Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

897-906

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Theologische Motive im Denken Immanuel Kants 1964

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

897

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 12

898

Rückkehr ins Erdenleben vorstellt — das Mirakel der verschlossenen
Türen ändert daran nichts Entscheidendes.

Wenn man sich fragt, wie Johannes selbst über die Auferstehung
gedacht hat und warum er nicht auf die Benutzung
der ihm jedenfalls in dieser Form beschwerlichen Ostergeschichten
verzichtet hat, dann wird man zweierlei sagen dürfen:
1) Johannes selbst hat vom Kommen des Geistes, des Parakle-
ten und Jesu Wiederkehr im gleichen Sinne gesprochen. Seine
eigene Christologie hatte ihren Grund in der Verbindung der
Tradition vom Erdenleben Jesu mit der Erfahrung des Geistes,
der den Glauben an den Vater und dessen Gesandten Jesus
Christus in sich schließt. Johannes ist nicht der Meinung gewesen
, daß Jesus im Tod geblieben sei und nur im Kerygma der
Jünger — womöglich von einem bloßen ,Daß' — weitergelebt
habe. Er ist — man denke an Stellen wie 10, 18 oder 17, 5 —
davon überzeugt gewesen, daß nun das mit ,Der Logos wurde
Mensch' beschriebene Herabkommen Jesu vom Vater in einem
entsprechenden Hinaufgehen zum Vater sein Gegenstück bekommen
hat. Wie das eine und das andere vor sich gegangen

ist, darüber hat der Evangelist ebensowenig spekuliert wie
Paulus und — weil er dieses ,Wie' für unwichtig hielt — auch
nichts gesagt. Insofern — aber auch nur insofern! — könnte man
(an dieser Stelle!) von einem ,bloßen Daß' sprechen. Aber es
hätte dann einen anderen Sinn, als B. mit diesem Begriff verbindet
. Zwar sollte man angesichts des JE nicht von einem
.erlösten Erlöser' sprechen. Wohl aber ist Johannes — ähnlich
wie Paulus — davon überzeugt gewesen, daß der Vater den
Sohn vJiEQvyjcooev (Phil. 2, 9), .erhöht' hat und daß sich der
Sohn in seiner neuen Vollmacht durch die Verleihung des Geistes
offenbart hat und damit seine Verheißung, er werde alle
die Seinen zu sich ziehen, zu erfüllen begonnen hat. Weil die
Ostergeschichten, die Johannes überkommen hatte, dazu gebracht
werden konnten, dies auszusagen, darum hat Johannes
6ie aufgenommen.

Damit hoffen wir die Fragen angedeutet zu haben, bei
denen sich B.s großer Kommentar zum JE erneut zu bewähren
haben wird.

Theologische Motive im

Von Wolfhart P a :

Seit Max Wundt 1924 „Kant als Metaphysiker" dargestellt
hat, ist der Erkenntnis, daß die Gedanken der kritischen Philosophie
nur von den ihnen zugrundeliegenden metaphysischen
Motiven her sachgemäß gewürdigt werden können, allgemeine
Anerkennung zuteil geworden. Dabei ist neben der Auseinandersetzung
Kants mit Newton und Leibniz auch sein Verhältnis zur
christlich-theologischen Tradition, insbesondere zum Calvinismus,
als bedeutsam für das Verständnis seiner Intentionen erkannt
worden. Über die Eigenart dieses Verhältnisses gehen die
Urteile allerdings noch weit auseinander. H. Bund hat Kant, besonders
den frühen Kant, als Anhänger einer thomistisch gedeuteten
Physikotheologie sehen wollen, H. Schmalenbach hat einem
vermeintlich pantheistischen Denken des vorkritischen Kant das
dualistische Gott-Welt-Verständnis der kritischen Periode entgegengesetzt
. 1938 hat J. Bohatec festeren Boden zur Beurteilung
derartiger Fragen gewonnen, indem er den Einfluß reformierter
Dogmatik, besonders von J. F. Stapfer, auf Kant nachwies
, zunächst allerdings nur für die „Religion innerhalb der
Grenzen der bloßen Vernunft". Von daher muß sich gegenüber
den früheren Deutungen die Frage erheben, ob nicht entsprechend
der reformiert pietistischen Herkunft Kants ein Zusammenhang
mit calvinistischer Dogmatik auch in seinem Denken über das
besondere Gebiet der Religionsphilosophie hinaus besteht.

Mit dieser Fragestellung hat H. Redmann die vorkritischen
Schriften Kants untersucht. Dabei erweist sich das Denken des
vorkritischen Kant als entscheidend bestimmt durch ein calvini-
6tisches Gottes- und Schöpfungsverständnis. Die Nähe zu gewissen
Gedanken und Formulierungen Stapfers über Gottes Erhabenheit
und über die Schranken der Vernunft ist auffallend.
Redmann zeigt, wie diese aus reformierter theologischer Tradition
stammenden Motive der Auseinandersetzung Kants mit
Leibniz und Newton die Richtung weisen. So ergibt sich nicht
nur eine bis in die Einzelheiten kantischer Formulierungen
reichende Wirksamkeit bestimmter Elemente protestantischer
Theologie für die Grundlagen seines Denkens, sondern auch
umgekehrt erfährt das dogmatische Thema der Schöpfung aus
nichts in Kants Auseinandersetzung mit Leibniz und Newton
eine bis dahin unbekannte und auch später kaum wieder erreichte
Vertiefung.

') Redmann, Horst-Günter: Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie
der vorkritischen Periode Kants. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht [1962]. 167 S. gr. 8° = Forschungen z. systematischen
u. ökumenischen Theologie, hrsg. v. E. Schlink, Bd. 11.

Delekat, Friedrich: Immanuel Kant. Historisch-kritische Interpretation
der Hauptschriften. Heidelberg: Quelle & Meyer 1963. 388 S.
gr. 8°.

Salmony, H.A.: Kants Schrift: Das Ende aller Dinge. Zürich:
EVZ-Verlag [1962]. 88 S. 8°.

Denken Immanuel Kants1

n e n b e r g, Mainz

Nach einem Überblick über die Forschungslage (15—31) und
einigen vorläufigen Bemerkungen zu Kants Frühschriften (34—3 8)
sowie zu Kants Sonderstellung gegenüber der Neologie wegen
seines Interesses an der Transzendenz Gottes und an der Endlichkeit
der Vernunft (39—50) geht R. zunächst auf den Gottesgedanken
der vorkritischen Schriften ein (51—72), um anschließend
die mit naturwissenschaftlichen Themen befaßten
Schriften auf das Verhältnis der Lehre von der mechanischen
Weltentstehung zur creatio ex nihilo (73—113) und die späteren
metaphysischen Schriften im Hinblick auf ihre Bestimmung des
Verhältnisses von Gott, Welt und Vernunft zu untersuchen
(114-148).

Kants Gedanke der Erhabenheit Gottes, wie er in der
Kritik der Urteilskraft begegnet, darf nicht mit Schmalenbach
durch die mathematische Unendlichkeitsvorstellung und also
pantheistisch gedeutet werden; denn Kant hat die Erhabenheit
des unendlichen Raumes als eine uneigentlidie, bloß komparative
Erhabenheit charakterisiert (58). Die Erhabenheit Gottes, die
keinen Maßstab außer sich hat und bloß sich selber gleich ist,
muß mit den Aussagen der Kritik der Urteilskraft über die
Analogielosigkeit Gottes im Verhältnis zur Schöpfung zusammengesehen
werden (59). Dem entspricht in Kants Frühschriften
der Begriff der Selbstgenügsamkeit oder Allgenugsam-
keit Gottes, der ausdrücklich von der mathematischen Unendlichkeit
abgehoben wird (68 f.), ebenfalls unter Hinweis auf die
Unvergleichlichkeit Gottes (69). Daß Kant in diesem Zusammenhang
die Allgenugsamkeit dem Prädikat der Unendlichkeit Gottes
entgegensetzt, wird allerdings von R. schwerlich mit Recht als
Überwindung des Unendlichkeitsgedankens der klassischen christ-
lich-theistischen Gotteslehre geltend gemacht (51 ff.); denn das
Prädikat der Unendlichkeit Gottes, das durch Gregor von Nyssa
im Gegensatz ( ! ) zur platonisch-aristotelischen Tradition der
spätantiken Philosophie in die Gotteslehre eingeführt worden
ist, um der Argumentation des Arianers Eunomius zu begegnen,
hat als spezifisch christlich-theologische Gottesbezeichnung nicht
den pantheistischen Charakter, der ihm im Lichte der mathematischen
Unendlichkeit des newtonschen Raumes anzuhaften
scheint. Der klassische theologische Gedanke der Unendlichkeit
Gottes ist in erster Linie durch das negative Moment des Nichtendlichen
, Nichtbegrenzten gekennzeichnet. So hat auch der
junge Kant selbst den Begriff zunächst gebraucht. Kompliziert
war die Situation für ihn dadurch, daß er mit der neuzeitlichen
Naturwissenschaft im Unterschied zur Tradition die Welt selbst
als unendlich ansah. Das konnte zwar, wie schon bei Nikolaus
von Kues, damit begründet werden, daß nur eine unendliche
Welt der Unendlichkeit der göttlichen Allmacht gemäß sei
(61 f.), aber in jedem Falle mußte hier die Frage dringlich werden
, wie denn diese Unendlichkeit der Welt zur Unendlichkeit