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Ausgabe:

1964

Spalte:

922-923

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Die Kirche in ihrer Geschichte ; Band 1, Lieferung A: Die apostolische und nachapostolische Zeit 1964

Rezensent:

Reicke, Bo

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

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— ohne Anspruch auf Vollständigkeit — einen umfangreichen Katalog
beisteuert. Sie fanden bei den eucharistischen Feiern der frühen Hausgottesdienste
gewiß häufige Verwendung und haben sich besonders im
Totenkult lange gehalten. Im Fortgang seiner „Studien zur Entstehungs-
gesdiichte der christlichen Kunst" untersucht Theod. K 1 a u 6 e r „die
ältesten biblischen Motive der christlichen Grabkunst". Mit souveräner
Beherrschung des gesamten Materials weist er gegen S t y g e r s etwas
summarische Statistik überzeugend nach, daß von einem Übergewicht
der neutestamentlichen Szenen, aufs Ganze gesehen, kaum die Rede
sein kann und daß jedenfalls für die vorkonstantinische Zeit das umgekehrte
Verhältnis statt hat. Aus der merkwürdig verkürzten und
konzentrierten Form der szenischen Darstellung ergibt sich eine symbolische
, erinnernde Bedeutung, und aus der festen Prägung, die die
meisten Szenen von Anfang an aufweisen, folgt, daß sie in der Grabkunst
der Katakomben nicht entstanden sein können. Ihr Ursprung
muß anderswo gelegen haben, und hierfür bringt Kl. die Steinschneidekunst
der Siegelringe und Gemmen in Vorschlag. Für die alttestament-
lichen Szenen dürfte dann bereits das Judentum Vorarbeit geleistet
haben. Die Beobachtungen, von denen diese ingeniöse These ausgeht,
sind unbestreitbar; aber ich weiß nicht, ob die Lösung zu halten ist.
M. E. müßte in diesem Falle doch eine wesentlich größere Zahl von
Parallel en in der Steinschneidekunst vorliegen, als der Verf. fürs erste
beibringen kann. Dazu sind die wenigen Parallelen meist nicht zu
datieren und nur z. T. überzeugend.

Ilona O p e 11 schildert im Anschluß an Peterson (dessen
Ausführungen über den „Monotheismus als politisches Problem" in der
Literatur heute fast kanonisches Ansehen zu besitzen scheinen) das
Aufkommen einer christlichen „Augustustheologie und Augustustypo-
logie", wobei sie besonders der Christianisierung der auf Livius
zurückgehenden Prodigienerzählungen bei Orosius und der frühmittelalterlichen
„Expositio quattuor evangelistarum" (Ps. Hieronymus)
ihre Aufmerksamkeit schenkt. Leo K o e p steuert eine kenntnisreidie
Darstellung zur Entstehung und Entwicklung der oft behandelten
christlichen Entgegensetzung von Kaisertum und Christusbekenntnis bei,
m. E. mit etwas zu konservativer Beurteilung der Echtheits- und
Datierungsfragen in den Märtyrerakten. Interessant ist die Erörterung
über die „Romana religio" und die „Caeremoniae Romanae" in den
Cyprianakten. Diese Begriffe sind doch wohl im Sinne einer Unterscheidung
der äußeren Riten von der inneren Bejahung aufzufassen —
eine Vorstellung, die dem römischen Kultus im Grunde fremd ist und
darum nur als ein von den Christen aufgenötigtes Entgegenkommen
zu verstehen ist.

Eine großartige Untersuchung bietet A. Hermann zur Vorstellung
des „steinharten Herzens", die bei den Kirchenvätern im Anschluß
an die Bibel (Verstockung Pharaos im Exod., Jesajas, Ezechiel,
Paulus) schon vor Augustin und dann vor allem bei ihm und im pela-
gianischen Streit eine große theologische Rolle 6pielt. Mit einer Fülle
von Material wird die völlige Andersartigkeit des Sinnes gegenüber
den ähnlioSen, klassisch-antiken Bildworten belegt. Geradezu aufregend
ist aber der Versuch, die biblische Vorstellung im Kontrast und in der
Abhängigkeit vom ägyptischen, hier positiv gemeinten Ideal des festen
Herzens zu begreifen und die „Auswechslung" des Herzens durch Gott
mit den entsprechenden Riten des ägyptischen Totenkults zu erklären.
Die Ableitung ist bestechend und wird die Alttestamentler noch beschäftigen
müssen. Sie ist audi nicht von der Historizität der Auszugsgeschichten
abhängig, von der der Verfasser ausgeht. H. H e r t e r behandelt
in Fortführung einer älteren Studie „das unschuldige Kind" in
der klassischen Antike und die Vorstellung vom Kindsein überhaupt.
Für die Patristik konnte im Gegensatz zum Neuen Testament nicht viel
mehr als eine — willkommene — Stellensammlung geboten werden, da
das Thema hier als solches nicht interessiert und kaum erörtert wird.
K. Thrade untersucht „die Rezeption rhetorischer Topoi bei
Commodian", speziell den Topos von der „Unsagbarkeit" und „pauca
e multis". Der methodologisch schwer befrachtete Aufsatz ist mit dem
reichhaltigen und interessanten Artikel über Arator zusammenzuhalten
und eröffnet eine Reihe von „Untersuchungen zum Ursprung und zur
Geschichte der christlichen Poesie". Der Verfasser, der an seiner früher
verfoditenen Frühdatierung Commodians festhält (vgl. Jb. A. u. Chr. 1959)
möchte dessen unklassische Form mit den Anfängen der christlichen Poesie
bei den Häretikern zusammenschen und durchaus nicht einfach als barbarisch
begreifen, sondern in eine grundsätzliche Beleuchtung rüdcen.
Zweifel bleiben möglich; doch ist die Forderung, die Form- und
traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkte nicht von den theologisdien zu
trennen, auf jeden Fall zu bejahen. Sie zielt, wenn ich recht verstehe,
auf eine radikale Umgestaltung der bisherigen — zweifellos veralteten —
„altchristlichen Literaturgeschichte" unter der Forderung einer Form-
geschichte als theologischer Geiste6ges<hichte.

Heidelberg Hans Ton Ca m p en h a u s en

Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur
Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Begründet
von Frz. Jos. Dölger, Th. Klauser, H. Kruse, H. Lietzmann,
J. H. Waszink, hrsg. v. Theodor K 1 a u s e r. Lfg. 40. Stuttgart:
Hiersemann 1962. Sp. 1122—1286. 4°.

Noch immer warten wir darauf, daß die Stockung im Erscheinen
des RAC endlich überwunden werde — über die letzte
Lieferung des fünften Bandes sind wir seit über einem Jahr
nicht hinausgekommen1. So sei jetzt wenigstens über diese berichtet
!

Sie wird fast ganz von den zwei großen Artikeln „Erde"
(Ilona O p e 11) und „Erfinder" (J a x und vor allem
T h r a e d e) ausgefüllt. Beide enthalten eine bewundernswerte
Fülle interessanten Materials und manche anregende Beobachtung
; aber mir scheint doch, daß die gelehrten Verfasser den
Raum, der ihnen gewährt wurde, allzu unbekümmert genützt
haben, um Dinge zu veröffentlichen, die niemand unter diesem
Stichwort suchen wird. Das ist nicht nur gegen das Interesse des
Benutzers, sondern schließlich auch der Verfasser selbst. Wer
sucht unter der „Traditions- und Formgeschichte des Erfinder-
topos" die ganzen Theorien vom Ursprung der Philosophie
und Häresie, vom Diebstahl der Hellenen, den Nachweis der
verschiedenen Formen des Prioritätsanpruchs für die Barbaren
oder für die Hebräer vor den Griechen? Oder wer erwartet
bei dem Stichwort „Erde" über sichtbare und unsichtbare
Welt, das Weltenhaus und die ganze Kosmologie
unterrichtet zu werden? Das muß mit späteren Artikeln zu unliebsamen
Überschneidungen führen. Wer sich freilich daran
macht, die Aufsätze um ihrer selbst willen zu lesen, wird immer
belohnt werden.

Die Verfasserin des Artikels „Erde" betont wohl zu Recht,
daß Dieterichs Theorie von einem ursprünglichen Glauben
an die „Mutter Erde" heute nicht mehr zu halten sei. Dagegen
glaube ich nicht, daß ihre Deutung des Caelus auf dem bekannten
Lateransarkophag 174 als Erde (nach Jes. 66, 1) zu Recht
besteht: nicht nur die Analogie und der männliche Typus — vor
allem das als Gewölbe ausgebreitete Tuch1 sprechen entschieden
für die ältere Deutung. Im neutestamentlichen Teil wird nicht
hinlänglich deutlich, daß „Erde" hier im allgemeinen kein
kosmisch-naturhafter Begriff mehr ist, was z. T. schon die Väter
betont haben (Sp. 1159). — Als amüsantes Beispiel für die
Aktualität des „Erfinder"-Artikels sei der Hinweis auf eine
anonyme Rede an den Kaiser aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert
hervorgehoben (Sp. 1188). Sie will zeigen, „daß kaiserliche
Schenkungen zur Bekämpfung des Verfalls gerade auch den
Bereichen von Technik und Wirtschaft zugute kommen müßten.
Die Werte der höheren Bildung würden von den utilitates
artium übertreffen, zu denen auch die inventio armorum gehöre.
Den Barbaren fehle die höhere Bildung, keineswegs aber das
technische Vermögen; daher sei gerade auf technischem Gebiet
dem Unheil zu wehren."

Die Prodigien der Legende, in der „die Erde jeweils zugunsten
der (frommen) Christen eingreift", sollte man darum nicht „parteiisch"
nennen (Sp. 1164); denn daß sie es zugunsten der (gottlosen) Heiden
tun sollte, ist doch wirklich zu viel verlangt. Unklar wirkt Sp. 1174:
Wenn Kosmas die Sonne abends hinter den Bergen sich bergen läßt,
6o kann er nicht die „Sonnenbewegung" schlechthin geleugnet haben.
Sp. 1174, Z. 10 v. u., lies „oder" für „bzw."; Sp. 1188, Z. 9 v. o., „vorhandenen
" statt „vorhanden gewesenen"; Sp. 1273, „1 Joh. 2, 19" statt
„1 Joh. 2, 9".

Heidelberg Hans v.Campenhausen

') Inzwischen ist die Lieferung 41 erschienen.

Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hrsg. von K. D.
Schmidt und E.Wolf. Band 1, Lieferung A: Die apostolische
und nachapostolische Zeit. Von Leonhard G o p p e 11. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1962]. IV, 157 S. gr. 8°. Kart. DM 15.80.

Um die Gestaltwerdung der Kirche und ihrer Botschaft
geht es Goppelt in dieser gediegenen und lehrreichen Übersicht
des ersten christlichen Jahrhunderts. Geschichtliche und theologische
Faktoren werden gleichzeitig berücksichtigt, diskutiert
und dargestellt, ohne ausführliche Entfaltung, aber in zielbewußter
Zusammenfassung. Kritik der einseitigen Hypothesen