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Ausgabe:

1964

Spalte:

66-68

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Vom Umgang mit Kranken 1964

Rezensent:

Rensch, Adelheid

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

66

Das Literatur-Verzeichnis ist unkonventionell und überrascht
durch die Eigenwilligkeit der Auswahl. Neben einigen
grundlegenden Fachbüchern und Spezialabhandlungen finden sich
Bücher, die wohl in einer besonderen Lebensbeziehung zum
Autor stehen und aus denen oft sehr umfangreich zitiert wird.
Bernanos, Buber, Bude, Guardini sind vertreten, man stößt sogar
auf einen Kriminal-Roman und auf Uexkülls „Streifzüge
durch die Umwelt von Tieren und Menschen", auf die wir
noch zurückkommen.

Um die Ausführungen kritisch würdigen zu können, muß
wohl von der These des Verf. ausgegangen werden: „Die Erfahrung
schafft die Grundsätze, die Grundsätze gehen niemals
der Erfahrung voraus" (9); deshalb wird man mit besonderer
Erwartung den Ergebnissen entgegensehen, die auf dem pädagogischen
Versuchsfeld gewonnen und dargelegt werden. Es sei
aber an dieser Stelle vorweg genommen, daß der Verf. sich
nicht hat entschließen können, ganz konsequent diese seine
These durchzuhalten und sich auf sein Erfahrungsfeld zu beschränken
. Die angezogene Literatur hat ihn verleitet, viel zu
zitieren. Wenn er sich auf seine eigenen Beobachtungen bezieht,
werden seine Diktion und seine Ausführungen eigenständiger
und bestimmter. In dieser Konzentration hätte der besondere
Wert dieses Buches liegen können.

Es mag erlaubt sein — der Verf. stellt ja seine Beobachtungen
zur Diskussion —, einige seiner Anregungen und Hinweise
mit Vorbehalt zu registrieren. Ist es wirklich möglich,
das pädagogische Verhalten des Lehrers, vor allen Dingen in
der Begründung seiner Autorität, mit Analogien aus der Tier-
Psychologie zu vollziehen? Für den Zerfall und den Aufbau der
Gemeinschafts-Struktur scheint dem Verf. z. B. ein Vergleich
mit dem Verhalten der Javaneraffenherde im Baseler Zoo hilfreich
. Ganz gradlinig erfolgen aus diesem Vergleich die Ableitungen
: „Spielt der Lehrer die Rolle des Erstrangigen nicht
überlegen, tritt er nicht auf in voller Majestät, dann fördert er
einen Struktur-Zerfall seiner Klasse." (15) Oder an anderer
Stelle, wenn er über den Lehrer im Raum spricht, verweist er
auf das Spannungsverhältnis von Fischen im begrenzten Raum
eines Aquariums. Dann werden nun wieder unmittelbar daraus
Forderungen für die Stellung des Lehrers gezogen. Mit Unbehagen
hat der Rezensent auch die Ratschläge gelesen, die,
immer wieder aus der Beobachtung gewonnen, im Blick auf
Mimik gegeben werden. „Ein gütiges Antlitz sollte sich ein

Lehrer zulegen oder wahren.......auch den zurechtweisenden

oder strafenden Blick wird man üben müssen. Er zielt scharf auf

die Nasenwurzel zwischen die Augen des Kindes....." (31)

Es geht dem Verfasser darum, den Übergang von einem autokratischen
zu einem demokratischen System des Klassenverbandes
zu erläutern. Dienen solche Ratschläge wirklich der Begründung
und Durchsetzung der Autorität? An dieser Stelle hat der
Rezensent Gerhard Bohne „Grundlagen der Erziehung" II aufgeschlagen
und dort nachgelesen, was über Autorität als der
..gütigen Befehlsgewalt" und über die Gemeinschaft zu lesen
ist.

Sehr richtig und fein wird über die Psychohygiene des
Lehrers und des Schülers gesprochen und mit Nachdruck wird
die Bedeutung von Spiel und Rhythmik, von Konzentrationsund
Phantasie-Übungen herausgestellt.

Bei aller Anerkennung für die pädagogischen Hilfen bleiben
doch Mängel offen, die wohl darin begründet liegen, daß
der Verf. sich zu einem eklektischen Verfahren verleiten ließ
und aus der ihm zugängigen, auch nicht annähernd umfassenden
Literatur Zitate besorgte, die er in sein eigenes Beobachtungs-
ergebnis einblendete. Von der methodischen Seite abgesehen,
bleiben aber auch inhaltlich einige Fragen, die der Rezensent
aus seiner eigenen Erfahrungswelt nur vorsichtig stellt. Sind
die Schweizer Kinder wirklich heute noch so, daß man zu solchen
Grundsätzen kommen muß: „Imponieren ist alles" (16);
„Das wichtigste Hilfsmittel, das sie (die Lehrerin) hat, ohne
sich selbst darum bemühen zu müssen, ist die Autorität, die
ihr als Erwachsene mit dem Titel Lehrerin oder gar Professor
von den Kindern selbstverständlich zuerkannt wird. Sie sind es
gewöhnt, auf Amtspersonen mit Respekt zu reagieren" (17)?

Wir mögen hier auf verschiedene Welten stoßen, aber ob man
grundsätzlich die Autorität 60 begründen sollte? Wiederum
verweise ich auf die so eindringlichen Ausführungen von
Gerhard Bohne im Blick auf die Begründung echter, dienender
Autorität.

Mit besonderer Erwartung schlägt man im Blick auf die
Besprechung in einer Theologischen Literaturzeitung das Kapitel
„zur religiösen Entwicklung" auf. Denn innerhalb der religiösen
Entwicklung sind ja eine Reihe von Gemeinschafts-Problemen
enthalten und Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft und
für die Gemeinschaft gestellt. Schon der Umfang, der dieser
wichtigen Frage gewidmet ist, enttäuscht. Sie wird auf zweimal
einer halben Seite abgewickelt. Mit großer Sicherheit wird eine
ungefährdete und ungebrochene Frömmigkeit der Geborgenheit
festgestellt.

Der Verfasser als Lehrer hat sich beschränkt auf die
Gemeinschafts-Probleme des Klassenverbandes und hat nur im
Anhang diesen Gesichtskreis etwas erweitert. Es fehlen in dem
besprochenen Werk die Beziehung des Kindes zum Spiel- und
Kameradenkreis außerhalb der Schule oder zu einem Jugendverband
. Damit ist aber ein nicht unerheblicher Teil des kindlichen
Lebens unberücksiditigt, vielleicht sogar ein außerordentlich
wirksamer. Auch aus diesem Grund muß bezweifelt
werden, ob der Buchtitel, der sicherlich dem verlegerischen
Interesse entspricht, gerechtfertigt ist. Sollte nicht der Untertitel
aus sachlichen Gründen bevorzugt werden?

Leipzig Heinz Wagner

Pres sei, Wilhelm, Oberkirchenrat i. R. [Hrsg.]: Vom Umgang mit
Kranken. Stuttgart: E. Klotz [1962]. 382 S. kl. 8°. Lw. DM 13.80.

Inmitten der zahlreichen Literatur über den seelsorgerlichen,
ärztlichen und pflegerischen Dienst am Kranken will die
Sammlung von 65 Beiträgen sachkundiger Mitarbeiter (Theologen
, Ärzte, Schwestern) eine Handreichung für den Umgang mit
Kranken sein und zugleich zu einer Erneuerung der Seelsorge
und Krankenbehandlung beitragen. Die Auffassung Asmussens:
..Es sollte nicht vorkommen, daß wir einen Krankenbesuch machen
, in welchem nicht aus der Schrift gelesen und nicht gebetet
wird ..." (Die Seelsorge, 3. Aufl., S. 200. zit. S. 68) hat zu
einer noch nicht überwundenen Art der Seelsorge geführt, bei
der der Kranke im wesentlichen nur „angeredet, angepredigt"
und mit „erbaulichen Worten" (9) getröstet wird. Ebenso gibt
es immer noch eine medizinische Haltung, die den Patienten
als Fall behandelt. Diese Fehlhaltungen im Umgang mit Kranken
sollen durch eine „personale dialogische Seelsorge" und eine
..persönliche Medizin" überwunden werden.

Die hierzu notwendige Klärung einiger Grundbegriffe und
-Probleme erscheint in einem ersten Teil „Zum Grundsätzlichen
". Karl Barth leitet ihn durch seine Ausführungen über
Gesundheit und Krankheit nach biblischem Verständnis ein.
Wenn dabei Gesundheit als „Kraft zum Menschsein" (13) und
Krankheit als Ausdruck der Unordnung und der Trennung von
Gott bezeichnet werden, so sind damit schon die Linien für
das Sinnverständnis der Krankheit und das Ziel für die Hilfe
angegeben. A. K ö b e r 1 e ergänzt das Problem „Krankheit,
Sünde, Schuld" (80 ff.) mit konkreten Hinweisen auf den Zusammenhang
zwischen Übertretungen göttlicher Gebote (z. B.
des dritten und sechsten) und Krankheit, zwischen kollektiver
Schuld und Krankheit. Aber er warnt auch davor, die Entsprechungen
von Krankheit und Schuld in gesetzlicher Weise
mißzuverstehen. Das gleiche gilt für den Zusammenhang von
Glaube und Heilung, dem er in seinem Beitrage „Wunderheilung
und Glaubensheilung" nachgeht (100 ff.). Bei aller Anerkennung
und Würdigung echter Glaubensheilungen — im
Gegensatz zu sensationellen und Geld erheischenden Wunderheilungen
— warnt er vor Sätzen wie: „Wer glaubt, wird gesund
... ! Oder: Wer seine Krankheit behält, zeigt damit an,
daß er außerhalb der Glaubenswirklichkeit steht!" (103). „Gott
kann sich jederzeit auch Menschen erwählen, die ihn durch
Schmerz und Leid verherrlichen sollen..." (104). W. Ober-
d i e c k sieht schließlich den letzten Sinn der Krankheit und