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Ausgabe:

1964

Spalte:

866-869

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hasenhüttl, Gotthold

Titel/Untertitel:

Der Glaubensvollzug 1964

Rezensent:

Koch, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 11

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schnöde — wie es denn der Vorlesung nicht an erheblichen
Schärfen fehlt (vgl. S. 56 über die Gründe für den Selbstmord
ehedem und jetzt; S. 103 über A. Ritsehl, S. 114 über R.Rothe,
S. 160 über Baur u.a.m.). Die Vorlesung gewinnt dann ihren
Höhepunkt im vierten Abschnitt über ,Dogmatik der religiösen
Erkentnislehre' mit den Untertiteln: Frage nach der Begründung
christlicher Überzeugung und die systematische Methode (S. 193
—270). Spürbar ändert 6ich jetzt Ton und Sprache; Kähler ist bei
dem angelangt, was ihn und seine Zeitgenossen am stärksten beschäftigt
. Hier bekommt der Erlanger Hofmann seinen eigentlichen
Platz zugewiesen: ,,In der Frage: wie bilde ich meine Erkenntnis
gewiß? ist also Hofmann der originale Pfadfinder"
(S. 215). Aber weder ihm noch dem recht breit behandelten R. H.
Frank kann Kähler zubilligen, daß sie die Frage nach der rechten
Begründung der christlichen Wahrheit befriedigend gelöst haben.
Noch weniger freilich Ritsehl, dessen große Wirkung er zwar
beschreibt, aber dann doch nur aus den momentanen Bedürfnissen
der Situation und aus der — damit nicht als illegitim bezeichneten
— Intensität als Schulhaupt erklärt (S. 240 ff.). „Deshalb
weil wir einen Theologen kritisieren, ist ihm seine Bedeutung
nicht genommen; und diese hat Ritsehl sicher gehabt.
Man wird das nur verstehen können, wenn man einsieht, daß
er für weite Kreise der Mann der Stunde war" (S. 262). Auch
die Neohegelianer (Biedermann und Pfleiderer) sowie R. A.
Lipsius werden behandelt, ohne daß ihnen auch nur die Bedeutung
Ritschis zuerkannt würde.

Die Darstellung bleibt hier stehen. Fast hat man den Eindruck
, es verläuft alles im Sande des ausgehenden Jahrhunderts.
Kähler hat dann auch nicht etwa die eigene Position all den anderen
Versuchen gegenübergestellt. Wie der Herausgeber mitteilt
, sollte ja dieser Weg durchs 19. Jahrhundert das Verständnis
für die systematischen Vorlesungen Kählers erleichtern. Aber er
bezeichnet die eigene Position doch deutlich genug, so daß man
sehen kann, wo er die Lösung suchte: „Die Bibel ist Christus in
der Geschichte, nicht bloß in der vergangenen, sondern fort und
fort. Und darum ist die Bibel der Eckstein, an dem man nicht
vorbeikann. Wie man sich zur Bibel stellt, 6o steht man zum
Christentum. Ist die Frage nach der Stellung zur Bibel ausgetragen
?" (S. 272 — ähnlich in den etwas pathetischen Schlußworten
der ganzen Vorlesung S. 276). Es ist hier nicht der Ort,
zu Kählers Position kritisch Stellung zu nehmen. Er bemerkt
einmal in der Auseinandersetzung mit Schleiermacher: „Die geschichtliche
Offenbarung ist im Grunde ausgeschlossen. Dieser
Begriff hat nämlich nur dann Sinn, wenn Offenbarung und
Geschichte nicht dasselbe sind. Wenn alle Geschichte Offenbarung
ist und wenn Offenbarung nichts weiter ist ak Geschichte,
dann ist geschichtliche Offenbarung schwarze Schwärze und
weißes Weiß, d. h. eine ganz öde Tautologie. Der Begriff der
geschichtlichen Offenbarung hat nur dann Sinn und Wert, wenn
es Geschichte gibt, die nicht Offenbarung ist, und wenn die
Offenbarung zwar in die Geschichte eintritt, aber nicht in ihr
aufgeht" (S. 70). Auch wenn man dem zunächst zustimmt, bleibt
es fraglich, ob Kähler im Ganzen nicht doch dem Historismus
seiner Zeit zu viel Tribut gezollt hat. Das ist freilich nur an
seinen systematischen Hauptwerken nachzuweisen.

Unabhängig davon möchte man urteilen, daß dieser posthume
Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts heute viele
Leser finden wird. Er ist höchst lesbar geschrieben, was man etwa
von Kählers .Wissenschaft der christlichen Lehre' nicht sagen
kann, und er bringt uns die Welt des 19. Jahrhunderts so nahe,
wie keine heutige Darstellung es zu tun vermöchte.

Drei kleine Details zur Berichtigung: S. 88 führt der Herausgeber
in Anm. 2 eine Randnotiz Kählers über den Erlanger Chr. Krafft an,
ohne sie verifizieren zu können. Es dürfte sich um eine Notiz
handeln aus der Schrift von Chr. Kxaffts Neffen, der eine Zeitlang
sein Hausgenosse in Erlangen war: Karl Krafft, Zum Andenken an
Chr. Krafft, Elberfeld 1895 (Vgl. PRE 11,62,21). Das dort berichtete
Urteil Schellinge über die Bedeutung der christlichen Mission findet
sich auch bei Gg. Pickel, Christian Krafft (Einzelarb. aus der Kirchengesch
. Bayern Bd. II) 1925 S. 61 — ohne Angabe einer Quelle. —
Kählers Urteil (S. 175), „die bayerische Kirche ist nie uniert worden,
sondern war seit jeher lutherisch", trifft den Sachverhalt nicht genau: im
Kirchenregiment waren auch die Reformierten vertreten; die Rheinpfalz

gehörte mit der evangelischen Kirche r. d. Rh. ursprünglich zusammen.
Eben gegen eine solche Verwaltungeunion richtete 6ich — mit Erfolg —
der Einspruch Löhes und seiner Anhänger. — S. 236: Der Berner Theologe
R. Steck ist nicht, wie Kähler meint, „dann nach Holland" gekommen
, sondern bis 1924 in Bern geblieben; wohl aber stand er
der kritisch-radikalen Schule der Holländer A. D. Loman, van Manen
u.a. nahe (vgl. Ad. Jülicher — E. Fascher, Einl. in das N.T. 1931 S. 23).
Frankfurt/Main Karl Gerhard Steck

Hasenhütt I, Gotthold: Der Glaubensvollzug. Eine Begegnung
mit Rudolf Bultmann aus katholischem Glaubensverständnis. Essen:
Ludgerus-Verlag 1963. 399 S. 8° = Koinonia. Beiträge z. ökumenischen
Spiritualität u. Theologie, hrsg. v. Th. Sartory, Bd. 1.
DM 20.80; Lw. DM 24.80.

Dieses Buch über Bultmanns Theologie aus der Feder eines
katholischen Theologen — mit einem Geleitwort Bultmanns
versehen, in welchem die außerordentliche Freude über die weitgehende
Gemeinsamkeit zum Ausdruck gebracht ist — stellt
trotz des bereits eröffneten interkonfessionellen Gesprächs etwas
Ungewöhnliches dar. In seinem ganzen, nicht durch Apologetik
geprägten Aufbau zeigt es die Veränderung der Landschaft, in
der heute Theologie getrieben werden muß. „Die Übersetzung
der neutestamentlichen Botschaft in die Gegenwart und für den
im Denken der Gegenwart lebenden Menschen" (3 5 5) nötigt
der Theologie die dringliche Aufgabe auf, der Geschichtlichkeit
menschlichen Seins ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden; taktische
Maßnahmen zur Überbrückung der Zeitenunterschiede
führen nicht mehr zum Ziel. Rückt aber die Zeitlichkeit des
Daseins in den Horizont der Theologie, dann steht unmittelbar
die Gottesfrage zur Verhandlung und in ihr die kritische Überlegung
, ob die sich am Dasein in seiner Geschichtlichkeit
orientierende Theologie noch ausgehen dürfe von der Voraussetzung
des ewigen Seins Gottes, das sich in der Offenbarung
zu erkennen gebe. Hier dokumentiert sich der tiefe Bruch, in dem
unsere Zeit zur Selbstverständlichkeit früherer Generationen
steht. Mit dem Gewahrwerden der tiefen Differenz der Epochen
muß die Zeit-Frage überhaupt, die Relativität der historischen
Gestalten in die theologische Erörterung einbezogen werden.
Damit rückt die Thematik der Kirche in dem Zugleich von Anspruch
und Hören, aber auch in ihrem Sein von Geschlecht zu
Geschlecht in die Mitte und muß aufs neue durchdacht werden.
Das Gespräch des Katholiken mit Bultmann, dessen theologische
Arbeit der verwandelten Situation Rechnung zu tragen sucht, ist
darum alles andere als zufällig. Es kann deshalb auch nicht nui
nachzeichnen, referieren, es will verstehen und antworten. Der
Vorzug dieses Buches liegt in dem Mut, vertraute Denkschemata
aufzubrechen, um an die kardinale Aufgabe der Gegenwart
heranzuführen.

Verf. konzentriert seine Darstellung und Auseinandersetzung
mit Bultmann auf die Frage nach dem Glaubensvollzug.
Die notwendige Konzentration auf diesen Punkt hindert ihn
indessen nicht, in der Würdigung die Fülle der zu bedenkenden
Fragen darzulegen. Hier weist er denn auch auf die bestehende
Differenz zu Bultmann hin und behauptet die größere Konsequenz
seines Standpunktes. Bultmann glaubt ihm hier die Gemeinsamkeit
nicht mehr zugestehen zu können; zumindest ßetzt
er ein Fragezeichen. Nun ist die Rechenschaftsablage für den
katholischen Theologen dadurch erschwert, daß eine unterschiedliche
Sprachgeschichte bloßes Abhören und Vergleichen nicht
gestattet. Die von Bultmann verwendeten Begriffe 6tehen im
Wirkfeld des neuzeitlich-kritischen Denkens seit Kant und sind
von dem Existenz-Denken der Gegenwart geprägt, während die
Begriffe des Verf. viel stärker von der ihn bestimmenden
Tradition geformt sind. So bleibt es eine Frage, ob „eschato-
logisch" gleichgesetzt werden darf mit der dem Verf. vertrauten
Vokabel „übernatürlich", und ob die versuchte Sythese „escha-
tologisch-übernatürlich" nicht eine Einebnung der Unterschiede
und Gegensätze versucht. Da Verf. sich um Verstehen bemüht,
kann für ihn die Gleichsetzung freilich nicht unüberlegt zustande
gekommen sein (302). Vielleicht besteht hier — durch das
Buch erhoben — in der Tat eine größere Gemeinsamkeit als bisher
gesehen und zugestanden.