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Ausgabe:

1964

Spalte:

785-788

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Thurian, Max

Titel/Untertitel:

L'Eucharistie 1964

Rezensent:

Sasse, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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einer einheitlichen „Mitte" heraus geschehen, in die sie auch
die Formen des Singens der Glaubensväter einzuschmelzen versucht
? Wird die Aktualität und der Bekenntnischarakter des
Singens der christlichen Gemeinde nicht verkannt, wenn man
voraussetzt, daß sie „Musikgeschichte" zu singen vermöge —
mit ähnlicher Unverbindlichkeit, wie eine Konzertgemeinde
Musikwerke aus verschiedenen Epochen und Stilbereichen genießerisch
anhört? Muß nicht das Heute und Hier der Orientierungspunkt
für alle Bemühung um das Kirchenlied, bis hinein
in die Fragen der Notation, bleiben?

Berlin Oskar S ö h n g e n

Thurian, Max: L'Eucharistie. Memorial du Seigneur Sacrifice d'ac-
tion de gräce et d'intercession. Neuchätel: Delachaux et Niestie
[1959]. 287 S. 8° = Collection Communaute de Taize. sfr. 8.50.
Die Bruderschaft von Taize darf wohl als der reifste Versuch
einer Aussöhnung evangelischer und katholischer Frömmigkeit
in unserer Zeit angesehen werden. Ihrem geistlichen Niveau
(s. die Regel von Taize bei Th. Sartory, O. S. B., Mut zur
Katholizität, 1962, S. 265 ff.) entspricht ihre Theologie, wie sie
in dem vorliegenden Buch eindrucksvoll vertreten wird. Sein
Thema ist die Frage, ob das evangelische Verständnis des Abendmahls
als Kommunion, wie die Reformation es gegenüber der
entarteten Messe des späten Mittelalters entwickelt hat, wirklich
so unvereinbar ist mit der Lehre vom eucharistischen
Opfer, wie die Reformation einerseits und die tridentinische und
nachtridentinische katholische Theologie andererseits gemeint
haben. Thurian sucht die Frage zu beantworten auf dem Wege
einer „liturgischen Theologie", welche die Wurzeln der eucharistischen
Liturgie „in der großen jüdisch-christlichen Tradition
sucht, die durch die Hl. Schrift repräsentiert wird" (S. 7). Ausgehend
von dem „Das tut zu meinem Gedächtnis", untersucht
der Erste Teil (s. 19—135), „Das Gedächtnis im Alten Testament
und der liturgische Rahmen der Eucharistie", den Sprachgebrauch
(zikkaron, mnemosynon, anamnesis etc.) und den
theologischen Begriff des „Gedächtnisses", der Anamnese, im
Alten Testament. Das Gedächtnis des Exodus im Passa, in
welchem ein Ereignis der historischen Vergangenheit Gegenwart
Wird, wiederholt sich in der mit dem Passamahl zusammenhängenden
Stiftung Jesu. „Es ist dies Mysterium der Einheit des
Erlösungswerkes, das einmal in der Zeit vollendet ist und doch
immer wieder neu, aktuell wird und appliziert wird, was die
Kirche durch das Wort Mysterium oder Sakrament bezeichnet.
Das sakramentale Mysterium gehört zur jüdischen und christlichen
Tradition und gibt dem Sinn der Heilsgeschichte
Ausdruck, die sich in der Zeit ein für allemal vollzieht,
aber zugleich immer wieder zu jeder Zeit Gegenwart wird
im Wort und im Sakrament" (S. 25, Sperrung nach dem Urtext).
Die Durchführung dieser These in einer meisterhaften Analyse
des alttestamentlichen Begriffs des „Gedächtnisses" in Passa
und Azyma, in den verschiedenen Arten der Opfer sowie in
Gebet und Fürbitte, wird als ein unbestrittenes Verdienst des
Verf. angesehen werden müssen. Ohne sich auf eine Auseinandersetzung
mit der Mysterientheorie von Casel und Warnach einzulassen
, sagt Th. das Beste, was gegen diese Theorie gesagt
werden kann und muß, indem er die Wurzeln des christlichen
Mysteriums in der Heils geschichte aufdeckt. Dagegen ist
das Kapitel über „das liturgische Gedächtnis" (71—112) mit
seiner Behandlung von Einzelfragen des Kultus (u. a. „Ephod
und Pectorale", die liturgische Gewandung, die Posaunen, die
liturgische Musik) nicht immer überzeugend (z. B. der Vergleich
der Glocken mit den in der Wüste das Volk zur Versammlung
rufenden Posaunen), obwohl es gute Gedanken enthält. Zwischen
dem alttestamentlichen Tempelkult und der christlichen Liturgie
steht die Liturgie der Synagoge, die nicht behandelt wird, obwohl
sie ja nicht erst in den vom Verf. berücksichtigten Apokryphen
, sondern schon im kanonischen Alten Testament da ist.
Hier hätte Th. das Buch seines katholischen Landsmanns Louis
Bouycr „Leben und Liturgie" (1954) mit Gewinn benützen
können, das eine wertvolle Ergänzung des vorliegenden Werkes
bildet (dem Rezensenten nur in der englischen Übersetzung [Life
and Liturgy, London und New York 1956 und 1962] zugänglich).

Der zweite Teil behandelt „Das Gedächtnis im Neuen
Testament und die Bedeutung der Eucharistie als Opfer" (S. 137—
273) in vier Kapiteln. Kap. I „Das Gedächtnis im Neuen
Testament" erörtert den neutestamentlichen Begriff der
Anamnese in seinen verschiedenen Aspekten, wobei vor allem
der Opfergedanke des Hebräerbriefs ausführlich besprochen wird.
Das einmalige Opfer am Kreuz, die himmlische Darbringung
durch den ewigen Hohenpriester als die dauernde Aktualisierung
des einmaligen Kreuzopfers, und die Eucharistie gehören zusammen
. Die Eucharistie ist Opfer insofern, als sie in einem
liturgischen Akt „das Gedächtnis und das Sakrament" des einmaligen
Kreuzesopfers und des himmlischen Eintretens Christi
für uns ist. Wie — nach dem Hebräerbrief — das Opfer des
Alten Testament« das Gedächtnis an die Sünde ständig vor Gott
und den Menschen lebendig erhielt, ohne daß diese von ihr frei
werden konnten, so ruft die Eucharistie des Neuen Bundes als
Gedächtnis und Sakrament des einmaligen Opfers Christi vor
Gott und den Menschen ins Gedächtnis die Vergebung der
Sünden durch das Opfer des Leibes Christi. Wegen des Opfers
Christi am Kreuz und seines Eintretens im Himmel „gedenkt
Gott an seine Barmherzigkeit und an seinen heiligen Bund
(Luk 1, 54 und 71) und schenkt die Vergebung der Sünden. ..
durch die Mittel des Wortes und der Sakramente, in besonderer
Weise des Sakraments des Opfers Christi, der Eucharistie. Hat
doch der Herr selbst gesagt: „Das ist mein Blut des Neuen
Bundes, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der
Sünden' (Matth. 26. 28)" (S. 149).

Kap. II behandelt „Die Abendmahlsworte Christi" in den Abschnitten
„Das Mysteriengedächtnis", „Die Segnung der Gestalten",
„Das Brechen des Brotes", „Die Trennung der Gestalten", „Das Bundesblut
", „Die Aktualität des Opfers" („in der Eucharistie werden
derselbe Leib und dasselbe Blut als Sakrament des Kreuzesopfers dem
Vater präsentiert in der Handlung der Danksagung und der Fürbitte,
in der Gemeinschaft mit der Danksagung und Fürbitte, die der Sohn
im Himmel in der Mitte seiner Heiligen darbringt" S. 203), „Die Verkündigung
des Kreuzes", „Die eschatologische Anrufung" („bis daß
er kommt", „Komm, Herr Jesu"). Th. versteht das letzte Mahl als
Passamahl in der synoptischen wie auch in der johanneischen Datierung
unter Hinweis auf die Forschungen von A. Jaubert über das Datum
des Abendmahls und über den Kalender der Jubiläen und der
Qumran-Sekte (S. 192, Anm. 44). Das Abendmahl mußte von den
Jüngern als Opfer verstanden werden (Christus als neues Passaopfer,
das Bundesblut). „Das tut zu meinem Gedächtnis" ist nicht nur auf
die Handlung der Kommunion zu beziehen, sondern es schließt ein
„den Vollzug eines eucharistischen Aktes, einer Handlung der Danksagung
, einer liturgischen Feier in Worten und Gesten" (l72). „Entsprechend
der jüdischen Vorstellungsweise und Praxis" . . . hat Jesus
„nicht eine Konsekration des Stoffes in einem magischen Sinne" vollzogen
, sondern er hat über dem Brot und dem Kelch einen Segensspruch
und eine Danksagung gesprochen" (182). Das bedeutet aber
nicht, daß dieser Segen nur der gewöhnliche ist, der bei jeder Gelegenheit
gesprochen werden kann („occasionalisme") oder daß es sich um
sakramentale Symbolik („eymbolisme") handelt (183). Wie Gott den
siebenten Tag segnete, d. h. ihm etwas von seiner Heiligkeit mitteilte
, so ist die Segnung der Elemente eine Danksagung an den
Herrn, die so mit den Elementen, deren sie sich als Ausdrucksmittel
bedient, verbunden ist, daß man, indem man Gott „segnet", auch die
Elemente „segnet", daß man „sie eucharisiert, indem man Gott Dank
sagt" (18 5). Das Ergebnis wird formuliert in Kap. III ,,Da6 Euchari-
stische Opfer": Aus drei Gründen ist die Eucharistie als Opfer zu betrachten
: ,,1. Sie ist die sakramentale Gegenwart des Opfers am
Kreuz durch die Kraft des Heiligen Geistes und des Wortes und die
liturgische Präsentation dieses Opfers des Sohnes vor dem
Vater durch die Kirche; 2.. sie ist die Teilnahme der Kirche an
dem Eintreten des Sohnes beim Vater im Heiligen Geist, damit er
das Heil allen Menschen zuwende und sein Reich in Herrlichkeit
kommen lasse: 3. sie ist das Opfer, in welchem die Kirche sich
selbst dem Vater darbringt, vereint mit dem Opfer und der Fürbitte
des Sohnes, und somit die höchste Gestalt ihrer Anbetung und ihre
völlige Hingabe im Heiligen Geist" (219). — Das Kapitel IV über
„Die Realpräsenz" definiert diese unter Abgrenzung gegen die römi-
sdie Transsubstantiation und den ostkirchlichen Realismus mit
Calvin, der „eine ökumenische Stellung zwischen Zwingli und Luther
einnimmt" (258) und der alten Reformierten Kirche als eine „substantielle
" Gegenwart. „Bei Calvin bedeutet .Substanz' hier nicht ein
unsichtbares materielles Substrat oder den natürlichen fleischlichen
Leib, die Materie des physischen Leibes Christi. Für ihn bedeutet der
Ausdruck .Substanz' die tiefste Realität eines Wesens oder einer
Sache." Hier folgt Th. der Interpretation Gollwitzere, auf den er sich