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Ausgabe:

1964

Spalte:

784-785

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Tell, Werner

Titel/Untertitel:

Kleine Geschichte der deutschen evangelischen Kirchenmusik 1964

Rezensent:

Söhngen, Oskar

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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gerem evangelistischen Engagement ans Lidit getreten 6ind. Sie
treffen sich mit ganz ähnlichen Fragen, die das Feld der westlichen
Theologie beherrschen und auch hier aus ähnlichen Motiven
entstanden sind, selbst wenn die Auseinandersetzung mit
der modernen westlichen Philosophie eine sehr viel größere
Rolle spielt und die Frage nach einer vertieften persönlichen
Frömmigkeit, die mit zur Eigenart der „Non-Church-Bewegung"
gehört, nicht aufzutreten scheint.

Wer nach einer mehr typisch japanisch orientierten Theologie
fragt, wird diese am ersten im dritten Kapitel von
Michalsons Buch unter dem Thema „Die Theologie vom
Schmerze Gottes" beschrieben finden. „Der Begriff des Schmerzes
ist der theologische Schlüssel, der alle theologischen Fragen
erschließt" S. 61), so hat der Theologe Kazoh Kitamori gesagt.

Es handelt sich um eine Theologie der dialektischen Synthese
, in der Elemente der modernen liberalen Theologie, der
Theologie Barths, der lutherischen Theologie und Anklänge an
den Buddhismus zu einer angeblich organischen Einheit verbunden
sind.

M. spricht von zwei Polen, von denen diese Theologie bestimmt
ist. Der eine ist: „Schmerz ist das Wesen Gottes", insofern
Gott über die sündhafte Entfremdung des Menschen
von ihm Schmerz empfindet. Der andere Pol ist bezeichnet
durch den Satz: „menschliches Leid ist ein Ausdruck von Gottes
Zorn", insofern das unter den Menschen vorhandene Leid als
Symbol des Leidens Gottes verstanden wird (S. 62). Der Schmerz
Gottes über die Entfremdung des Sünders fordert zu gleicher
Zeit die Liebe heraus, mit der er seinen Zorn überwindet und
seinen Sohn sterben läßt. Diese Gedanken sind in der japanischen
Theologie selbst umstritten, weil man nicht klar sieht,
ob hier nicht vielmehr das „pathos" Gottes an Stelle seines
„Iogos" zum Ausgangspunkt des theologischen Denkens gemacht
ist. Und wo findet sich dazu die biblische Rechtfertigung?
Und die weitere Frage müßte gestellt werden, wieweit sich
Kitamai bei dem Entwurf seiner Theologie von außertheologischen
Erfahrungen des Schmerzes und des Todes hat bestimmen
lassen, durch die sein Volk in den letzten Jahrzehnten
und schon immer in seiner Geschichte hat gehen müssen, was
zum Beispiel in charakteristischer Weise in der japanischen
Tragödie zum Ausdruck kommt. Denn die Analogie spielt in
diesem theologischen Denken eine große Rolle. K. spricht von
einer „analogia doloris" im Gegensatz zur „analogia entis",
und ordnet sie der Erlösungsordnung zu. Kehrt hier das wieder,
was K. Barth mit der „analogia relationis" meint, oder kommt
es doch auf eine Seinsanalogie heraus, mit der K. umgeht?

Was immer man zur Beurteilung zu 6agen hat, wir haben
es hier mit einer Art theologischen Denkens zu tun, die sich
bewußt aus der Umklammerung durch die westliche Tradition
und die herkömmliche theologische Ausdrucksweise freimachen
und die theologische Reflexion aus der Mentalität japanischen
Denkens und japanischer geschichtlicher Erfahrung entwickeln
will.

Was in den übrigen Kapiteln über eine „Theologie der
kirchlichen Existenz", der „Theologie der Zeit der Liebe" und
über „die gegenwärtige theologische Diskussion" gesagt wird,
ist weniger nur für Japan charakteristisch. Was z. B. der systematische
Theologe Yoshitaka Kumano an Gedanken über Escha-
tologie und Geschichtlichkeit entwickelt, zeigt die große Abhängigkeit
oder zum mindesten den großen Einfluß westlicher
Theologen, vor allem Barths. Aber auch viele andere Namen,
wie der Kierkegaards im Denken Seiichi Hatanos wären hier zu
nennen. Man hat aber nicht den Eindruck, daß daraus schon
eine Eigengestalt gewachsen wäre, so hoch man im einzelnen
die theologischen Leistungen einzuschätzen hat. Aber die Eigengestalt
ist auch da, wie wir gesehen haben. Vielleicht ist ansatzweise
noch mehr davon vorhanden, wenn auch noch nicht reif
zur zusammenhängenden Formulierung; ich denke an die theologische
Arbeit des Sozialethikers Masan Takenakas und seiner
Kollegen an der Doshisha Universität in Kyoto. Hier wird —
auch im Zusammenhang mit der „Nippon Christian academy" —
die Theologie aus der Auseinandersetzung mit den gegebenen
Realitäten: der industriellen Welt, des Nihilismus, der nichtchristlichen
Religionen neu entwickelt. So könnte ihre Funktion
für das Leben der Kirche unmittelbarer wirksam werden. Hier
wäre meines Erachtens nach Stoff für ein weiteres Kapitel in
Ms. Buch gewesen, das das Bild noch vollständiger gemacht
hätte.

Bossey Hans-Heinrich Wolf

L1TVRG1EWISSENSCHAFT

Teil, Werner: Kleine Geschichte der deutschen evangelischen Kirchenmusik
. Liturgik und Hymnologie bearb. von G. E. Jahn. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt [1962]. 171 S. m. Abb. u. Notenbeisp. 8°.
Lw. DM 9.80.

Der kürzlich heimgegangene, hochverdiente Magdeburger
Kirchenmusikdirektor Werner Teil hat zusammen mit dem
Pfarrer Georg Eberhard Jahn eine bis zur Eigenwilligkeit
originelle Darstellung der Geschichte der evangelischen
Kirchenmusik in Deutschland vorgelegt, für die ein Doppeltes
charakteristisch ist. Einmal die bewußt pädagogische Zielsetzung
. Das Buch soll der Unterweisung angehender nebenberuflicher
Kirchenmusiker dienen. Man würde aber irren,
wenn man meinte, deshalb auf eine vereinfachende,
manchmal vielleicht sogar summarische Darstellung zu stoßen.
Es gehört zur pädagogischen Kunst Teils, daß er es seinen
Lesern gerade nicht leicht macht, sondern sie zur aktiven Mitarbeit
zwingt, indem er die wesentlichen Erkenntnisse an
konkreten Beispielen entwickelt und dem „Kursusteilnehmer"
dadurch zur unmittelbaren Einsicht bringt. So werden nicht
nur Kenntnisse, sondern auch Kriterien und Maßstäbe für das
eigene Urteil vermittelt. Das zweite Merkmal: Als pädagogisches
Anschauungsmaterial benutzt Teil vorwiegend das Kirchenlied,
wie es im Evangelischen Kirchengesangbuch gesammelt ist.
Die Entstehung dieser Lieder erstreckt sich über einen Zeitraum
von mehr als 1500 Jahren, in dem die musikalische Entwicklung
eine Reihe von charakteristischen Stadien durchlaufen hat. Teil
versucht nun, anhand der Lieder, vorzugsweise unter Anknüpfung
an ihre verschiedenartige Notation (gregorianische,
Mensural- und Taktnotation), Stilkriterien zu erarbeiten, die
für die jeweilige Epoche kennzeichnend sind. Kein Zweifel, daß
die Musikgeschichte dadurch, fernab vom mechanischen Einpauken
toter Zahlen, lebendige Anschaulichkeit gewinnt. Natürlich
muß bei einem solchen Vorgehen auch manches unter den
Tisch fallen, aber es geht Teil ja nicht darum, Musikhistoriker
heranzubilden, sondern Musiker, die ihre Partituren zu klingendem
Leben zu erwecken mögen. Wir verzichten deshalb auch
darauf, kritische oder ergänzende Anmerkungen zu Einzelheiten
des Buches zu machen (was bei einem so umfassenden Thema
ohnehin eine billige Sache wäre). Nur auf zwei Dinge von
grundsätzlicher Bedeutung sei der Finger gelegt. In dem Kapitel
über die Mensuralnotation (S. 17 ff.) übernimmt Teil erneut die
von Fritz Tschirch (Theologische Literaturzeitung 1958, Nr. 3)
schon vor Jahren widerlegte fable convenue, das Prinzip der
mittelalterlichen Dichtung und der Dichtung vor Opitzens
„Buch von der deutschen Poeterey" 1624 sei die Silbenzählung,
und interpretiert entsprechend das metrisch durchaus einheitlich
aufgebaute Lied EKG 125. Die Mensuralnotation muß m. E.
anders, nämlich aus der Eigenart genuin vokaler Musik erklärt
werden; damit würde auch die schematische Auffassung des
Mensurstriches als eines bloßen „Kilometersteines" korrigiert
werden und ergäben sich zum Teil andere Urteile über Einzelheiten
der Notation der Lieder, als sie Teil fällt. Nicht unbedenklich
erscheint mir auch die Überbetonung des Gegensatzes
von akzentuierten und nichtakzentuierten Noten im
Taktschema, insbesondere die so starke Hervorhebung der
ersten gegenüber der dritten Note im Viervierteltakt. Die
moderne Musik hat sich von solchen Bewertungsmaßstäben
weitgehend freigemacht.

Eine nachdenkliche Frage bleibt freilich nach der Lektüre
von Werner Teils so wertvoller und gediegener Darstellung
zurück. Das Gesangbuch dient der lebendigen Gemeinde von
heute. Ihrem Loben und Danken, ihrem Bekenntnis und Lebensgefühl
soll es Ausdruck geben. Muß ihr Singen darum nicht aus