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1964

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Systematische Theologie: Allgemeines

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869

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 11

870

Möglichkeit eines Aufstiegs vom Zeichen zum Bezeichneten
lehnt Verf. strikt ab, aber die Zugehörigkeit des Zeichens ist für
ihn unentbehrlich, da sonst das Eins der Offenbarung in der
Verkündigung sich ihm in zwei unverbundene Dimensionen zerlegt
. Ihm wiederholt sich hier das Paradoxon, das bereits in der
Christologie erwähnt worden ist (333) und das die fatale Unterscheidung
in Gott zur Voraussetzung hatte. So kann er zur Sichtbarkeit
der Kirche, des Amtes, der Elemente sein Ja sprechen,
ohne die Unterscheidung aufheben zu müssen. Bultmann befindet
sich hier in wesentlich schwierigerer Lage. Er hält am Ereignis
der Verkündigung fest, er betont unüberhörbar das Jetzt
der Verkündigung. Aber in dem Jetzt, das zwar sprachlich gestaltet
ist, soll die Gestalt nicht wesentlich sein. Nun muß ihn
die Aporie bedrängen, daß das Kerygma an Jesus Christus — an
Vergangenheit — gebunden ist; zum Verkündigungsgeschehen
gehört Bindung an Texte. Wird die Leiblichkeit zwar nicht
negiert, dem Vorgang des Kerygma jedoch nicht wesentlich zuerkannt
, dann droht das Daß des Kerygma vollends abstrakt zu
werden. Ein Daß kann doch nicht die Bindung an Jesus Christus
beantworten, wäre doch sonst eschatologisches Ereignis verwechselbar
nahe dem so energisch bekämpften Spiritualismus.
Dem Katholiken eröffnet die Leiblichkeit einen Raum, in dem
trotz des Unvermischt das Ungetrennt gilt. Wenn nicht das
Kerygma seine Welt hat, der es entstammt — diese Welt kann
keine Überwelt sein — dann kann es aus dieser Welt auch nicht
artikuliert, nicht gesagt werden. Es muß ihm somit das Leere,
das Postulative, das Idealische anhaften. Bultmann weigert sich
hier, schließlich doch nur, weil er von Gott zu reden nur bereit
ist als Tat des Müssens; das heißt aber: unter Absehen des Bereiches
, dem dieses Müssen entstammt. Mit der Orientierung an
der Subjektivität verengt er sich den Problemkreis. Inwieweit
sich darin eine Verhaftetheit an die Kantsche Lösung (nicht nur
bei Bultmann) noch immer zeigt, soll lediglich als Frage angemeldet
werden.

So ist in der Differenz in bezug auf die Kirche mehr als
nur eine Detailfrage angemeldet. Hier hilft die Erklärung, daß
der Autor schließlich Katholik sei, nicht mehr von der Stelle.
Schließlich steht mit der Frage zugleich die Gottesfrage aufs
neue zur Verhandlung. Mit dem Buch ist sie indirekt gestellt,
eine Aufgabe, die als unerledigt gelten muß und die Theologie
der Gegenwart, die evangelische und katholische, herausfordert.

Berlin Gerhard Koch

Bennett, John C: Theologians of our Time: XV. Reinhold Niebuhr
(The Expository Times 75, 1964 S. 237—240).

D i c k i e, Edgar P.: Theologians of our Time: XVI. Karl Heim (The
Expository Times 75, 1964 S. 305—308).

E b e 1 i n g, Gerhard: Worthafte und sakramentale Existenz. Ein Beitrag
zum Unterschied zwischen den Konfessionen (Im Lichte der
Reformation. Jahrbuch des Evangelischen Bundes VI. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1963 S. 5—29).

Flesseman-van Leer, E.: De theologie van Wolfhart Pannenberg
(NThT 18, 1964 S. 391—408).

Heuvel, Albert H. van den: The Honest to God Debate in
Ecumenical Perspective (The Ecumenical Review 16, 1964 S. 279
—294).

Kimmerle, Heinz: Metahermeneutik, Applikation, hermeneutische

Sprachbildung. Zu den Grundlagen der hermeneutischen Diskussion

(ZThK 61, 1964 S. 221—235).
K i n d e r, Ernst: Evangelische Katholizität. Über den ökumenischen

Horizont in Luthers Kirchenauffassung (Luther. Zeitschrift der

Luther-Gesellschaft 35, 1964 S. 25—33).
Köhler, Hans: Luthers Wort von der Rechtfertigung in der geistigen

Lage der Gegenwart (Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 3 5,

1964 S. 1—14).

L o h f i n k, Norbert : Über die Irrtumslosigkeit und die Einheit der

Schrift (StZ Bd. 174, 89. Jg. 1963/64 S. 161-181).
Mann, Ulrich: Theologie und Religionsgeschichte (LM 3, 1964

S. 250—261).

Reinhardt, Paul: Kirche und Judentum (LM 3, 1964 S. 261—264).
Szekeres, A.: Het visioen van Teilhard de Chardin (NThT 18,

1964 S. 381-390).
Til, Cornelius van: The Later Heidegger and Theology (The West-

minster Theological Journal 26, 1964 S. 121—161).

RELIGIONSSOZIOLOGIE

V i r t o n, Pol, S. J.: Soziologische Beobachtungen einet Seelsorgers.

A. d. Franz. übertr. v. T. M ü h 1 b a u e r i. Zusammenarb. mit
R. Ritter. Hrsg. v. F. Wagner. München: Manz [1962]. 186 S.
8°. Lw. DM 14.80.

Laloux, Josef: Die religiöse Entwicklung auf dem Lande. Soziologisch
und seelsorgerlich betrachtet. Aus d. Franz. übers, v.
T. Mühlbauer i. Zusammenarbeit m. R. Ritter. München:
Manz [1962], 109 S. 8°. Lw. DM 9.80.

Beide Bücher sind von katholischen Theologen Frankreichs
geschrieben und gehören zur schon reich entwickelten Gattung
der kirchlich-soziologischen Feldarbeiten, die in den Dienst der
Seelsorge, speziell der Volks- und Gebietsmissionen gestellt
6ind. Während das deutsche religionssoziologische Schrifttum
überwiegend die theologische Grundproblematik zu klären sucht,
haben die Franzosen — wie die Amerikaner — vor allem die
Praxis im Auge. Ihre Schriften tragen mehr soziographischen als
soziologischen Charakter. Darin liegt ihre Stärke. Der Manz-
verlag erwirbt sich mit der Herausgabe der Übersetzungen ein
Verdienst. Förderer der neuen Arbeitsrichtung sind vor allem
Jesuiten- und Redemptoristenpater, deren Orden ja speziell die
Gebietsmissionen übertragen sind. Das Hauptproblem der Franzosen
ist die Entkirchlichung und die ihr folgende Entchrist-
lichung und ihre Überwindung. Da das gleiche Thema uns auf
den Nägeln brennt, dürften wir allen Grund zu aufmerksamen
Lesen haben.

V i r t o n, Professor für Soziologie an der katholischen
Universität in Paris, bespricht die genannten Hauptprobleme
zusammen mit der detaillierten Vorführung gemeindlicher rsp.
übergemeindlicher Typen. Wir müssen uns mit drei Beispielen
begnügen. Chambery ist Typ der schnell wachsenden Stadt, auf
welche alle Verkehrswege aus der umgebenden Landschaft zulaufen
. Die neuen städtischen Randgebiete gewöhnen sich nicht
an die alten, schlecht gelegenen Landpfarreien, sondern halten
sich kirchlich zur Stadt, oft aus sehr profanen Gründen, z. B.
wegen des Sonntagseinkaufs, der in Frankreich überall möglich
ist. In den Stadtkirchen findet sich also Kirchenpublikum zusammen
, das den Charakter von Pfarrkindern verliert. Eine
parochiale Neueinteilung und der Bau von Kapellen scheinen
dringend nötig zu sein. Rouen und Lille haben Elendsquartiere,
in denen eine Bevölkerung mit primitivem Kastenbewußtsein
lebt. Die aktiven Christen werden zwangsläufig aus der Gruppe
ausgestoßen. Die Hoffnung der Zukunft sind Christen, „die
akzeptiert werden und ausschließlich .ihrem' Viertel gehören".
Die Bauges, eine rauhe Gebirgsgegend, leidet unter Bevölkerungsrückgang
und Frauenmangel und dementsprechend einem Überfluß
an Junggesellen. Die jungen Männer werden — meist unbewußt
— immer passiver. Elementare Hilfe wird von einer wirtschaftlichen
Neustrukturierung erwartet. Genug der Typenl
Ihrer Erhebung folgt eine abschließende Erwägung über die Bedeutung
der Pfarrei heute. Im Hintergrund steht: ,,Die Anziehungskraft
der Stadt hat endgültig die Familie entwurzelt und
auch den einzelnen, zumindest auf lange Sicht". Darum „hat die
Pfarrei ihre Bedeutung als ausschließlicher Mittelpunkt verloren".
Die Pfarrei wird zur Anpassung aufgefordert. „Für die Pfarrei ist
in einer beweglichen Welt nur Platz, wenn sie selbst .beweglich'
ist."

Die Frage, die sich bei Virton aufdrängt, ob für deutsche
Leser nicht ein zusammenfassendes Referat genügt hätte, erhebt
sich vor dem kürzeren Buch von Laloux nicht. Es ist weniger
analytisch, dafür viel stärker thematisch ausgerichtet. Laloux
hat die soziologischen Untersuchungen des Centre de recherches
socio-religieuses in Brüssel überwacht, soweit sie sich auf Landgebiete
erstreckten. Im Mittelpunkt steht das gewichtige Kapitel
über den Prozeß der Entchristlichung, die in der vorindustriellen
Epoche noch nicht da ist, aber sofort mit der Industrialisierung
einsetzt. Es findet sich der deprimierende Satz: „Es bestehen
Parallelen und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem
Phänomen des Aufstiegs des Menschen und des Niedergangs der
Religion". Man wird der Aussage nur gerecht, wenn man —
anders als in der dialektischen Theologie — das Christentum