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Ausgabe:

1964

Spalte:

917-920

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ruckstuhl, Eugen

Titel/Untertitel:

Die Chronologie des letzten Mahles und des Leidens Jesu 1964

Rezensent:

Michaelis, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

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seinem Lehrer alle Ehre macht und die Erwartung weckt, der in
diese komplizierte Materie bestens eingearbeitete junge Forscher
möchte die Wissenschaft durch weitere Beiträge dieser Art
fördern und dadurch eine Betrachtungsweise erhärten, wie sie
W. Bauer in seinem nun in 2. Aufl. erschienenen Buch „Rechtgläubigkeit
und Ketzerei im ältesten Christentum" angeregt
hat.

Berlin Erich Fascher

Ruckstuhl, Eugen, Prof. Dr.: Die Chronologie des Letzten Mahles
und des Leidens Jesu. Einsiedeln-Zürich-Köln: Benziger [1963]. 124 S.
8° = Biblische Beiträge, hrsg. v. d. Schweiz, kath. Bibelbewegung,
N. F. H.4. DM 6.80.

Der Verf., Prof. für nt Exegese an der Theol. Fakultät Luzern,
schreibt am Schluß seines Vorwortes, er hoffe, „auch für die
Fachwelt eine Reihe neuer Gesichtspunkte und Lösungen aufgezeigt
zu haben" (S. 3). In erster Linie nämlich gelten seine Darlegungen
„einem weiteren Leserkreis", „den gewohnten Lesern
der Biblischen Beiträge", einer von der schweizerischen katholischen
Bibelbewegung herausgegebenen Schriftenreihe. Die vorliegende
Besprechung wird sich besonders den Thesen zuzuwenden
haben, mit denen der Verf. die Forschung weiterführen
möchte.

Das Inhaltsverzeichnis — es füllt die untere Hälfte der Titelseite
1, die dadurch etwas überladen wirkt (S. 2 und 3 enthalten nur
Imprimatur und Widmung, und S. 4 ist leer) — befriedigt insofern
nicht, als der Absdmitt 7 des Zweiten Teils, der S. 67—120 umfaßt
und somit fast die Hälfte der Arbeit ausmacht, nur mit seinem Haupttitel
„Der Beitrag des Schrifttums von Qumran" angegeben ist, während
die Untertitel A—D (mit weiteren, bis zu 5 Unterteilen) nicht aufgeführt
werden. Im Stoff gerade dieses umfangreichen und für die Beweisführung
des Verf. so wichtigen Abschnitts würde sich der Leser
gern anhand einer Inhaltsübersicht rasch zurechtfinden (in geringerem
Maß gilt dies auch für Abschnitt 5). — Auf S. 6 f. sind die Abkürzungen
aufgelöst, auf S. 7—10 ist das „Fachschrifttum ' genannt.

Auf eine Einleitung (S. 11 f.) folgt ein kurzer „Erster Teil"
(S. 13—19): „Jahr und Tag des Todes Jesu". Es komme „mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit" der 7. April 30 in Betracht.
Dieser Tag sei — „daran ist heute nicht mehr zu rütteln" — ein
14. Nisan gewesen (S. 17).

Ein „Zweiter Teil", alles Übrige umfassend (S. 20—120),
gilt „Chronologie und Ablauf der Leidenswoche". Dieser Teil
zerfällt in 7 ungleich lange Abschnitte, deren letzter, wie schon
erwähnt, bereits auf S. 67 einsetzt und bis S. 120 reicht. Nach
den kurzen Abschnitten 1 „Der Stand der Frage" (S. 20 f.) und
2 „Lösungsversuche" (S. 21—24) wendet sich die Darstellung im
Abschnitt 3 (S. 24-32) der Frage „Das Letzte Mahl Jesu ein
Paschamahl?" zu.

Der Verf. bejaht diese Frage entschieden. Er führt dem Leser
zunächst eine Reihe von Gründen vor, die gegen eine Bejahung geltend
gemacht zu werden pflegen (S. 24—26), und widerlegt diese dann
durch „ernste Einwände und Gegengründe" (S. 26—32). Hierbei werden
auch Schürmanns Untersuchungen zum luk. Abendmahlsbericht herangezogen
(S. 27). Wenn der Verf. diese durch den Hinweis ergänzt, die
Einleitung zum alten, bei Luk. noch erkennbaren Paschamahlbericht
dürfte „ziemlich unverändert und zuwachslos in Mt. 26, 17—19
erhalten sein" (S. 28), so verweist er selbst darauf, daß dieser Satz
„natürlich für entschlossene Anhänger der Zweiquellenhypothese
unvollziehbar" sei, beruft sich jedoch auf die in der Forschung immer
deutlicher werdende Neigung, „die Zweiquellenhypothese zugunsten
einer beweglicheren Betrachtungsweise aufzugeben" (ebd. Anm. 23).
Gerade Mt. 26, 17—19 aber scheint ein schlecht gewähltes Beispiel
für eine 6olche Aufwertung des Mt.-Ev. zu sein, insofern diese Einleitung
, so viele Beobachtungen der Verf. auch für das Gegenteil vorbringt
, nicht einen durchweg gegenüber Mk. selbständigen Eindruck
macht. Andere seiner Überlegungen wiederum leuchten ein, so wenn
er die Möglichkeit ausschließt, daß die quartadezimanische Paschafeier
von Einfluß auf die syn. Darstellung gewesen 6ein könne (S. 29 f.).

Wenn der Verf. somit — m. E. mit vollem Recht — davon
ausgeht, daß das Letzte Mahl Jesu ein Paschamahl gewesen sei,
und wenn er außerdem davon ausgeht, daß der Todestag Jesu
ein 14. Nisan gewesen sei (s.o.), so steht er nun vor seiner
eigentlichen Aufgabe, zu untersuchen, ob diese beiden Ausgangspositionen
, die den Unterschied zwischen der syn. und der joh.
Passionschronologie markieren, sich vereinen lassen oder nicht.
Gleich einleitend bemerkt er im Abschnitt 4 „Joh. und die

Syn. im Recht?" (S. 33—36), beide Standpunkte seien so gut gesichert
, daß es gerechtfertigt sein dürfte, an ihnen beiden festzuhalten
und „anzunehmen, daß sie einer verschiedenen Sicht
entsprachen und in irgendeiner Weise miteinander vereinbar
waren". Vorerst gibt er eine „kurze Darstellung früherer Versuche
", eine solche Vereinbarkeit nachzuweisen (Chwolson, Lagrange
, Lichtenstein und Strack-Billerbeck), und zeigt deren Unzulänglichkeiten
auf. Dann mit Abschnitt 5 „Von der Gefangennahme
bis zur Kreuzigung Jesu. Zeitplan und Gesamtdauer der
Ereignisse" (S. 36—55) tritt er in eine ausführliche und sehr
anregende Darlegung seiner eigenen Sicht der Probleme und ihrer
Lösung ein, die auch noch Abschnitt 6 und 7 umfaßt.

Abschnitt 5 zerfällt in 2 Teile, einen kurzen Teil A „Übersicht
über die Ereignisse" (S. 36—38) und einen längeren, noch
mit Zwischentiteln versehenen Teil B „Einzelgründe für eine
mehr als eintägige Dauer des Leidens Jesu" (S. 38—5 5). Es geht
um die Frage, „ob alle aufgeführten Geschehnisse in der zur
Verfügung stehenden kurzen Zeit ablaufen konnten" (S. 38).
Nachdrücklich hebt der Verf. die zahlreichen Schwierigkeiten
hervor, die in dieser Hinsicht bestehen (S. 38—47). Man wird
diese nicht bestreiten können, aber doch geltend machen müssen,
daß manche Einzelheiten auch eine andere Beurteilung erlauben,
wie sich etwa auch aus den Untersuchungen J. Blinzlers über den
Prozeß Jesu ergibt (mit ihm setzt sich der Verf. übrigens mehrmals
in instruktiver Weise auseinander, so in der langen
Anm. 36 auf S. 38—40 über die Frage der damaligen Normen
der Kriminalgerichtsverhandlungen). Mir will scheinen, als ob
der Verf. ganz allgemein zu rasch auf die Annahme ausweicht,
daß damals an 2 Tagen nacheinander Sitzungen des Hohen Rates
stattgefunden haben, nämlich die eine am Morgen nadi der Verhaftung
Jesu, die andere am Morgen des folgenden Tages (S. 46 f).

Auch wenn einige Einzelheiten anders einzuschätzen sein
sollten, wird der Gesamteindruck allerdings bestehen bleiben,
daß eine Zeitspanne von höchstens 10 Stunden sehr kurz wäre,
um alle in den Evangelien genannten Ereignisse zwischen Verhaftung
und Kreuzigung unterzubringen (S. 47). Die Lage müßte
sich dann noch verschärfen, wenn die Kreuzigung Jesu nicht um
12 Uhr (Joh. 19, 14), sondern schon um 9 Uhr (Mk. 15, 25)
stattgefunden hat, wofür der Verf. sich unter Beiseiteschiebung
der joh. Datierung unbedingt einsetzt (S. 47—49). Entscheidend
ist nun freilich, wie alle diese Schwierigkeiten zu erklären bzw.
welche Folgerungen aus ihnen zu ziehen sind. Der Verf. hat bis
dahin schon ab und an erkennen lassen, in welcher Richtung er
eine Lösung sieht, und wendet sich nun dieser Frage zu.

Als Überleitung bietet er einige Überlegungen zur „Eigenart
der evangelischen Leidensgeschichte" (S. 49 f.). Mit Recht
verweist er darauf, daß den Evangelisten in erster Linie nicht an
der Darstellung eines lückenlosen Zusammenhangs der Ereignisse,
nicht an Vollständigkeit und Genauigkeit des Einzelnen gelegen
gewesen sei, und leitet daraus ab, daß die Ereignisse, besonders
auch in der Leidensgeschichte, von ihnen, wie es zweimal nacheinander
heißt, „stark gerafft und verkürzt" worden seien (S. 50).
Als Analogie dafür, daß Ereignisse „miteinander verbunden"
worden seien, „die in Wirklichkeit weit auseinanderlagen", wird
darauf verwiesen, daß dies auch der Grund sei, „warum die synoptischen
Evangelien den Eindruck erwecken, das ganze öffentliche
Leben Jesu habe sich ungefähr in einem Jahr abgespielt"
(S. 50). Jedoch: das Problem ist in beiden Fällen nicht genau
gleich gelagert.

Es ist doch sehr fraglich, ob wir ohne Vorliegen der joh. Darstellung
überhaupt an der Richtigkeit des syn. Aufrisses der Wirksamkeit
Jesu zweifeln und zu der Meinung gelangen würden, so viele
Ereignisse könnten sich schlechterdings nicht innerhalb eines einzigen
Jahres abgespielt haben. Andererseits ist eine 3jährige Wirksamkeit Jesu
aus dem Joh.-Ev. nicht lediglich erschlossen, sondern das Joh.-Ev. stellt
die Wirksamkeit Jesu eben so dar, sodaß nun Syn. und Joh. unmittelbar
die Frage aufzwingen, welche Darstellung richtiger sein dürfte.
Was hingegen die Leidensgeschichte angeht, so setzen alle Evangelisten
für die Spanne von der Verhaftung Jesu bis zu seinem Tod eine Eintagechronologie
voraus. Zwar hält es der Verf. für „sozusagen sicher",
daß auch Joh. „nicht erlaubt, ein eintägiges Leiden Jesu anzunehmen,
sondern mindestens eine Zweitagechronologie verlangt" (S. 52). Aber
auch das ist ja (anders als die 3jährige Wirksamkeit Jesu) nur eine