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Ausgabe:

1964

Spalte:

925-928

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Beer, Martin

Titel/Untertitel:

Dionysius' des Kartäusers Lehre vom Desiderium naturale des Menschen nach der Gottesschau 1964

Rezensent:

Schmidt, Martin Anton

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

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nicht nur das letzte Kapitel der Geschichte des Paideia-Ideals
bei den spätantiken .Griechen', sondern zugleich das „Vorwort"
zur Geschichte der Umformungen dieses Ideals im lateinischen
Mittelalter (S. 76). Möge diesem gewichtigen „Vorwort" bald
ein grundlegendes Werk aus ebenso berufener Feder folgen!
Halle/Saale Hans-Joachim D i e s n e r

Boer, S. de: Basilius de Grote en de „homoousie" van de Heilige

Geest (NThT 18, 1964 S. 362—380).
M o i n g t, Joseph: Une etude du vocabulaire doctrinal de Tertullien

(RechSR 52, 1964 S. 248—260).
O e 11 i n g, Walter: Early Christian Attitudes Toward the Roman

State (Concordia Thcological Monthly 34, 1963 S. 8—18).
Pelletier, Andre: L'originalite du temoignage de Flavius Josephe

Sur Jesus (RechSR 52, 1964 S. 177—203).
Pruche, Benoit: Autour du traite sur le Saint-Esprit de saint Basile

de Cesaree (RechSR 52, 1964 S. 204—232).
Re foule, Francois: Julien d'Eclane, theologien et philosophe. III.

Sources de la Philosophie de Julien (RechSR 52, 1964 S. 233—247).
Ringgren, Helmer: The Gospel of Truth and Valentinian Gnosti-

cism (StTh 18, 1964 S. 51—56).
Steidle, Basilius: „Wer Euch hört, der hört mich" (Lk 10,16). Die

Einsetzung des Abts im alten Mönchtum (Erbe und Auftrag 40,

1964 S. 179-196).
Walter, Nikolaus: Anfänge alexandrinisch-jüdischer Bibelauslegung

bei Aristobulos (Helikon 3, 1963 S. 353—372).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Beer, Martin: Dionysius' des Kartäusers Lehre vom desiderium
naturale des Menschen nach der Gottesschau. München: Max Hueber
Verlag 1963. XX, 308 S. gr. 8° = Münchener Theologische Studien,
im Auftrag der Theologischen Fakultät München hrsg. v. J. Pascher,
K. Mörsdorf, H. Tüchle, IL Systematische Abteilung, 28. Band.
Kart. DM 28.—.

Untersuchungen über die Theologie der Spätscholastik
sind schon darum verdienstlich, weil für die heutige Forschung
dieses Gebiet noch weithin „ins Zwielicht getaucht" ist (S. l).
Dionysius der Kartäuser (1402—1471), dessen sehr umfangreiches
Werk ein umfassendes und abgewogenes Repertorium
besonders der hochscholastischen Traditionen bietet, ist gern
der „letzte Scholastiker" genannt worden. Die kundige Darstellung
des Verfassers zeigt auf Schritt und Tritt, daß wir es
dabei nicht mit einem bloßen Kompilator zu tun haben: Des
Kartäusers „wissenschaftliche Selbständigkeit" darf, trotz
seiner großen Abhängigkeit von den Scholastikern des 13. Jahrhunderts
, „nicht zu gering eingeschätzt werden" (S. 45). Während
Dionysius' philosophische Erkenntnislehre schon von
H. Pohlen1 in gültiger Weise dargestellt wurde, ist M. Beer der
erste, der sich auf breiter Front der systematischen Theologie
des „doctor ecstaticus" zuwendet (vgl. S. 3). Seine hier
vorliegende Untersuchung (1958 von der Münchner Theologischen
Fakultät als Inauguraldissertation angenommen) widmet
sich einem besonders interessanten Gebiet der dionysischen
Gnadenlehre. Deren Gesamtdarstellung (mit Betonung der
Punkte, in denen ihre Eigenart über die Kontinuität mit der
Tradition hinaus anschaulich wird) liegt größtenteils im Manuskript
vor und soll später veröffentlicht werden (vgl. S. 5).

Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht die
im Titel gekennzeichnete „originelle Sonderlehre" (S. VII),
».die in Anknüpfung an die wiedererwachte griechische, vor
allem aristotelische Philosophie während der Renaissancezeit
eine neuzeitliche Denkweise einleitete. So ist der .letzte
Scholastiker' zugleich der erste neuzeitlich denkende Theologe
" (S. 157). Dieses Urteil ist, soweit es sich um den hier
untersuchten Problemkreis handelt, durchaus sachgemäß; der
Verfasser weist die Unabhängigkeit der Lösung, die Dionysius
dem Problem gibt, nach und tut damit dar, daß er (im Gegensatz
zum etwas älteren Johannes Capreolus, S. 156) schon vor
den Thomisten des 16. Jahrhunderts die vom natürlichen Verlangen
des Menschen nach der Gottesschau handelnden Texte
des Thomas zum Ausgangspunkt einer neuartig scharfen onto-

') Die Erkenntnislehre Dionysius' des Kartäusers, Leipzig 1941.

logischen Fassung des Gegensatzes zwischen dem Natürlichen und
dem Übernatürlichen macht. Damit schaltet sich der Verfasser
auch „in die schwierige, in unseren Tagen besonders lebhaft geführte
Diskussion ein, wie das Hinordnungsverhältnis der Natur
zum Übernatürlichen begrifflich näher zu fassen ist" (S. 6).
Es ergibt sich, daß Thomas diese Hinordnung positiv (d. h.
nicht nur im Sinn einer bloß passiven Aufnahmefähigkeit der
Natur) nur insofern verstanden hat, als er annahm, daß der
natürliche Intellekt über die ihm zugängliche Erkenntnis der
Existenz Gottes hinaus eine solche des göttlichen Wesens erstrebt
, also, da dieses natürliche Streben nur durch die Gnadenoffenbarung
vollkommen erfüllt werden kann, natürlicherweise
über sich selbst hinausstrebt — daß anderseits aber dieses
transzendente Ziel (das Wesen der ersten Ursache zu erkennen)
nach Thomas nicht mit dem spezifisch übernatürlichen Ziel
der beseligenden Erkenntnisschau der Trinität verwechselt
werden darf; letzteres Ziel kann vom Intellekt natürlicherweise
nicht erstrebt werden. Dionysius nun hat in gleicher
Weise wie später Cajetan und Banez und heute H. de Lubac
dieses Problem verschoben, indem er den von Thomas gemachten
Unterschied zwischen dem philosophisch Übernatürlichen und
dem theologisch Übernatürlichen nicht erkannt hat (vgl. S. 172
—179). Muß man ihn hierin der gleichen Fehlinterpretation des
Thomas zeihen, die (nach der Kritik von H. Lais) H. de Lubac
begangen hat, so hat er sachlich erklärt, Thomas hier nicht
folgen zu können und dem natürlichen menschlichen Intellekt
jegliche aktive Zielstrebigkeit über seine eigene Fassungskraft
hinaus abgesprochen. Aber auch dann, wenn er Thomas richtig
verstanden hätte, wäre Dionysius ihm nicht gefolgt. Der Verfasser
zeigt nämlich an vielen Einzelheiten, daß dem Kartäuser
die besondere (Aristoteles voll auswertende, aber doch
transzendierende) Weise des Thomas, Natur und Gnade zu
unterscheiden und doch (durch die Annahme eines schöpfungsmäßigen
, aber sich selbst transzendierenden desiderium naturale)
zu verklammern, fremd ist. „Dionysius denkt sich... die Natur
als eine in 6ich geschlossene, autonome, sich selbst genügende,
daher autarke Wirklichkeit, oder besser, Denkmöglichkeit. Er
abstrahiert von der positiv göttlichen Heilsordnung und entwickelt
eine theologia naturalis, die von der Hinordnung des
Menschen auf die Gottesschau im Sinne der Offenbarung absieht
und nur eine natürliche, dem Wesen des Menschen entsprechende
Gottesgemeinschaft als abstrakte Denkmöglichkeit
ins Auge faßt, um auf diesem Hintergrund die
Gratuität und Transzendenz des Übernatürlichen besonders wirksam
schildern zu können. Er ist in diesem Punkt reiner
Aristoteliker, der die theologische Tradition, wie 6ie noch bei
Thomas in der Zusammenschau von metaphysischer Argumentation
und heilsgeschichtlicher Sicht zur Geltung kommt, restlos
verlassen hat. Sein Naturbegriff steht im eklatanten gedanklichen
Gegensatz zum Übernatürlichen" (S. 181).

Einerseits hat so Dionysius in diesem Punkt „als erster
in der Entwicklung einer theologia naturalis ... die Auswirkung
der reinen, in sich stehenden Natur (natura pura) konsequent
zu Ende gedacht" und damit eine „revolutionäre Neuerung
" eingeführt, „die man bisher viel später lebenden Theologen
des 16. Jahrhunderts zugeschrieben hat und die die neuzeitliche
Denkweise einleitete" (S. 189). Anderseits aber handelt
es 6ich dabei nur um eine Abstraktion und gedankliche
Aussparung (vgl. die Hervorhebungen des Rezensenten in den
obigen Zitaten) innerhalb eines Gesamtdenkens, das für eine
positive Brücke zwischen Natur und Übernatur aristotelischer
Bausteine entraten kann, weil es (in unbeschwerterer Weise,
als dies bei Thomas der Fall ist) über augustinische und neuplatonische
Elemente (besonders aus den Intelligenzenlehren der
arabischen Peripatetiker) zur Ergänzung und Kompensation der
aristotelischen verfügt.

Während diese Sonderlehre und ihre Zusammenhänge
hauptsächlich im zweiten der drei Kapitel des Buches (S. 80
—189) dargestellt sind, kommt in den beiden anderen Kapiteln
mehr deren nicht-aristotelische Kompensation zur Sprache. Das
erste (S. 53—80) zeigt in einleitender Weise, wie Dionysius sich
sowohl aristotelischer als neuplatonischer Denkstrukturen be-