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Ausgabe:

1964

Spalte:

62-64

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Peters, Albrecht

Titel/Untertitel:

Glaube und Werk 1964

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

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(2, 244)1 Alle theologischen Erbsündetheorien sind daher nichts
als eine Erscheinung des Sündenfalls (2, 246)1 Von Sünde kann
nur geredet werden als Vollzug des Selbstv«rständnisses des
christlichen Glaubens; alles andere Reden von der Sünde ist selber
Sünde (2, 226)1 Denn der Begriff der Sünde ist Ausdruck
für die Wahrheit des Selbstveretändnisses des christlichen Glaubens
, darum läßt er sich nicht positiv-'wissenschaftlich oder
philosophisch ausweisen (2, 187). So ist denn auch die Einsicht
in die Objektivierung der Glaubensinhalte und Glaubensvollzüge
der Schlüssel zum Verständnis der Lehre vom
Teufel (2,263)1 Denn: Ursprung und Wesen des Bösen besteht
in der Objektivierung des Nichtobjektivierbaren (2, 286)!

Nach diesem Prinzip positiver dogmatischer Deutung des
Glaubens kann man a priori erwarten, daß das Resultat der
kritischen Analysen B.s und seine positive Lehre etwas monoton
ausfallen werden. In der Tat vermag der Leser, wenn er
sich etwas in die Dogmatik hineingelesen hat, jeweils im voraus
zu sagen, worauf der Verf. hinauskommen wird: — daß der
Grund aller Irrtümer in der Objektivierung und die Lösung
aller Probleme in der Nichtobjektivierung der Glaubensinhalte
besteht. Das Resultat der scharfsinnigen Analysen ist daher
jeweils etwas mager, so daß der Leser mit Grund enttäuscht
wird. Eine so gründliche Kritik gegnerischer Standpunkte hätte
eine reichere positive Entfaltung de6 eigenen Standpunktes erwarten
lassen!

Allein, diese Resultate sind die logische Folge der radikalen
Subjektivierung des christlichen Glaubens, wie sie wiederum
die Konsequenz des hermeneutisehen Prinzips ist. Diese Subjektivierung
des Glaubens bei B. ist u. E. viel radikaler als in
der Gefühlstheologie Schleiermachers. Denn bei dieser bleibt
doch die absolute Kausalität Gottes übrig als der Grund des
Gefühls der schlechthinnigen Abhängigkeit. Bei B. ist auch von
einer solchen Kausalität keine Rede mehr. Der christliche
Glaube schwebt völlig in der leeren Luft absoluter Subjektivität
. Daran ändert der Bezug auf die Transzendenz nichts, weil
diese Transzendenz ja nicht gegenständlich faßbar ist. Für die
einzelnen theologischen loci ergibt sich hieraus u. a. folgendes:

Wie steht es mit der Erkenntnis Gottes? Es gibt
keine Erkenntnis Gottes, wie er an 6ich ist, auch nicht auf Grund
der Offenbarung in Jesus Christus, sondern wir reden vom
Menschen, wenn wir von Gott reden (2,21/22)1 Den Gegenständen
der Theologie kommt überhaupt kein An-sich-Charakter
zu, sondern sie sind alle nur auf das Selbstverständnis des
Glaubens bezogen (2, 32). Der Glaube lebt in einer ungegenständlichen
Wahrheit (2,431). Der in Jesus Christus offenbare
persönliche Gott ist nichts als ein Ausdruck für das neue Sein
des Gläubigen in seinem Selbstverständnis (2, 113).

Wie 6teht es mit Gotte6 Geboten? Die sittlichen
Gebote haben keinen metaphysischen oder göttlichen An-sich-
Charakter (2, 230). Gottes Gebot gibt es nur für den Glauben
in seiner Geschichtlichkeit (2, 232). Gottes Gebot ist also nur
Aussage gläubigen Selbstverständnisses (2, 240).

Wie steht es mit der Gottebenbildlichkeit des
Menschen? Sie kann weder aus der Schrift bestimmt noch psychologisch
oder biologisch erklärt werden, denn jede solche
Bestimmung und Erklärung würde das Wesen des Personseins
aufheben (2, 106). Auch die Gottebenbildlichkeit beruht auf
dem Selb6tverständnis des Menschen.

Was bedeutet die Lehre vom Gottmenschen? Sie
ist nicht der Beweis für eine vom Selbsrverständnis des Christen
unabhängige Objektivität, sondern nur der Ausdruck der Tran-
szendenzbezogenheit personalen menschlichen Daseins. Die Rede
von der Gottheit Christi ist Ausdruck des Selbstverständnisses
des christlichen Glaubens in seiner Geschichtlichkeit (2, 132).

Was bedeutet die Menschheit Christi 7 Sie besteht
darin, daß sich Personsein nur verwirklicht in bezug auf
die Transzendenz des in Christus sich offenbarenden Gottes
(2, 141).

Was bedeutet die Versöhnung? Sie ist kein Gegenstand
einer Lehre und paßt daher in kein Subjekt-Objekt-
Schema (2, 316). Innerhalb des Subjekt-Objekt-Schemas gibt es
entweder nur eine Fremderlösung oder eine Selbsterlösung

(2, 398). Es gibt aber weder die Gegenständlichkeit eines übernatürlichen
objektiven Heilsgeschehens noch die eines wissenschaftlichen
Systems der innerlichen Subjektivität (2, 400). Denn
es gibt keine objektiven H e i 1 s t a ts a c h e n (2,401)!

Diese Beispiele dürften genügen. B. wirft der sog. Vernunft-
Theologie vor, daß in ihr die Vernunft die Herrschaft über den
Glauben gewonnen habe (2, 51 ff. u. ö.), und daß es sich daher
bei ihr um eine Selbsterlösung des Menschen handle (2, 366 u.ö.).
Wir kennen keine sog. Vernunft-Theologie von Richard Rothe
bis Lüdemann und P. Tillich, die dieseT Vorwurf treffen würde.
Dagegen läßt sich wohl sagen, daß die Dogmatik B.s selbst eine
Vernunft-Theologie ist, sofern in ihr eine philosophische
Lehre, nämlich die kritizistische Existenzphilosophie, zum herme-
neutischen Prinzip erhoben worden ist. B.s Dogmatik steht und
fällt mit ihrem philosophischen Grundprinzip, der Nichtgegen-
ständlichkeit des Glaubens und dem Selbstverständnis in bezug
auf Transzendenz. Wer den Kritizismus der Existentialphilosophie
nicht teilen kann, wird auch B.s hermeneutisches Prinzip ablehnen
müssen. Grundsätzlich ist hierbei folgende Frage zu stellen
: Ist die These B.s, daß der Glaube kein gegenständliches
Wissen iet und daher die Dogmatik die Glaubensinhalte nicht
objektivieren darf, — selbst eine gegenständliche Erkenntnis?,
ein gegenständliches Wissen7 Wenn ja, dann bestimmt die Methode
den Inhalt der Dogmatik, und B. hat wider Willen doch
alles, wa6 er lehrt, vergegenständlicht. Wenn nein, dann ist das
hermeneutische Prinzip B.s, weil kein Wissen, keine Erkenntnis,
auch keine brauchbare hermeneutische Methode.

Aus der gegenständlichen Erkenntnis, das zeigt gerade diese
Dogmatik, kommen wir so wenig heraus wie aus dem Subjekt-
Objekt-Schema. Nur die Mystik hebt dies Schema auf, damit
hört aber in der Ekstase auch alles Wissen, Erkennen auf. Mit
dem Wissen ist jedoch auch der Bezug auf Transzendenz aufgehoben
. Der Kampf wider die Objektivierung des Glaubens
löst kein einziges dogmatisches Problem. Aber dieser Kampf
führt die Theologie in eine Subjektivierung des Glaubens
hinein, die zuletzt alle Wahrheit relativiert. Diese Subjektivierung
des Glaubens ist die große Versuchung der protestantischen
Theologie seit Schleiermacher, wie W. Pannenberg neuerdings
hervorgehoben hat. Indem B. mit dieser radikalen Subjektivierung
des Glaubens im Sinne der Existentialphilosophie alle
dogmatischen Richtungen vom Katholizismus bis K/Barth kritisch
zu überwinden versucht hat, hat er sich vor eine unlösbare Aufgabe
gestellt. In dem Bestreben, eine neue unanfechtbare
Grundlage für seine „liberale" Dogmatik zu gewinnen, hat er
sich übernommen. Am wenigsten scheint uns seine Kritik K. Barth
zu treffen. Aber auch den anderen theologischen Richtungen
wird er nicht gerecht. Bei aller Achtung vor seinem Scharfsinn
und seiner großen wissenschaftlichen Leistung, nicht zuletzt vor
seinem immensen Wissen auf theologischem und philosophischem
Gebiet, da6 er sich im Pfarramt (!) erworben hat, können wir
seine Dogmatik nicht als einen Fortschritt über die derzeitige
dogmatische Situation hinaus bewerten. —

Haldensleben Erik Schmidt

Peters, Albrecht: Glaube nnd Werk. Luthers Rechtfertigungslehre
im Lichte der Heiligen Schrift. Berlin - Hamburg: Luth. Verlagshau«
1962. 276 S. gr. 8° = Arbeiten z. Geschichte u. Theologie de*
Luthertums, hrsg. v. W. Maurer, K. H. Rengstorf u. E. Sommerlath,
Bd. VIII. Kart. DM 27.-.

Die vorliegende Arbeit wird sich gewiß die Wertschätzung
und Dankbarkeit aller derer erringen, die an der Theologie
Luthers und an der heutigen Geschichtsmächtigkeit der Rechtfertigungslehre
interessiert sind. Die Anteilnahme des Verfassers
an der dogmatischen, ja, auch ekklesiologischen und pastoraltheologischen
Bedeutsamkeit der Rechtfertigung verbindet sich
in glücklicher Weise mit der Selbstbescheidung einer zunächst
historischen Fragestellung (12), die sich die geschichtliche Stellung
Luthers in Ansatz zu bringen bemüht, bevor theologischdogmatische
Schlüsse gezogen werden. In ähnlich sorgsamer
Weise werden die exegetischen Probleme in Angriff genommen;
Peters orientiert sich gründlich am neutestamentlichen Text und
dessen Erkenntnis durch die gegenwärtige neutestamentliche
Wissenschaft (z.B. 14—22). Wenn er dann in Anlehnung an