Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Spalte:

64-66

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mattmüller-Frick, Felix

Titel/Untertitel:

Kind und Gemeinschaft 1964

Rezensent:

Wagner, Heinz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

«3

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

64

Bultmann, Eichholz und Joest in einem innerkanonischen Gespräch
zwischen Paulus und Jakobus über das Thema „Glaube
und Werke" einen „tragfähigen Ansatz" (23) findet und diesen
entfaltet, 60 hat er jedenfalls das gute Gewissen einer exakten
Grundlagendurchprüfung auf seiner Seite. Von da aus schreitet
er sehr genau die exegetischen und dogmatischen Probleme der
Glaube-Werke-Thematik ab und sichert so seiner Arbeit eine
nachhaltige Aufmerksamkeit. Sie füllt nämlich gerade durch
diese ihre Methodik eine spürbare Lücke in der Gegenwart aus,
die insbesondere innerhalb der jüngeren Theologengeneration
dadurch gekennzeichnet ist, daß die Rechtfertigung in ein Niemandsland
des Schweigens gerückt zu sein scheint.

An zwei Punkten sei, beispielhaft für manches Andere, die
hilfreich weiterführende Arbeitsweise des Verfassers aufgezeigt:
die Aufnahme und Verarbeitung von Bizers „Fides ex auditu"
verhilft Peters zu einer klarsichtigen Beurteilung der Ebeling-
schen und Brandenburgschen Deutung des jungen Luther (35
—40); als zweites Beispiel kann auf die vornehme, den Gesprächspartner
wirklich ernstnehmende, Auseinandersetzung mit
Max Lackmann (94, 229—235) verwiesen werden.

Die Hauptthese des Buches läßt sich am besten in einem
Satz einfangen, den Peters so formuliert: „Mit unheimlicher
Hellsichtigkeit deckt Luther die in fast allen Schriften der Bibel
ans Licht drängende Stoßrichtung auf, treibt sie weiter und
wendet sie zugleich kritisch gegen diejenigen Aussagen der
Schrift zurück, die sich nicht recht in sie einfügen lassen" (225).
Peters erkennt die „grundlegenden hermeneutischen Einsichten"
(23 5), die sich mit dieser These verbinden, ohne sie weiter verfolgen
zu können. Seine These dient ihm zunächst dazu, Luther
in umfassender Weise zu rechtfertigen, denn wenn er auch sagen
muß, daß Luther als Exeget die Texte des NT „überziehe", so
steht dem gegenüber, daß der Reformator „das von den
biblischen Zeugen Bezeugte weithin besser verstanden hat, als
sie es verstehen konnten" (236). So wird von Peters in dankenswerter
Weise klargestellt, wie gerade das Gericht nach den Werken
wie auch die anthropologische Bedeutsamkeit der Werke in
der Anschauung Luthers zu ihrem eigentlichen Sinn kommen
(27—224). Andererseits aber beurteilt der Verfasser Luthers
„Weitertreiben der neutestamenlichen Ansätze" (216), das geradezu
zu einer „Übersetzung der Schrift von Christus her"
(225) führte,' durchaus kritisch. Er konstatiert „eine gewiße
verengende Zuspitzung der Schriftworte" (236), eine „überscharfe
Konzentration auf die hier auf Erden am gepredigten
Wort fallende Glaubensentscheidung" (240), eine „überscharfe
Konzentration auf die Glaubensentscheidung des inwendigen
Menschen" (249) und gerät darüber in Sorge, ob nicht Luthers
Radikalismus zu einer „latenten Umklammerung der Gnade
durch den Zorn Gottes" (237), ja zu einem Sieg des Deus
absconditus über den Deus relevatus (238) führe. „Das Evangelium
kann in der Ausweitung auf alle Menschen nicht Schritt
hallen mit dem Gesetz; das Gesetz eilt ihm gleichsam voraus
und dringt weiter vor." Hier sieht Peters die Ursache für eine
individualisierende Herauslösung des Menschen sowohl aus den
„leiblich-welthaften Bezügen" wie auch aus der „schirmenden
Hülle", aus dem „mütterlichen Sdioß" der Communio sancto-
rum (237).

Peters hat thesenartig seine Kritik an Luther wie auch die
daraus resultierenden positiven Vorschläge in einprägsamer
Weise am Schluß des Buches vorgetragen (253—266). Man wird
beides sehr zu beherzigen haben und keine Rechtfertigungstheologie
wird leichten Kaufes hier vorbeikommen. Als Zeichen
des Dankes für die reiche Studie sei es erlaubt, zwei Wünsche
anzumelden, deren Erfüllung eine weitere Aufgabe für die Lutherforschung
wie für die Dogmatik darstellen könnten. Der eine
betrifft das Thema: Rechtfertigung und Geschichte! So dankenswert
die bewußte Aufnahme dieses Themas durch den Verfasser
auch ist (51 ff.), so sehr ist zu bedauern, daß dies nur im Blick auf
das Geridit geschah und zudem noch im wesentlichen an der dort
kritisierten Literatur orientiert blieb. Schon das bevorzugte
Paradigma, Luthers Judenschrifttum, macht nachdenklich. Könnte
hier nicht eine Anknüpfung an Löfgrens „Theologie der Schöpfung
" mehr und anderes erbringen, das nicht mehr zu der mit

Recht kritisierten (251) Ordnungstheologie einer „göttlichen
Platzanweisung" führt? Ist z. B. wirklich schon die große
Genesisvorlesung auf die Relation Rechtfertigung und Geschichte
hin befragt worden? Sollte nicht zu erwarten sein, daß von
dort aus zur Problematik der Individualisierung, der welthaften
Bezüge des Gerechtfertigten und somit zur Tragweite des
Evangeliums sich neue Erkenntnisse auftun? — Zwar macht es
der Haupttitel erklärlich, was sich aber im Blick auf die Gesamtfülle
der Studie und insbesondere auf ihren Untertitel doch als
eine auffallende Lücke erweist, daß nämlich in keinem der zahlreichen
Abschnitte thematisch auf die Relation Rechtfertigung-
Christologie Bezug genommen ist. Nahezu durchweg wird problemlos
vom Opfertode Christi geredet. Nur in Auseinandersetzung
mit Bieder wird angesichts der Höllenfahrtproblematik das
Gefahrenmoment einer rein applikativen Deutung und gleichzeitigen
Eliminierung der „kosmischen Weite des Christusopfers
" (244) nachdrücklich gestreift. Es könnte sein, daß eine
umfassende Neuaufnahme der christologischen Frage wie der
Geschichtsproblematik bei Luther die dankenswerte Leistung
von Peters weiterzuführen vermöchte.

Wien Wilhelm Dantine

Dejaifve, G.: Revelation et Eglise (NRTh 95, 1963 S. 563—576).
Grelot, Pierre: L'inspiration scripturaire (RechSR LI, 1963 S. 337
—382).

K o h 1 e r, Werner: Die Bedeutung des Buddhismus für Theologie und
Kirche (Quatember 27, 1962/63 S. 149—156).

Kunstmann, K.: O Relato Biblico da Criafäo e a Teologia Moderna
(Fortsetzung) (Igreja Luterana XXIV, 1963 S. 1—14).

Schluckebier, F. W.: Apologetik auf neuen Wegen. Möglichkeit
und Methode „evang. Apologetik" gegenüber Sekten und Weltanschauungsgemeinschaften
. (Schluß) (PB1 103, 1963 S. 497—500).

Stählin, Wilhelm: Die Verkündigung des Unbekannten (Quatember
27, 1962/63 S. 157—163).

Stern, J.: Traditions apostoliques et Magistere Selon J.-H. Newmnn
(RSPhTh XLVII, 1963 S. 35-57).

PRAKTISCHE THEOLOGIE:
ALLGEMEINES, HOMILETIK

Mattmüller, Felix: Kind und Gemeinschaft. Gedanken über die
Eingliederung des (schwierigen) Kindes in die Gemeinschaft als
Anregung für Lehrer, Heimerzieher und Eltern. Zürich: EVZ-
Verlag [1961]. 269 S., 12 Abb. a. Taf. 8°. Lw. DM 17.80.

Die Aufgabe dieses Buches wird im Untertitel konkreter
bezeichnet: „Gedanken über die Eingliederung des (schwierigen
) Kindes in die Gemeinschaft als Anregung für Lehrer,
Heimerzieher und Eltern." Methodisch soll so verfahren werden:
„Auf den folgenden Seiten werden Erfahrungen in einer Baseler
Beobachtungs-Klasse zusammengefaßt und in Abschnitte geordnet
, dargelegt." „Dabei habe ich versucht, von der theoretischen
Grundlage auf dem kürzesten Wege zur praktischen Anwendung
zu gelangen." (5) Immer wieder betont der Autor die
praktisch-pädagogische Absicht seiner Ausführungen: „Es geht
uns ja nicht um eine wissenschaftliche Darlegung, wir formulieren
nur einige Erfahrungen aus der Praxis zur Anregung und
Hilfe." (37) Der Leser erwartet unter dieser Zielsetzung, daß
er Grundsätze erfährt, die aus der Erfahrung dieses pädagogischmethodischen
Versudisfeldes, nämlich einer Beobachtungsklasse,
d. h. einer Sonderklasse mit durchschnittlich intelligenten,
sdiwierigen Kindern im Alter von 7—12 Jahren stammen. Dabei
meint der Verf., daß die dort auftretenden Erziehungs- und
Schul-Probleme besonders markant werden und gleichsam eine
allgemeine Bedeutung für die gesamte Erziehung gewinnen
könnten.

Der Aufbau des Buches ist übersiditlich. Zunächst wird
über die Eingliederung durch Formung der Umwelt
(11—132), dann über die E i n g 1 i ed e r u n g des Sdiulkindes
durch Gestaltung der persönlichen Beziehung (13 3—212)
und zuletzt über das General-Thema Kind und Gemeinschaft
(213—220) gehandelt. Im Ausgang wird ein Beispiel geboten:
Die Schul-Kolonie als Eingliederungsmöglichkeit (221—262).