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Ausgabe:

1964

Spalte:

850-851

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Luther-Jahrbuch ; 1963 1964

Rezensent:

Delius, Hans-Ulrich

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849

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 11

850

Gesetze Marie und Barange ermöglichen seit 1951, trotz heftigen
Widerstandes, die Gewährung von Stipendien und Subventionen
an Schüler solcher Schulen unter dem Deckmantel von
sozialer Familienhilfe. Ein weiteres Beispiel betrifft die Militärseelsorge
. Schon das Trennungsgesetz von 1905 konnte sie, wie
die Seelsorge in gewissen andern Institutionen, nicht gänzlich
unterbinden. Durch zwei Weltkriege hindurch ist sie zur staatlichen
Einrichtung der Militärorganisation geworden. Seit 1951
werden — im Gegensatz zu den evangelischen Pfarrern — die
Priester von der Sozialversicherung ausgenommen und dies mit
dem Privileg ihres Standes begründet. Staatlicher Rundfunk und
Fernsehen stehen den Kirchen weithin zur Verfügung. Während
noch 1918 Staatspräsident Poincare bei der Siegesfeier dem
feierlichen Te Deum in der Notre-Dame in Paris nicht beiwohnen
durfte, nahm daselbst 1958 General de Gaulle mit Präsident
Coty am Requiem für Pius XII. teil. Kürassiere präsentierten
im Augenblick der Elevation ihre Säbel. Also wieder Konkordat
? NeinI sagen nun gerade Kirchenleute, da die Kirche
beim jetzigen rechtlichen Schwebezustand große Handlungsfreiheit
habe. Ja! sagen ausgerechnet Laizisten, damit der Staat die
Kirche wieder mehr in der Hand habe. (Teil IV/V.) Diese ganze
Entwicklung stellt Axel von Campenhausen an Hand umfassender
Dokumentation sehr lebendig dar. — Wenn nun aber
auch Buchtitel keine Inhaltsangabe sind, so hätte der von ihm
gewählte immerhin vermuten und wünschen lassen, daß die Vorgeschichte
von Staat und Kirche in Frankreich zum mindesten
skizziert worden wäre. Es hätte sich dann gezeigt, daß
sie kaum erlaubt, sich unbedingt dem Gesamturteil von
von Campenhausen anzuschließen, der die engere Verbindung
von „Thron und Altar" als etwas Normales anzusehen scheint.
Gerade die Protestanten Frankreichs werden kaum diese Auffassung
teilen — ja, nicht einmal alle Katholiken. Ein Satz wie
der, daß die Trennungsidee in ihrer konsequenten Durchführung
,,hätte zu Kirchenkampf und Kirchenverfolgung führen müssen
" (von mir gesperrt) (S. 155), darf doch nicht unwidersprochen
bleiben. Alexander Vinet (übrigens nicht erwähnt), ein
Vorkämpfer der „freien Kirche im freien Staat", vertritt in seinem
berühmten „ Memoire en faveur de la liberte des cultes"
eine entgegengesetzte Auffassung und belegt sie mit der
Trennung von Staat und Kirche in den USA. Ob aber nun die
Kirche noch in konstantinischer oder schon wieder in vor-
konstantinischer Lage sich befindet, eines ist deutlich: goldene
Ketten binden sie gefährlicher und schmählicher als eiserne. Das
galt und gilt nicht nur für Frankreich.

Bern Otto Erich St rasser

Peters, Robert: Oculus Episcopi. Administration in the Archdea-
conry of St. Albans 1580— 1625. Manchester: University Press
[1963]. VIII, 116 S., lKte. 8°. Lw. 21 s.

Das Buch behandelt die 45 Jahre der Verwaltung des
Archidiakonats von St. Alban in der Diözese London. Der Verfasser
6chickt voran einen Überblick über die Verwaltungsgeschichte
seit der Gründung des Archidiakonats. Dann weist er
auf die Quellen seiner Darstellung hin.

Er schildert das Amt des Archidiakons und seiner untergeordneten
Ämter: des Offizial, des Registrators, des Gerichtsdieners
sowie die eigentliche Verwaltung des Archidiakonats.
Sie wird durch Hinweis auf 106 Briefe des zuständigen Bischofs
oder seines Kanzlers deutlich gemacht. Weitere Aufgaben des
Archidiakons waren die Visitation der Verwaltung seines Archidiakonats
und die Versammlungen seines Klerus im Stil einer
Synode, die er zu leiten hatte. Das Buch schildert Einzelheiten
und Vorkommnisse der Visitationen und Versammlungen.

In einem weiteren Kapitel wird der Gerichtshof des Archidiakonats
beschrieben. Er kam gewöhnlich alle zwei Wochen
zu Sitzungen zusammen. Daneben gab es auch außerordentliche
Sitzungen. Der Archidiakon oder der Offizial führten den Vorsitz
. Die Aufgaben des Gerichtshofes bestanden in Behandlungen
von Ehefragen und in der Erteilung von Ehelizenzen und Lehraufträgen
. Eine wichtige Rolle spielte der Proktor-Anwalt, der
die eine oder andere Partei zu vertreten hatte. Der Gerichtshof
war auch Disziplinarinstanz. Seine Maßnahmen waren: Verwarnungen
, Suspensionen und Exkommunikationen. Er konnte

Absolutionen erteilen und Strafen ändern. Auch die Vergabe
von Lehen gehörte zu seinen Aufgaben. Ein Anhang des Buches
bringt ein Verzeichnis des Klerus des Archidiakonats. Ein
Register der Archivalien, der gedruckten Quellen sowie der
neueren und neuesten Literatur über die im Buch behandelte
Periode schließen sich an. Ein Personen-, Orts- und Sachregister
erleichtern die Benutzung des Buches. Schließlich ist zum Verständnis
der Darstellung eine Karte des Archidiakonats angefügt
.

Die Darstellung, welche uns einen dankenswerten Einblick
in die Geschichte von St. Alban jener Jahre gibt, ist ein Baustein
zur Geschichte der englischen Kirche im elisabethanischen
und nachelisabethanischen Zeitalter.

Berlin Walter Delius

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

L u t h c r - Jahrbuch 1963. Jahrbuch der Luther-Gesellschaft, hrsg. v.
F. Lau. Hamburg: Wittig [1963]. 176 S. 8°. Lw. DM 16.—.

Den dreißigsten Band des Luther-Jahrbuches eröffnet der
Leipziger Kirchenhistoriker F. Lau mit einer Würdigung der
Althaus'schen „Theologie Martin Luthers" (S. 9—16). Wenn auch
das Luther-Jahrbuch nicht direkt als Jubiläumsausgabe für den
75-jährigen Paul Althaus aufgemacht ist, wie etwa das des
Jahres 1958 zum 70. Geburtstag (vgl. ThLZ 85 [i960] 531—534),
so ist doch der Aufsatz F. L a u's und der von F. W. Kantzen-
b a c h direkt als Gabe für den Präsidenten der Luther-Gesellschaft
geschrieben.

Trotzdem kommt L. bei aller Zustimmung nicht umhin, einige
Bedenken anzumelden, vor allem zur Auffassung des Tertius usus legis
, den Althaus der Sache nach bei Luther zu finden glaubt (13), zur
Auffassung, Luthers Lehre sei nicht patripassianisch, sondern dei-
passianisch sowie zum Doppelgebrauch des Wortes iustificare, den
Althaus bei Luther nachzuweisen sucht (15). Die sachlidien Bedenken
L's zu Althaus' Auffassung einiger theologischer Loci Luthers ändern
nichts daran, daß für L. das Werk Althaus' die Krone seiner Lebensarbeit
ist, das „würdigste und schönste" (16) Jubiläumsbuch zu Ehren
des 75jährigen — wenn es auch bereits ein Jahr zuvor erschienen ist.

M. Schmidt, „Luthers Schau der Geschichte" (17—69)
ist der Hauptaufsatz des diesjährigen Jahrbuches und zugleich
eine verspätete Gabe zu H. Bornkamm's 60. Geburtstag im
Jahre 1961. Tenor des Aufsatzes ist die von Seh. treffend herauskristallisierte
Auffassung Luthers, daß sich in der Geschichte der
Kampf zwischen Gott und dem Satan vollzieht (34).

Wenn auch Luther diese Erkenntnis „selten ausdrücklich formuliert
oder zum Thema einer Schrift gemacht" (34) hat, so läßt sich
doch diese Deutungskategorie, in späteren Jahren wachsend, deutlich
bei ihm aufzeigen: Worms, Zwickauer Propheten, Bauernkrieg, Augsburg
usw. beweisen den ständigen Streit der zwei Herrschaftsbereiche.
Weitere Deutungskategorien sind „Schöpfung und Leiblichkeit", d. h.
Gottes Handeln in der Geschichte durch die Kreaturen, „Gottes Handeln
durch das Gegenteil", „Gottes Maskenspiel" u. a. Gott erhöht
die Niedrigen und stürzt die Hohen, er bringt die Menschen nur deshalb
in Not, um ihnen dann umso wirksamer zu Hilfe zu eilen. Luther
geht sogar soweit, das Wirken Satans in der Geschichte auf Gott
zurückzuführen, denn dieser erhielt seine Funktion durch den Schöpfer
. „Gott kann sich unter der Erscheinung des übelsten Teufels verbergen
" (51), er verhüllt sein Tun in das Gegenteil seiner Absicht.
Nur im Glauben ist daher die Bewältigung der Geschichte möglich.
Luthers Schau der Geschichte mündet in die Heilsgeschichte ein. Weltgeschichte
und Heilsgeschichte werden durch den Glauben zusammengefaßt
, „weil er (Luther) die scheinbar weltliche Geschichte in ihrem
letzten Sinn als Anrede Gottes versteht" (63).

Abschließend stellt Sch. fest, daß „Luthers Erkenntnis von der
Andersartigkeit der geschichtlichen Stunden die Forderung einer genauen
Interpretation nach sich gezogen hat . . . Sie hat weiterhin die
Aufgabe sichtbar gemacht, die zum Verständnis vergangener Vorgänge
unentbehrliche Analogie in der kritischen Einbildungskraft des
Geschichtsschreibers herzustellen — einer Einbildungskraft, die auf
praktische Erfahrung nicht verzichten kann. Das ist der Reflex seiner
eigenen Erfahrung mit der Geschichte" (65). Außer M. Flacius, in dem
Sch. einen „originären Schüler" (65) Luthers sieht, fehlt es für die
theologische Bewertung der Geschichte an Nachfolgern. „So steht die
volle Wiederaufnahme von Luthers Geschichtsschau in weitergebildeter
Gestalt.. . noch als Aufgabe vor der Gegenwart" (67). Ein
ausführliches Literaturverzeichnis rundet die Untersuchung ab.

F. W. Kantzenbach untersucht in einem ebenfalls