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Ausgabe:

1964

Spalte:

813-824

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Siegfried

Titel/Untertitel:

Neuere Arbeiten zur Geschichte Israels 1964

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 11

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Neuere Arbeiten zur Geschichte Israels

Von Siegfried Herrmann, Berlin

Untersuchungen zur Geschichte Israels, sonderlich zu ihren Zum Problem der ätiologischen Sagen, die Alt vor allem im

frühen Perioden, sind in jüngerer Zeit überraschend vielfältig Josua-Buch gefunden und sodann näher erläutert hat, darf ohne

erschienen, fast regelmäßig verbunden mit grundsätzlichen Bedenken gesagt werden, daß Verf. hier die eigentliche Inten-

methodischen und theologischen Erwägungen. Dabei ist unver- tion Alts mißverstanden hat. Denn daß er ihn mißverstehen

kennbar, in wie hohem Grade die von Albrecht Alt ausge- wollte, wird man ihm angesichts der Ernsthaftigkeit seiner

gangenen und wesentlich durch Martin Noth und Gerhard von Bemühungen nicht zutrauen dürfen. Wenn Alt selbst über das

Rad jeweils in selbständiger Weise fortgeführten Intentionen Wesen ätiologischer Sagen ausführte, daß sie dazu bestimmt

die Forschung angeregt haben, selbst dort, wo sie sich zu Kritik seien, „irgendwelche auffallende Tatbestände aus der Gegen-

und Widerspruch herausgefordert 6ah. Dies geschah und ge- wart ihrer Entstehungszeit aus Ereignissen der Vergangenheit

schieht mit anhaltender Intensität von Seiten einer Reihe kausal abzuleiten"7, wie dies in der typischen Schlußformel

amerikanischer Alttestamentier, die sich der Methodik und Be- „bis auf diesen Tag" (Jos. 4, 9; 6,25; 7,26; 8, 28 f.; 9,27)

trachtungsweise W. F. Albrights verpflichtet fühlea Zu ihnen zum Ausdruck komme, so ist zu beachten, daß damit zunächst

gehören der vor allem durch seine Biblische Archäologie bekannt nur der gattungsgeschichtliche Charakter der Überlieferung

gewordene G. E. Wright1 und der durch eine umfangreiche „Ge- bezeichnet ist, der wir den betreffenden Bericht verdanken,

schichte Israels" hervorgetretene John Bright2. Beide begegnen eben einer an der geschichtlichen Erklärung noch sichtbarer

den auf literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen sowie Zeugen (Steine, Bäume, Mauern) interessierten Sagenüberliefe-

archäologischen Beobachtungen beruhenden Urteilen und Wer- rung. Es ist aber eine Frage ganz anderer Art, welcher Elemente

tungen Alts und Noths mit Hochachtung, glauben aber daraus sich solche Sagen bedienten und wie sie ihrerseits zu beurteilen

andere Schlüsse ziehen zu sollen, als es die deutsche alttesta- sind. Unter keinen Umständen ist bei ihrer Entstehung ein un-

mentliche Wissenschaft getan hat. Das trifft in erster Linie kontrollierter Drang wirksam gewesen, für irgendeinen belie-

für die Bewertung der frühen Perioden der Geschichte Israels bigen Gegenstand irgendeine passende Erklärung zu finden, die

zu, in denen die Stämme vom Boden des Kulturlandes Besitz er- geschickt dies oder jenes miteinander kombinierte. Vielmehr

griffen und sich allmählich fester zu jener Einheit zusammen- sind es bestimmte, ganz konkrete geschichtliche Erinnerungen

schlössen, die uns als Vereinigung von zwölf Stämmen unter mit sachlich oder lokal dazu passenden Tatbeständen, die in

dem Namen „Israel" geläufig ist. Die Probleme der Forschung einer ätiologisch zu nennenden Überlieferung zusammengetrof-

werden dabei ausgelöst durch die unterschiedliche Bewertung fen sind und in diesem jeweils einmalig geprägten Miteinander

der literarischen Zeugnisse, beginnend im Pentateuch, vor allem die Voraussetzungen für die ätiologische Darstellungsweise

aber in den Büchern Josua und Richter, sowie durch die Frage hergegeben haben. Jedenfalls ist die kurzschlüssige Annahme

nach dem richtigen Verhältnis dieser Überlieferungen zu den Brights, die literarische Beurteilung einer Überlieferung als

Ergebnissen archäologischer Explorationen und zu den Ausgra- ätiologische Sage bedeute faktisch die mehr oder minder ab-

bungen, soweit sie die in Betracht kommenden Perioden der sichtliche Negierung ihrer historischen Aussagegehalte und

ausgehenden Bronzezeit und der beginnenden Eisenzeit be- deren Zuverlässigkeit, niemals die Meinung Alts und die Ab-

treffen. sieht der daraus von Noth gezogenen Schlüsse gewesen. Hier

Die angesichts dieses Materials aufbrechenden methodischen hat Bright die aus dem Werdegang der Überlieferungen sich er-
Fragen ging J. Bright in einer bereits 195.6 (zweite Ausgabe gebenden Perspektiven zweifellos verkürzt. Der Rezensent ist
1960) erschienenen Untersuchung „Early Israel in Recent in der glücklichen Lage, auf Entgegnungen hinweisen zu können,
History Writing. A Study in Method" an, die nun auch in einer die aus Alts und Noths eigener Feder zur Sache bereits erfolgt
(übrigens nicht immer geglückten) deutschen Übersetzung von sind, von Alt in Auseinandersetzung mit den Thesen Kauf-
Karl Huber vorliegt'1. Verf. setzt sich darin in äußerst leben- manns", von Noth vor allem auch gegen die von Bright bei-
diger, oft zu rhetorischer Eindringlichkeit gesteigerter Sprache gezogenen Parallelen aus der neueren Geschichte der Vereinigten
mit jener Größe auseinander, die er die „Schule von Alt und Staaten". Die Einsicht, daß es sich im gegebenen Falle um eine
Noth" nennt, und es erschien ihm nützlich, in diesem Zu- ätiologische Sage handelt, wirkt doch keineswegs von sich aus
sammenhang auch auf Yehezkel Kaufmanns Werk „The Biblical schon destruktiv für jede weitere historische Erkenntnis, sie be-
Account of the Conquest of Palestine", Jerusalem 1953, ein- gründet auch nicht grundsätzlich Skeptizismus oder gar Nihilis-
zugehen*, weil Kaufmann zwar die von Alt und Noth vor- mus10, sondern hilft die Eigenart eines Quellenstückes zu präzi-
getragenen Resultate mißbilligt, aber auch von Bright kritisch «ieren und dieses erst eigentlich wertmäßig richtig einzuordnen,
beurteilt wird. Was jedoch Alt und Noth angeht, 60 konzen- so daß der Grad seiner historischen Zuverlässigkeit dadurch
triert er seine Kritik wesentlich auf zwei Punkte, nämlich auf nicht gesenkt, sondern so weit wie möglich gehoben werden
die Beurteilung zahlreicher Erzählungen in den historischen kann.

Büchern des Alten Testaments als Ätiologien, wie es Alt getan Versteigt sich hinsichtlich der Beurteilung der Ätiologien

hat5, und auf die Beurteilung des Zwölfstämmesystems alt Verf. zu dem Satz, daß es ihm scheine, daß in der Methode

Amphiktyonie und Träger ältester israelitischer Traditionen, von Alt und Noth nichts grundsätzlich verkehrter (more

Wie es vor allem Noth breit ausführte und begründete". fundamentally wrong) 6ei als dies, so ist man überrascht, wie

*) G. Ernest Wright, Biblical Archaeology (19 57); deutsche Au»- bedenkenlos er Noths Amphiktyonie-These aufnimmt11. Allergabe
: Biblische Archäologie (1958), übersetzt von Chr. v. Merten«; dings will er die Voraussetzungen dazu bereits in der Wüstensiehe
ThLZ 84 (1959), Sp. 94 ff. zeit erblicken, so sehr er grundsätzlich dem zustimmt, daß die

2) J. Bright, A History of Israel (1959); siehe ThLZ 87 (1962), altisraelitische Amphiktyonie erst auf dem Boden Palästinas

Sp. 349 ff. ... , . ihre endgültige Gestalt erhalten habe. Aber er greift den

. ;) Bri*ht' ,oh"'JP,rof :J.A c"f in» d"ntuV™ G',ch'*ts- amphiktyonischen Gedanken begierig auf, weil er ihm dazu

Schreibung. Eine methodologische Studie. Aus dem Engl, ubertr. v. ,.,£i '. _ , . ° . . , „

K. Huber. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag 1961. 139 S. 8« = h!.Ift,'.ie,ne »Se°e Grundthese materiell zu untermauern, daß

Abhandlungen z. Theologie d. Alten u. Neuen Testaments, hrsg. T. nämlich im Werdegang Israels zu einem Volk weder rassische

W.Eichrodt u. O. Cullmann, 40. Kart. DM 18.50. nocn sprachliche Faktoren konstitutiv waren, sondern der Glaube

*) Vgl. auch den kritischen Bericht von O. Eißfeldt, Die Erobe- -—

rung Palästinas durch Altisrael. Die Welt des Orients II, 2 (1955), 7) Alt a.a.O. S. 182 f.; siehe auch ThLZ 81 (1956). Sp. 525 f.

S. 158 ff. 8) A.Alt, Utopien. ThLZ 81 (1956), Sp. 521 ff.

5) Grundlegend in dem Aufsatz Josua, BZAW 66 (1936), S. 13 ff. •) M. Noth, Der Beitrag der Archäologie zur Geschichte Israels.

= Kl. Schriften I (1953), S. 176 ff. Supplements to Vetus Testamentum 7 (1960), S. 262 ff. = Congress

") M. Noth, Das System der zwölf Stämme Israels = Beiträge Volume Oxford 1959.

zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 4,1 (1930); ders., 10) Gegen diesen Vorwurf Noth a.a.O. S. 263 Anm. 1.

Geschichte Israels, 5. Aufl. (1961), S. 83 ff. ") Bright deutsche Ausg. S. 97; engl. Ausg. S. 91.