). U. E. wäre eine Beschränkung auf wenige
charakteristische Theologen, auch aus Gründen der Lesbarkeit des
Buches, die so erheblich erschwert ist, von Vorteil gewesen. Dann
hätte der Verf. auch noch stärker, als er es getan hat, charakterisierende
Zusammenfassungen und Vergleiche bieten und die bestimmenden
Linien sichtbar machen können. Insofern ist die Arbeit von Brosch
methodisch glücklicher angelegt.

Dennoch kommt auch bei Heuser die Eigenart der dargestellten
Theologen und Gruppen eindrucksvoll zur Geltung. Die Darstellung
ist ebenso wie die von Brosch auf Schritt und Tritt gut belegt —
bei der Fülle der dargestellten Theologen eine immerhin erstaunliche
Leistung. Eine Frage ergibt sich zur Begriffsfassung von
„Mysterientheologie": Darf man, wie es S. 195 oben offenbar geschieht
, die Corpus-Christi-Mysticum-Theologie so selbstverständlich
der Mysterientheologie gleichsetzen? Und darf man wiederum die
letztere so stark mit der Mystik in Verbindung bringen wie S. 216
unten?

Den großen Gang der Erlösungslehre faßt der Verf. S. 184 selbst
folgendermaßen zusammen: „Im Banne der Aufklärung wie im Schatten
der Romantik war die Erlösungsichre um das empirische Innewerden
der heiligen Wirklichkeit bemüht, um welche sie kreiste; der erfaßbare
sittliche Kosmos oder die erlebbare Totalität der Dinge hatte
ihr dazu verhelfen sollen. Nach der Entdeckung des Übernatürlichen
durch die Erlösungslehre wacht nun ein entsprechendes Sehnen
auf, im engen Rahmen des Möglichen durch Innewerden den übernatürlichen
Erlösungsgütern nahe zu kommen. (Leider fehlt die folgende
Zeile im Druck, während die übernächste Zeile doppelt erscheint
.)" Im Schlußabschnitt wird als Haupttendenz der deutschen
dogmatischen Entwicklung das Streben nach Vereinheitlichung von
Natur und Übernatur genannt. Ob man das so durchweg sagen kann?
Wie würde der Verf. vor allem die Hauptvertreter seiner dritten
Gruppe, z. B. M. J. Scheeben, hier einfügen wollen? Zunächst scheint
doch, wie die Darstellung in genügender Deutlichkeit zeigt, nach
dem Verlust der übernatürlichen Dimension des christlichen Glaubensgehaltes
im 19. Jahrhundert das Bestreben einer Wiedergewinnung
derselben vorherrschend gewesen zu sein, und erst in unserem Jahrhundert
finden wir — zweifellos unter Aufnahme von Tendenzen, die
schon etwa bei Möhler vorliegen — das Bemühen, den von Gott gemeinten
einen Menschen mit seiner natürlichen Gegebenheit und Aufgegebenheit
und seiner übernatürlichen Ausrichtung in 6einer je ge-
sdiidnlichen Verwirklichung theologisch in den Blick zu bekommen.

Den evangelischen Theologen wird bei der Lektüre der
beiden Veröffentlichungen zweierlei bewegen. Einmal bekommt
er einen Eindruck davon vermittelt, wie die katholische Theologie
des 19. Jh.s sich mit der zeitgenössischen Literatur konfrontiert
6ah und in gleicher Weise wie die evangelische Theologie
sich den Weg eines echten „Aggiornamento" zwischen den
Irrwegen eines reinen verfestigten Traditionalismus und einer
schrankenlosen Hingabe an den Zeitgeist suchte. Der evangelische
Theologe wird hier in vielen Punkten auch den durch die
Verf. vollzogenen Wertungen folgen können. Freilich — und
das ist das Zweite — wird aufs neue die Problematik des katholischen
und nun auch von den Verfassern bei ihrer Wertung
gehandhabten Begriffs des „Übernatürlichen" deutlich. Ist es
wirklich angängig, so selbstverständlich, wie es in den beiden
Arbeiten und in der katholischen Theologie überhaupt immer

wieder geschieht, vom Übernatürlichen im Verhältnis zur
Natur zu sprechen, ohne sofort den Kreuzes Charakter zu berücksichtigen
, der alles uns entgegenkommende „Übernatürliche
" unmittelbar bestimmt (l.Kor. 1 und 2), und demzufolge
die ursprungshafte Gestalt dieses „Übernatürlichen" als Reaktion
Gottes auf die Sünde der Welt? Hier scheint — um von guten
Ansätzen bei in den beiden Arbeite» nicht vorkommenden heutigen
katholischen Theologen wie E. Przywara oder K. Rahner
zu schweigen — die Mysterientheologie O. Casels weiterführende
Bedeutung zu haben (einmal abgesehen von oft geäußerten
Bedenken, die gegen seinen Mysterienbegriff als
solchen geltend gemacht werden müssen). Es ist theologisch und
religiös nicht ungefährlich, wenn Gottes uns zugewandtes Wesen
und sein uns seligmachendes Tun nicht bis zum Letzten und
zentral vom Kreuz Christi her begriffen wird.

Die Veröffentlichung der beiden Arbeiten von Brosch und
Heuser scheint uns trotz der naheliegenden und berechtigten
Bedenken im Hinblick auf die fehlende Aufarbeitung der Forschung
und dogmatischen Entwicklung bis zur Gegenwart doch
sinnvoll zu sein und für den evangelischen Theologen bedeutsam
als Einführung in ihm weithin unbekanntes Land und als
Anregung zu eigener Besinnung.

Leipzig UlridiKühn

Beyreuther, Erich, Doz. Dr.: Geschichte der Diakonie und Inneren
Mission in der Neuzeit. Berlin: Wichern - Verlag [1962]. 220 S.
gr. 8° = Lehrbücher f. d. diakonische Arbeit, hrsg. von H. Chr.
von Hase, Bd. I. Lw. DM 10.80.

Es ist sehr zu begrüßen, daß die Reihe der „Lehrbücher
für die diakonische Arbeit" mit einem geschichtlichen Bande
eröffnet wird. In drei einleitenden Kapiteln durchschreitet der
Verf. die Kirchengeschichte von den Anfängen bis zur Mitte
des vorigen Jahrhunderts im Blick auf diakonisches Wirken, um
dann mit Fliedner, Löhe und Wichern zu seinem eigentlichen
Thema zu kommen, das er mit zwei weiteren Kapiteln über die
Zeit zwischen 1871 und 1914 und der Epoche zwischen den
beiden Weltkriegen abschließt. Die Darstellung ist klar und
verständlich, reichlich mit Literaturangaben unterstützt, doch
hätte ich gewünscht, daß der Verf. trotz des pädagogischen
Zweckes seines Buches hier und da kräftigere Akzente gesetzt
hätte, namentlich an solchen Stellen, wo die Auseinandersetzung
mit der von ihm zitierten Literatur das 'geradezu forderte.
Besonders bei den Abschnitten, die die Stoecker- und Naumannzeit
behandeln, aber auch im Wichernkapitel, fällt 'das
Bemühen zu harmonisieren auf. Aber sonst kann 'man nur
dankbar sein, daß die Ausbildungsstätten der IM nun ein derartiges
geschichtliches Lehrbuch besitzen.

Auf einen Druckfehler sei hingewiesen: der Sozialdemokrat, der
Stoecker in der berühmten Eiskeller-Versammlung entgegentrat, hieß:
Johannes Most.

Berlin KarlKupiscli

Bendiscioli, Mario: Der Quietismus zwischen Häresie und
Orthodoxie. Wiesbaden: Steiner 1964. 44 S. kl. 8° = Institut für
europäische Geschichte Mainz, Vorträge, Nr. 36. DM 4.—.

Beniner, Johannes: Die kollegiale Gewalt der Bischöfe für die
Gesamtkirche nach der Theologie des 18. Jahrhunderts (Gregorianum
45, 1964 S. 280—305).

— Eine Mainzer Dissertation aus dem Jahre 1779 über das Traditionsproblem
(Georg Weiss, Sistema Traditionum divinarum contra Pro-
testantes). (Schol. 39, 1964 S. 27—45).

Beyreuther, Erich: Die Rückwirkung amerikanischer kirchen-
geschichtlicher Entwicklung auf das Evangelische Deutschland (ÖR
13, 1964 S. 137—256).

D e 1 i u s, Walter: Die Inspirierten-Gemeinde zu Berlin (Zwischenstation
. Festschrift für K. Kupi6ch zum 60. Geburtstag. München:
Chr. Kaiser Verlag 1963 S. 19—26).

Döring, Johannes, u. Joachim W e i g e 1 t : Zur neueren Geschichte
der deutschen evangelischen Gemeinde in Jerusalem (Die evangelische
Diaspora 34, 1963 S. 149—182).

Dolch, Heimo: Zur 400jährigen Wiederkehr des Geburtstages Galileis
(ThGl 54, 1964 S. 90—101).

D o 11 i n g e r, Robert: Sören Kierkegaard und die Reformation
(Luther. Zeitschrift der Luthergesellschaft 34, 1963 S. 61—71).