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1964

Kategorie:

Judaistik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 11

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derer Beachtung: er stammt aus der palästinischen Schulsprache
und geht auf eine bestimmte Vorstellung und Erziehung zurück.
Die Apostel sind verpflichtete Zeugen des „Wortes" und können
diesen „Dienst" nicht aufgeben. Sie sind keineswegs nur Verkünder
, sondern auch Lehrer in didaktischer Bedeutung (Apg. 2,
42).

Kühn, aber in der Tendenz konsequent, ist der Versuch des
Verfassers, die zentrale Bedeutung der Jesusüberlieferung zurückzugewinnen
: sie ist für Paulus eine Art Mischna, während
apostolische Tradition und Legitimierung in den Bereich einer
talmudischen Argumentation gehören (S. 302). Diese talmudische
Argumentation besteht aus Lehre, ethischer und kirchlicher
Unterweisung — ist aber nur verständlich, wenn eine genau
verstandene und geübte Jesusüberlieferung als eine Art Mischna
dahinter steht.

Kühn, aber in der Tendenz konsequent, ist auch der Versuch
, das ursprüngliche Jesuszeugnis zurückzugewinnen. Man
kann die Anfänge der Evangelientradition nicht in der Predigt
der Urgemeinde festlegen wollen, auch nicht in der menschlichen
Einzigartigkeit Jesu; Ausgangspunkt muß vielmehr die messiani-
sche Erfüllung des Gesetzes sein. In Jesu Worten und Handlungen
liegt — recht verstanden — die Erfüllung des Gesetzes
und der Propheten. Die Jesusüberlieferung war nichts anderes
als eine Form „mündlicher Tora" (= Weisung), wollte doch
Gott in den letzten Tagen seinen Bund dem Volke ins Herz
schreiben (S. 3 34).

Offenbar haben wir einen programmatischen Entwurf vor
uns, der aus der Arbeit an der rabbinischen Überlieferung ein
besseres Verständnis des ganzen Urchristentums zurückgewinnen
will. Er sieht mit Recht, daß weithin die Verbindung der
nt.lichen Exegese mit dem AT und dem Judentum gefährdet ist,
und daß aus dieser Entwicklung auch die Substanz des NT's in
Frage gestellt ist. Es scheint mir, daß Teil 2 eine Fülle fruchtbarer
Ansätze in sich trägt, daß aber gerade hier auch Fragen
offen bleiben, die das Gespräch weiterführen müssen. Das Problem
der Christologie, das Gerhardsson auf S. 325 anschneidet,
kann doch wohl kaum so abgesichert werden, wie es hier geschieht
: ihre Aussagen gehen ja über die im Kontext gegebene
grundsätzliche Lösung hinaus und können darum hier nur überraschen
.

Tübingen Otto Michel

Jasper, Gerhard: Wie reden wir im pfarramtlichen Dienst von der
Judenfrage? (PB1 104, 1964 S. 322—328).

NEUES TESTAMENT

Hartke, Wilhelm: Vier urchristliche Parteien und ihre Vereinigung
zur apostolischen Kirche 1. u. II. Berlin: Akademie-Verlag 1961.
XIV, 792 S. gr. 8° = Deutsche Akademie d. Wissenschaften zu
Berlin, Schriften d. Sektion f. Altertumswissenschaft, 24. Kart. zus.
DM 138.-.

Der ehrwürdige Verfasser des zur Besprechung vorliegenden
Werkes hat Kraft und Interesse in jahrzehntelanger, 193 3—1945
unterbrochener Tätigkeit im höheren Schuldienst und als Professor
und Emeritus an der Humboldt-Universität in Berlin vor
allem der didaktischen Methodologie des altsprachlichen Unterrichts
gewidmet. Mit der Arbeit über die vier urchristlichen
Parteien aber nimmt er die literarischen, historischen, theologischen
ud besonders kanongeschichtlichen Probleme auf, die ihn
seit seiner Dissertation im Jahre 1917 lebenslang beschäftigten
und die ihm sogar im Zuchthaus Bautzen 1943—1945 geistige
Anregung und Erfrischung boten.

Der erste Band seiner Untersuchungen ist vor allem überlieferungsgeschichtlich
eingestellt. Es geht dabei zunächst um das
johanneische Schrifttum und sein Verhältnis zu den synoptischen
Evangelien. Die tragenden Persönlichkeiten, ihre Beziehungen
untereinander und ihre Schicksale bestimmen die Geschichte der
Tradition. Dabei nimmt Johannes Markus die Stellung einer
Schlüsselfigur ein. Er war der nackte Jüngling, der den Häschern
gerade noch entkam Mk 14. 51, als er Jesus und seinen Jüngern
aus dem Saal des Abendmahls nach Gethsemane folgte. Er war

der Sohn der Maria Magdalena, was mit einer scharfsinnigen
Konjektur zu Lk 24, 10 (rj. . . statt xai 'Iiodvva, die Mutter
des Johannes, d. h. des Joh Mk) begründet wird. Der Mutter
Maria Magdalena gehörte das Haus, in der das Abendmahl
stattfand. So ist Joh Mk zugleich Hausherr und Gastgeber und
der Jünger, den Jesus lieb hatte. Nach dem Fortgang des Judas
Ischarioth war er der Zwölfte, ohne eigentlich dem Kreis der
Zwölf anzugehören. Er ist Augenzeuge der letzten Stunden
Jesu und vermittelt dem Petrus den Eintritt in das Haus des
Hohenpriesters, das vielleicht dem seinen benachbart war. Im
Jahre 43 schrieb er als Amanuensis des Petrus das überlieferte
(Joh-)Mk-Evangelium den UrMk nieder. Im folgenden Jahre diktierte
ihm der Apostel Johannes die Grundschrift des Johannes-
Evangeliums: Die Zwölf Zeichen des Messias Jesus, die in der
richtigen historischen Reihenfolge berichtet werden. Die Schrift
sollte wohl als Missionsschrift besonders für die Hellenisten und
Hellenen in Antiochia dienen. Aber sie war eigentlich schon bei
ihrer Abfassung überholt: Die Juden suchen Zeichen, sagt
Paulus. Und in Antiochia herrschte die paulinische Richtung.
Daher stand im Mittelpunkt der antiochenischen Theologie die
Verkündigung von Tod und Auferstehung Jesu (l Kor 1, 22 f).
Das Evangelium dieser Gemeinde enthielt dementsprechend die
Leidensgeschichte als Krönung und Abschluß der Geschichte des
Wirkens. Nach dem Tode des Zebedaiden Johannes (44 n Chr)
ging Joh Mk nach Antiochia,aber dort ist als Evangelium UrMk
bereits eingeführt. So bleibt Z, die Zeichenschrift, das Vermächtnis
des Apostels Johannes, unveröffentlicht. Joh Mk wirkt
in den folgenden Jahren mit Petrus, Paulus und Barnabas zusammen
in Antiochia, bis dort die Jakobusanhänger Judas und
Silas eintreffen (48). Nun geht Joh Mk zusammen mit Barnabas
nach Cypem, um dort Mission zu treiben. Aber der extensiven,
eschatologisch ausgerichteten Reisemission des Paulus steht
Joh Mk kritisch gegenüber. Seit etwa 57/58 wirkt er wohl an
die 40 Jahre in Ephesus, wohin seine Mutter Maria Magdalena
schon vor ihm übergesiedelt war. Dort verfaßt er das Johannes-
Evangelium. Die Grundlage bietet Z, die seit dem Tode des
Apostels im Besitz des Joh Mk war. Dazu kommt vor allem die
Leidensgeschichte, für die er, der Lieblingsjünger, Augenzeuge
war. Er und seine Mutter standen unter dem Kreuz. Sie beide
weist der Gekreuzigte in ihrer Trauer aufeinander. Von der
Mutter Jesu ist weder hier noch in den Auferstehungsgeschichten
die Rede (vgl. den Exkurs: Maria Magdalena und die andere
Maria). Auch dieses Urjohannes-Evangelium, das erst nach
70 zum Abschluß kam, da es noch zu Entstellungen der Geschichte
Jesu im UrLk und RMk sich äußert, ist nicht vom Verf.
selbst veröffentlicht worden. Joh Mk wirkte in einem eigenen
Kreis als der Verkünder des Liebesgebotes, zu dem die Glaubenspredigt
der Pauliner unter Timotheus in eine von den Führern
nicht gewollte Spannung tritt. Spuren davon sind in den Joh-Br,
Jak, Hebr, 2 Petr und noch dem Eph des Ignatius bemerkbar.

In seinem Evangelium läßt Joh Mk Z unangetastet stehen. Den
alten jüdischen Messias-Mythus schaltet er aus, verzichtet auch auf
den Titel Menschensohn = menschlicher Mensch, weiß aber wohl,
daß Jesus sich als den eingeborenen Sohn Gottes gewußt hat. Jesus
ist nach Z zugleich der Sohn Josephs und bleibt so für Joh Mk in der
lebendigen Spannung zwischen Gott und Mensch 6tehen. Gottes Wesen
ist Licht und Liebe für alle Menschen. Das soll durch Verwirklichung
offenbar werden. Joh Mk kennt also nicht den Dualismus von
Gott und Natur, von Erwählten und Nicht-Erwählten. Die Schöpfung
ist Gottes Eigentum, und auch die Sünde des Metischen vermag nicht,
6ie völlig zu verderben. Aber gegen diese Glaubensanschauungen wendet
sich eine starke Strömung judaistischen Denkens. Ihr Vertreter ist
der Kreis um Jakobus. Diesem Kreis gehört auch der Apostel Judas
an, der 48 in Antiochia Anlaß zu dem Streit zwischen Petrus und
Paulus gab und der in Kolossae, wo ihm Joh Mk entgegentrat, und
sonst gegen Paulus arbeitete. Er war es auch, der später in Ephesus,
wohl nachdem Joh Mk infolge der Leiden bei der Deportation nach
Patmos aus der Führung der Gemeinde ausgeschieden und gestorben
war, sich in den johanneisdien Kreis eingedrängt, das johanneische
Schrifttum in seinem Sinne bearbeitet und durch die Apokalypse
Johannis, die er selbst verfaßte, ergänzt hat. So wird die Botschaft
Jesu verfälscht. In dieser verfälschten Form kommt das Evangelium in
der Gemeinde von Ephesus und bei deren Bedeutung weit darüber
hinaus zu Wirkung und Geltung. Judas Barsabbas (Apg 15, 22) war
Levit. Im Gegensatz zu dem gebildeten Joh Mk beherrscht er das