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Ausgabe:

1964

Spalte:

931-934

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Heuser, Adolf

Titel/Untertitel:

Die Erlösungslehre in der katholischen Dogmatik von B. P. Zimmer bis M. Schmaus 1964

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

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Papst gleich einem anderem Souverain Macht habe, eine Entscheidung
des Konzils gemäß der Vollmacht seines Gewissens
wie kraft der Inspiration des Hlg. Geistes durch sein Veto zu
verhindern (Nr. 404). Wenn die Regierungen nicht zum Konzil
eingeladen worden sind, so darum, weil sie entweder als katholische
Mächte ihre Pflichten gegenüber der Kirche vernachlässigten
oder überhaupt antikatholisch sind (Nr. 408).

Zur Eröffnung des Konzils erhielt Russell, dem mehrfach
päpstliche Privataudienzen, einmal auch mit seiner jungen Frau
gewährt worden 6ind, von Antonelli die Genehmigung, mit
seiner Ehegattin die Diplomatentribüne zu benutzen. Der französische
Gesandte als Doyen des diplomatischen Korps verhinderte
dies. Er wies darauf hin, daß Russell als Agent nicht
Angehöriger des diplomatischen Korps sei. Antonelli bedauerte
diese Entscheidung aufrichtig.

Russell schildert nun die glanzvolle Eröffnung des Konzils
, wobei er auf die beiden Parteien unter den Konzilsvätern
hinweist. Die eine nennt er die Mehrheit, die Römische, die
Päpstliche, die Jesuiten oder Ultramontane Partei, die sich aus
Bischöfen aus Italien, Spanien, Süd-Amerika, England, Irland,
Belgien und aus der Hälfte der französischen Bischöfe zusammensetzt
. Die Minderheit, die Civiltä Catholica, die sogenannten
Liberalen, standen unter der Führung des französischen Bischofs
Dupanloup und unter Inspiration des französischen Gesandten.
Sie umfaßte die Bischöfe aus Österreich, Deutschland, Nord-
Amerika, Böhmen, Ungarn, Portugal und eine Reihe französischer
Bischöfe. Kardinal Antonelli nannte Dupanloup und seine
Gefolgschaft „la furia francese" (Nr. 424). Die orientalischen
Bischöfe waren noch unentschlossen, welcher Gruppe sie 6ich
anschließen sollten (Nr. 413).

Russell schildert dann die Vorgänge in den einzelnen
Kommissionen und die bewegten Verhandlungen über die
Infallibilität. Auf ein paar bemerkenswerte Ausführungen sei
hier hingewiesen. So, wenn ihm Antonelli konsterniert mitteilt
, daß Napoleon III. bei Annahme des Infallibilitätsdogmas
seine Truppen aus Rom abziehen will (Nr. 446), oder die
Schilderung des Protestes Stroßmayers (467).

Während des Konzils hatte Russell am 13. Januar 1870
eine päpstliche Privataudienz, in der der Papst ihm die Verdammung
der irischen Fenians, einer revolutionären Unabhängigkeitsbewegung
gegen England, ankündigte. In den Berichten
seit dem Jahre 1866 kommt Russell immer wieder auf die
für England gefährliche Bewegung zurück. Dem Papst machte
diese Bewegung Sorge, weil der irische Klerus weithin für die
Fenians Partei nahm. Jetzt will der Papst, wie er Russell mitteilt
, die irischen Kleriker anweisen, ihren Gemeinden das
päpstliche Verdammungsurteil bekannt zu geben.

Dreißig Bildtafeln, meist Photos von Russell und den
wichtigsten Persönlichkeiten seiner Berichte, ein gut informierendes
Personen- und Sachverzeichnis bereichern das Buch.
Eine neue Darstellung des ersten Vatikanum kann an dieser
Publikation nicht vorübergehen.

Berlin Walter D e I i u s

Brösel, Hermann Joseph: Das Ubernatürliche in der katholischen
Tübinger Schule. Essen: Ludgerus-Verlag 1962. XXI, 193 S. gr. 8°
= Beiträge zur neueren Geschichte d. katholischen Theologie, Bd. 3.
Kart. DM 26.—.

Heuser, Adolf: Die Erlösungslehre in der katholischen deutschen
Dogmatik von B. P. Zimmer bis M. Schmaus. Essen: Ludgerus-Verlag
1963. XV, 234 S. gr. 8° = Beiträge zur neueren Geschieht« der
katholischen Theologie, Bd. 4. DM 26.—.

Während die evangelische Theologie zwischen den beiden
Weltkriegen auf Grund des reformatorischen Durchbruchs, der
durch die dialektische Theologie ausgelöst war, der Theologie
des 19. Jahrhunderts im allgemeinen mit einer gewissen Reserve
gegenüberstand und man erst nach dem zweiten Weltkrieg verstärkt
auf das wichtige „Erbe des 19. Jahrhunderts" erneut aufmerksam
wurde, gingen in der katholischen Theologie bereits
nach dem ersten Weltkrieg erneuernde Wirkungen auch auf eine
neue Begegnung mit dem 19. Jahrhundert, insbesondere mit der
katholischen Tübinger Schule, zurück. Diese Tatsache dürfte mit

Anlaß für die beiden vorliegenden Untersuchungen sein, die
bereits vor 1945 verfaßt, aber erst jetzt zum Druck gekommen
sind. H. J. Brosch, jetzt Professor der Dogmatik am Priesterseminar
in Aachen, hat mit seiner Arbeit über „Das Übernatürliche
in der katholischen Tübinger Schule" 1935 an der päpstlichen
Universität Gregoriana in Rom promoviert; die Studie
von A. Heuser „Die Erlösungslehre in der katholischen deutschen
Dogmatik von B. P. Zimmer bis M. Schmaus" ist in den
Sommermonaten 1945 zum Abschluß gekommen. Beide Arbeiten
sind in der ursprünglichen Form, also ohne Einarbeitung der
weiteren Forschung bzw. der weiteren dogmatischen Entwicklung
seit der Abfassung, gedruckt worden. Dieser Tatbestand
hat inzwischen J. R. Geiselmann, den verdienstvollen Fachmann
für die katholische Theologie des 19. Jahrhunderts, insbesondere
für die Tübinger Schule, zu einem scharfen Angriff gegen
die Arbeit von H. Brosch veranlaßt (Tüb. Theol. Quartalschrift
143, 1963, S. 422—453). Einer der Hauptvorwürfe Geiselmanns
besteht darin, daß Brosch seine Arbeit nicht auf die in
letzter Zeit erschienenen und von ihm, Geisclmann, besorgten
Ausgaben insbesondere der Werke Möhlers umgestellt hat.
Brosch hat lediglich im Literaturverzeichnis und vielfach in den
Anmerkungen die Titel der neu erschienenen Literatur nachgetragen
und im übrigen in dem 1962 geschriebenen Vorwort die
unveränderte Drucklegung der 193 5 abgeschlossenen Arbeit zu
rechtfertigen versucht (vgl. zu diesem Vorwort Geiselmann,
S. 426—437), während sich bei Heuser auch im Literaturverzeichnis
keine nach 1941 erschienene Literatur findet (der
Name Geiselmann fehlt vollständig!).

Die Abhandlung Broschs beschränkt sich im wesentlichen auf drei
Theologen der ersten Generation der Tübinger Schule: Joh. Seb. Drey
(1777—1853), Joh. Bapt. Hirscher (1788—1865) und Joh. Adam Möhler
(1796—1838). Nach einer Einführung, in der ein — in 6einer Kürze
fast fragwürdiger und für Paulus (was heißt es, daß Pls. „vor Überschätzung
von Gesetz und Natur warnen" mußte?) und die Reformation
korrekturbedürftiger — Überblick über die Geschichte des Problems
gegeben und die Beurteilung der Tübinger Schule durch die
nachfolgenden Generationen dargestellt wird, behandelt das I. Kapitel
den „historischen Ausgangspunkt der Tübinger Schule" in Aufklärung
, Idealismus, Romantik und traditioneller Scholastik samt den
daraus entspringenden ersten Ansätzen bei Sailer, Zimmer u.a.; das
II. Kapitel „die Grundlage des übernatürlichen Charakters der Theologie
", insbesondere die Bedeutung von Geschichte, Schrift, Tradition
und Vernunft in der Theologie; das III. Kapitel „die Entfaltung des
Übernatürlichen" mit den drei für die frühen Tübinger charakteristischen
Leitgedanken: der Reich-Gottes-ldee, dem Organismus- und
dem Entwicklungsgedanken; das IV. Kapitel die Frage von natürlicher
und übernatürlicher Erkenntnis; das V. Kapitel die Bedeutung des
Heiligen Geistes für das Übernatürliche, insbesondere sein Sein und
Wirken in der Kirche und 6ein Verhältnis zur geschaffenen Gnade;
das VI. Kapitel Urständ und Sünde; das VII. Kapitel Wiedergeburt
und Rechtfertigung; das VIII. Kapitel die aktuelle Gnade; das IX. Kapitel
schließlich das Verhältnis der Tübinger Schule zur Scholastik. Zu
jeder Sachfrage werden die drei genannten Theologen gehört, wobei
sich zeigt, daß Drey im Grunde noch „eine verfeinerte Form der rationalistischen
Theologie" vertritt, „die er eigentlich selbst am heftigsten
bekämpfen wollte" (60), während Hirscher ganz „a u s und a n
dem Lebendigen" (63) des Übernatürlichen im Sinne eines aktuellen
Vollzugs seine theologischen Aussagen machte, schließlich Möhler über
allen Rationalismus und Aktualismus hinaus in Begegnung mit der
katholischen Tradition das Seinshaft Übernatürliche in einer vorbildlichen
, katholisch integren Weise wieder zur Darstellung brachte. Bei
allen drei Theologen spielen freilich der Zeitphilosophie entnommene,
besonders romantische Vorstellungen (insbesondere der Organismus-
und der Entwicklungsgedanke) eine bedeutende Rolle, ohne daß sie
jedoch, wie an Möhler nachgewiesen wird, einer gut katholischen Auffassung
des Übernatürlichen als solcher notwendig widersprechen müßten
(72). Im ganzen ist der Verf. bestrebt, im Unterschied zu Geiselmann
und Eschweiler, die beide in erster Linie die Beziehung der
Tübinger zur zeitgenössischen Philosophie herausgearbeitet haben, vor
allem dem Verhältnis der Tübinger zur katholischen Tradition, insbesondere
zum Mittelalter, nachzuspüren (19), wobei durch das ganze
Buch hindurch allein Möhler als Finder des wahren Weges und als Durchbruch
zur Glaubenstiefe angesehen und beschrieben wird: er hat im
Unterschied zu Drey und Hirscher die Hochscholastik bejaht, hat aber
mit dieser die gemeinsamen Züge der Tübinger Theologie (Anlehnung
an Sprache und Geist der hl. Schrift und an die Väter, Theologie des
Lebens, der Ausrichtung auf religiös-lebendige Menschen, Theologie
de6 organischen Denkens, Wirkens und Sich-entfaltens, damit verbun-