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Ausgabe:

1964

Spalte:

835-837

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Gerhardsson, Birger

Titel/Untertitel:

Memory and manuscript 1964

Rezensent:

Michel, Otto

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835

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 11

836

A v i g a d, N.: Two Newly Found Hebrew Seals (Israel Exploration

Journal 13, 1963 S. 322—324).
Avi-Yonah, M.: The Bath of the Lepers at Scythopolis (Israel

Exploration Journal 13, 1963 S. 325—326).
F a h n, A., Naomi Wachs u. C. Ginzburg: Dendrochronological

Studies in the Negev (Israel Exploration Journal 13, 1963 S. 291

—299).

Haag, Ernst: Der Widersacher Gottes nach dem Buche Judith (Bibel

und Kirche 19, 1964 S. 38—12).
H e s t r i n, Ruth, u. Miriam Tadmor : A Hoard of Tools and

Weapons from Kfar Monash (Israel Exploration Journal 13, 1963

S. 265—288).

Hoenig, Sidney B.: Dorshe Halakot in the Pesher Nahum Scrolls

(JBL 83, 1964 S. 119—138).
Holla da y, William: The Badcground of Jeremiah's Selfunderstand-

ing: Moses, Samuel, and Psalm 22 (JBL 83, 1964 S. 1 53—164).
Hülst, A. R.: Opmerkingen over de ka'aser-zinnen in Deutero-

nomium (NThT 18, 1964 S. 337—361).
Kaplan, J.: Excavations at Benei Beraq, 1951 (Israel Exploration

Journal 13, 1963 S. 300—312).
Key, CA.: Note on the Trace-Element Content of the Artifacts of

the Kfar Monash Hoard (Israel Exploration Journal 13, 1963 S. 289

—290).

K u ts c h, Ernst: Deus humiliat et exaltat. Zu Luthers Übersetzung-
von Psalm 118,21 und Psalm 18,36 (ZThK 61, 1964 S. 193—220).

Morgenstern, Julian: The Festival of Jerobeam I (JBL 83, 1964
S. 109—118).

Rainey, A. F.: Business Agents at Ugarit (Israel Exploration Journal

13, 1963 S. 313—321).
R e m y, P.: La condition de la femme dans Ies codes du Proche-

Orient ancien et les codes d'Israel (II) (Sciences Ecclesiastiques 16,

1964 S. 291—320).
Roth, W. M. W.: The Anonymity of the Suffering Servant (JBL 83,

1964 S. 171—179).
Williams, James: A Critical Note on the Aramaic Indefinite

Plural of the Verb (JBL 83, 1964 S. 180—182).

JUDAICA

Gerhardsso n, Birger: Memory and Manuscript. Oral Tradition and
Written Transmission in Rabbinic Judaism and Early Christianity.
Transl. by E. J. S h a r p e. Lund: Gleerup; Copenhagen: Munksgaard
1961. 379 S. gr. 8° = Acta Seminaiii Neotestamentici Upsaliensis
XXII. Schw. Kr. 30.-.

Die skandinavische Theologie beschenkt uns hier mit einer
besonders wichtigen, sowohl die Judaistik wie auch die neutesta-
mentliche Wissenschaft interessierenden Monographie, die zunächst
ein ganz bestimmtes Einzelthema hat, das die Beziehung
zwischen Gedächtnis und schriftlicher Fixierung klären will, dann
aber die steckengebliebenen Probleme der Formgeschichte aufs
neue zur Diskussion stellen will.

Grundsätzlich geht der Verfasser von der Unterscheidung
zwischen geschriebener und mündlicher Thorah aus, die schon aus
der Zeit Hilleis und Schammais zu belegen ist und die auch
Josephus kennt. Vielleicht steht ursprünglich eine hellenistische
Unterscheidung zwischen „geschriebenem" und „ungeschriebenem
Gesetz" dahinter, aber dann hat die rabbinische Unterscheidung
lehrmäßig doch einen anderen Sinn angenommen. Der „geschriebene
" Text wurde verlesen (auch wenn man ihn praktisch häufig
aus dem Gedächtnis zitierte), der „mündlich überlieferte" Text dagegen
wurde wiederholt (= aus dem Gedächtnis zitiert), obwohl
er auch gelegentlich schriftlich als Gedächtnishilfe [vTio/iivri/naTa)
aufgeschrieben war (S. 29). Die apokalyptischen Kreise unterschieden
sich von der pharisäischen Tradition dadurch, daß sie
heilige, geheime Texte aufschrieben — offenbar hatten sie an
diesem Punkt Berührungen mit den Sadduzäern.

Wichtig ist ferner die Klärung des Begriffes „Schreiber"
(= sopher). Er meint a) den Schriftgelehrten, der die heiligen
Schriften genau kennt, b) den geschickten Schreiber, der in technischen
Einzelheiten geschult ist. Der Begriff hatte z. Z. Esras
eine wichtigere Bedeutung als nach der Zerstörung des Tempels,
als man sehr genau zwischen einem Rabbi und einem sopher
unterschied. Und doch kam es durchaus vor, daß ein bekannter
Rabbi aus äußeren Gründen auch diese Tätigkeit eines Schreibers
ausübte (z. B. R. Meir). Obwohl diese Schreiber die Texte aus
dem Gedächtnis zitieren konnten, war es doch Vorschrift, den

heiligen Text nach der Vorlage, also nicht aus dem Gedächtnis
abzuschreiben. Es war eine Notlage, wenn man einen Text aus
dem Gedächtnis herstellen mußte, wie es R. Meir in Ephesus erging
. Im nachexilischen Judentum hingen diese Abschreiber heiliger
Schriften mit dem jerusalemischen Tempel zusammen; auch
die Schreiber von Qumran mögen innerhalb dieser priesterlichen
Tradition gestanden haben (S. 50). In der tannaitischen und
amoräischen Periode gab es bestimmte Familien und Schulen, die
teilweise wie im Hellenismus ein Handwerkerstand geworden
waren. Das Streben nach einem „textus reeeptus" geht sicher auf
vortannaitische Zeiten zurück: vielleicht wurden bestimmte regulative
Rollen im Tempel aufbewahrt, nach denen andere Texte
korrigiert wurden — jedenfalls gab es bestimmte „Korrektoren"
im Tempel (b. Ket. 106 a). Das Streben nach einem normativen
Text und die gleichzeitige Gewißheit um die Unerschöpflichkeit
des geschriebenen Textes widersprechen einander keineswegs.

Die mündliche Torah kann sich auf die Wichtigkeit und
Verbreitung der Tradition berufen: Heim und Familie, Synagoge
und Tempel, Schule und Lehrhaus, Versammlung und Gerichtshof
berufen sich auf geheiligte Traditionen. Hier geht es grundsätzlich
um Erziehung im weitesten Sinn: Mittelpunkt ist bet-
ham-midras (das Lehrhaus), Träger ist der Rabbi (als hakam),
Stoff ist der ganze Umfang der Mischna und der Midraschim.
Grundsätze und Entwicklung dieser Lehrform werden in den entscheidenden
Kap. 9—11 an Hand wichtiger Talmudtexte, soviel
ich sehe, in einwandfreier Form entfaltet (b. Sota 22 a auf S. 95
und 107 f.; b. Meg. 7 b = S. 119; b. Ab. Zar. 19 a = S. 127).
Ciceros Wort: repetitio est mater studiorum kommt erst im rab-
binischen Judentum zur vollen Auswirkung. Die überschwäng-
lichen biblischen Aussagen, die die Betrachtung der Torah zum
ständigen Kennzeichen des Frommen machen (Jos. 1,8; Ps. 1, 2),
sind nun keineswegs eine leere Form, sondern werden Wahrheit
und Wirklichkeit der Rabbinen. Vergessene Sätze sind eine Ausnahme
, ein Zeichen gestörter Gesundheit. Aussagen (debarim)
und Erzählungen (ma'asim) der Lehrer werden gesammelt, der
Schüler wird daher zum Zeugen für das, was der Lehrer gesagt
und getan hat und zum Nachahmer der Wege seines Lehrers. Es
erhebt sich dann die Frage, wann ein Erzählungsstoff entsteht
und welche Tendenz er hat — daß er Tendenz verrät und didaktisch
wirken soll, kann grundsätzlich vorausgesetzt werden.

Ein zweiter Teil der Untersuchung wendet sich der
Evangelientradition des frühen Christentums zu. Wohl mit Absicht
geht sein Weg rückwärts: nachapostolische Kirche,
Zeugnis des Lukas, Beweisverfahren des Paulus und zuletzt Anfänge
der Evangelientradition. Der Sinn dieses zweiten Teiles
kann nur darin bestehen, die in dem ersten Teil gewonnenen
Gesichtspunkte und Ergebnisse auf einem ähnlichen und doch
andersartigen Gebiet fruchtbar zu machen. Man hat es schon früh
als schwierig empfunden, die Gattung der Evangelien zu bestimmen
— aber wenn man an die Kategorie der {mo/ivr/juaTa
(Euseb) oder äno/uvrjfxovsvfiara (Justin) dachte, dann schlug man
doch einen bezeichnenden Weg ein, der an die Schultradition erinnerte
. Im Hellenismus haben die Schüler von Philosophen und
Rhetoren iuiouvrjfiaia veröffentlicht, die vorher gedächtnismäßig
oder durch schriftliche Aufzeichnungen festgehalten worden
waren. In manchen Fällen war der betreffende Lehrer nicht in
der Lage, eine derartige Veröffentlichung zu autorisieren, gelegentlich
verlangt er sogar eine Überarbeitung. Lukas hat selbst
seinem Evangelium den Charakter einer hellenistischen Publikation
(exöooig) verliehen, wie sein Prolog zeigt. Auf jeden
Fall hat man allgemein noch eine Ahnung davon, daß eine
schriftliche Abfassung den lebendigen Unterricht eines Lehrers,
der noch erläutern konnte, nicht ersetzen kann. Offenbar ist die
Jesusüberlieferung längere Zeit hindurch mündlich tradiert worden
, wie man es innerhalb der pharisäischen Erziehung gewohnt
war (S. 202).

Wichtig ist für den Verfasser der Apostelbegriff der lukani-
schen Schriften. Er zieht hier vor allem Lk. 24, 44—49 und
Apg. 6, 4 heran. Der Zwölferkreis ist nicht nur Träger der Jesusüberlieferung
, sondern auch der legitimen Auslegung der heiligen
Schrift. Auch der „Dienst am Wort" in Apg. 6, 4 bedarf beson-