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Ausgabe:

1964

Spalte:

780

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hötzel, Norbert

Titel/Untertitel:

Die Uroffenbarung im französischen Traditionalismus 1964

Rezensent:

Schultz, Werner

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

780

die metaphysische Urrealität: Das göttliche Erkennen ist im
Wollen mit enthalten, das Fühlen im Wollen und Erkennen
(51).

Das ist der Grundansatz, von dem aus — „spekulativ",
wie der Verf. ausdrücklich sagt — d. h. apriori und begriffsanalytisch
nicht nur die Trinitätslehre, sondern auch wesentliche
Kapitel der Schöpfung (z.B. die Zweigeschlechtlichkeit)
und der Erlösungslehre (bis hin zu Maria corredemptrix) abgeleitet
werden. Es ist für die evg. Theologie nicht ganz leicht,
hierzu Stellung zu nehmen. Sie sollte nicht von ihren andersartigen
Ansätzen her vorschnelle Zensuren erteilen. Gegenüber
der bei uns heute sehr verbreiteten Unterbetonung des Ersten
Artikels ist es z. B. durchaus eindrucksvoll, wie klar hier der
Abbildcharakter der Schöpfung sichtbar wird. Andererseits wird
hier — durch die uneingeschränkte Übertragung anthropologischer
Kategorien in die göttliche Sphäre — der Abstand von
Himmel und Erde noch weit mehr überblendet als im Thomis-
mus, und die sündige Destruktion der irdischen Natur kommt
noch weniger in den Blick (so z. B. bei den nicht ganz glücklichen
Bemühungen um das Problem der Willensfreiheit, wo
Verf. den Willensentschluß jedes freien Geschöpfes aus dem
Ganzen seines Wesens (soweit richtig), damit aber zugleich aus
der „Schöpferidee" ableitet, nach der Gott das betreffende Geschöpf
erschaffen hat (73 — 75). Soll das auch von den Fehlentscheidungen
des Sünders gelten? Dann ist entweder die
Sünde keine eigentliche Sünde mehr, oder es lauert im Hintergrund
das Gespenst der praedestinatio gemina!). — Gewichtiger
aber erscheint mir die Frage, worin hier die größere Nähe zum
griechischen Denken bestehen sollte. Gerade die Orientierung
an der göttlichen Usia jenseits der Personenunterschiede ist
doch urgriechisch! Und der — meinem Urteil nach — gewichtigste
Einwand der orthodoxen Theologie gegen die westliche
Trinitätslehre ist der, daß hier ökonomische und Wesenstrinität
verwechselt werde. Dieser Gegensatz gerade wird hier dem
Thomismus gegenüber verschärft. Wenn sich die griechische
Theologie immer wieder (mit gutem Erfolg!) gegen die gefährlichen
Konsequenzen des Modalismus und Monophysitismus zu
wehren hatte, so streift m. E. der konsequente Personalismus
des Verfassers gefährlich nahe an tritheitische Folgerungen (zumal
wenn noch ausdrücklich betont wird, der Satz des Widerspruchs
gelte „unbedingt" auch im göttlichen Bereich 35). Hilft
hier das Thomistische Denken, das sich bewußt ist, in menschlichen
Analogien zu sprechen (in Verbindung mit dem schon
lange vor Cusanus latent vorhandenen Wissen um die coinci-
dentia oppositorum) nicht doch besser, den schmalen Mittelweg
zwischen Monismus und Polytheismus zu finden?

Noch ungriechischer dürfte ohne Zweifel der scotistische
Voluntarismus sein. Wille, dem Denken übergeordnet, liegt zudem
immer auf dem Wege zur Willkür, und damit auf dem
Wege zur Prädestination, zu Fichte, zu Schopenhauer und zum
modernen Personalismus und Pluralismus. Die Begründung, Wissen
setze übergeordnete Tatbestände voraus, ist innerweltlichen
Verhältnissen entnommen — (S. 3 f.) und verkennt das von
Augustin so großartig gesehene, in seiner Konzeption urbiblische
Geheimnis der schöpferischen Erkenntnis Gottes. Es
macht gerade den Unterschied von Willkür und Wille aus, daß
dieser „weiß, was er will". Zudem führt der voluntaristische
Ansatz, auf das Vestigia-Prinzip angewandt, gerade hier zu
offensichtlichen Verschiefungen. So etwa, wenn als Analogie
für den souveränen schöpferischen Willen die (aus der Autonomie
der einzelnen Zelle entspringende) primitive Vermehrung
durch Zellteilung angeführt wird; (Im übrigen ist diese
meines W. inzwischen auch innerhalb der Biologie überholt.
(43))! Ganz abwegig dürfte die Parallelisierung von Vater —

Sohn — Geist--Wille — Denken — Fühlen---Mann — Weib —

Kind (111 ff.) sein. Gerade wenn man von dem Vestigia-Prinzip
etwas hält, wird von da aus die Grundthese des Verf.s noch
fraglicher.

Doch das dürften alles noch Symptome sein. Die eigentliche
Weichenstellung liegt m. E. in dem methodischen Ansatz:
Die eigentliche Abweichung von Augustin und Thomas liegt
darin, daß für diese das theologische Denken Interpretation

vorgegebener Inhalte war. „Crede, ut intelligas!" Hier dagegen
wird soviel wie möglich aus Begriffen konstruiert und auf die
Offenbarung nur gelegentlich rekurriert. Man wird öfter an
die Begriffskonstruktionen Schellings und Hegels erinnert, die
ja auch konsequenterweise aus Fichtes Willensmetaphysik entsprungen
sind — verschiedenartige Manifestationen des autonomen
Menschen, der kein begrenzendes Gegenüber und darum
keine vorgegebenen Wahrheiten mehr kennt. — Mir persönlich
wurde bei der Durcharbeitung dieses Buches wieder
deutlich, wie sehr die Reformation als Reaktion durch die
skotistisch und nominalistisch bestimmte Theologie des späten
Mittelalters ausgelöst wurde und wieviel näher Luther bei dem
von ihm so verkannten Thomas stand. Trotzdem sei dem Verf.
gedankt für sein anregendes Buch. Vor allem auch dafür, daß
er die schwierige Materie der Trinitätslehre aufs neue zur Diskussion
gestellt und mit neuen Akzenten versehen hat.

Hamburg Helmut E ch t e r n n c h

Hötzel, Norbert, P. Dr., OMI.: Die Uroffenbarung im französischen
Traditionalismus. München: Hueber 1962. XXXI, 404 S. gr. 8° =
Münchener Theologische Studien, hrsg. v. J. Pascher, K. Mörsdorf,
H. Tüchle, II. Systematische Abt., 24. Bd. DM 38.—.

Die Untersuchung, die von der Kath.-Theol. Fakultät der
Universität Münster als Dissertation angenommen wurde, gilt
nicht nur dem Begriff der Uroffenbarung im französischen
Traditionalismus. Sie will darüberhinaus auch in die gegenwärtige
katholische Diskussion um diesen Begriff einführen und die
Schwierigkeiten aufdecken, die in theologischer Sicht mit diesem
Begriff verbunden sind. Ihr Anliegen ist also vorwiegend ein
theologiegeschichtliches, dann aber auch ein theologie-systema-
tisches.

Der bei weitem größte Teil der Untersuchung ist ausgefüllt
mit der Darstellung des französischen Traditionalismus des
19. Jahrhunderts, in welchem die Probleme der Uroffenbarung
ein zentrales Thema bildeten. In einem ersten Kapitel weist der
Verf. auf die wachsende Besinnung auf die Uroffenbarung in der
französischen Theologie des 18. Jahrhunderts hin, um in einem
folgenden Kapitel zu zeigen, wie der strenge französische
Traditionalismus die absolute Notwendigkeit der Uroffenbarung
und der mit ihr verbundenen Urtradition systematisch zu verbinden
versucht. Die beiden folgenden Abschnitte der Untersuchung
erörtern sodann die Forschung der Uroffenbarung bei
Bautin und „die Konzentration der historischen Forschung und
die philosophisch-theologischen Auseinandersetzungen auf die
Probleme der Uroffenbarung im gemäßigten französischen
Traditionalismus, besonders bei Augustin Bonnetty" (VIII).
Von besonderem Interesse ist der letzte Teil des 4. Kapitels,
der die Stellungnahme des kirchlichen Lehramtes und des ersten
Vatikanischen Konzils ausführlich wiedergibt, die sich gegen die
traditionalistische Tendenz wendet, die Gotteserkenntnis von
der Tradition oder Offenbarung abhängig zu machen, und betont
, daß die Menschen selbst Kräfte besitzen, Gott zu erkennen
.

Der Verf. versteht die Uroffenbarung in einem besonderen
Sinn, nämlich „als unmittelbare Offenbarung Gottes an der
historischen älteren Menschheit, besonders an den Stammeltern
der Menschheit Adam und Eva" (II). Den grundlegenden Fehler
des französischen Traditionalismus sieht er darin, daß in dieser
Bewegung das Wesen der Offenbarung erkannt und die Uroffenbarung
philosophisch und soziologisch systematisiert wird,
was eine verhängnisvolle Vermengung von Natur und Gnade,
Wissen und Glauben, Philosophie und Theologie zur Folge hat.
Demgegenüber betont er mit Recht, daß die Offenbarung ein
geschichtliches Geschehen sei, das auf das Heilshandeln Gottes
zu beziehen sei. „Alles Theologische über die Uroffenbarung
muß die Uroffenbarung von ihrer wesentlichen Beziehung zur
übernatürlichen Heilsgeschichte her sehen, die nicht ein von
Menschen erdachtes System ist, sondern Hcilshandeln Gottes,
Heilsgeschehen" (384). Die sachlich gut fundierte und sehr aufschlußreiche
Untersuchung schließt mit einem Ausblick auf die
Probleme, die sich aus der Beziehung von Offenbarung und
historischer Forschung ergeben.

Kiel Werner Sc h u II 7