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Ausgabe:

1964

Spalte:

776-777

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Mynarek, Hubertus

Titel/Untertitel:

Johannes Hessens Philosophie des religiösen Erlebnisses 1964

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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mentalontologie lehnt er grundsätzlich ab, da 6ie auf einem
inneren Widerspruch des Begriffes vom „Sein" beruhe. Entweder
ist „Sein" — so sagt Nordentoft — nur ein abstrakter
Ausdruck für das, was wir im sogenannten Existenzurteil aussagen
, nämlich, daß etwas ist oder vorkommt, und in diesem
Falle ist mit „Sein" nichts vom Inhalt oder von der Verfassung
dessen, was ist, gesagt. Oder aber „Sein" bedeutet, so wie es
in der traditionellen Metaphysik der Fall ist, das Absolute,
und dann hat Sein auch Weseni und Inhalt". Heidegger will
indessen das Unmögliche, daß „Sein" beides zugleich sei. Er
polemisiert gegen die traditionelle Metaphysik, weil sie dem
Sein Inhalt und Wesen verleiht, sträubt sich aber gleichzeitig
dagegen, daß „Sein" nur das Existenzurteil „sein" sei; „Sein"
ist für Heidegger absolut. Und damit schwebt Heideggers
Ontologie, Nordentofts Meinung nach, ebenso frei in der Luft
wie jede frühere Metaphysik. Zwar behauptet Heidegger selber,
daß seine Ontologie nichts mit der Metaphysik, die das abendländische
Denken von Piaton bis Nietzsche bestimmt hat, zu
tun habe, doch widerspricht ihm Nordentoft hierin entschieden;
am stärksten, so behauptet er, erinnere Heideggers Metaphysik
an die Hegels; von Piaton, für den das Sein das Ewige und
Unveränderliche war, unterscheide sich Heidegger darin, daß
nach seiner Auffassung das Sein Geschichte habe.

Nordentofts Kritik geht weiterhin darauf aus, daß alle
Gegensätze, die zum Dasein gehören, die Gegensätze zwischen
gut und böse, zwischen wahr und falsch, sich bei Heidegger auflösen
, und daß sein Versuch, sie zu retten, indem er einen
Gegensatz zwischen Sein und Schein in das Sein legt, vergeblich
sei. Heidegger will damit die ontologische Voraussetzung für
Religion und Ethik schaffen, doch ist es die Auffassung von
Nordentoft, daß wenn es in der heideggerschen Lehre vom Sein
keinen Platz für die Gegensätze unseres Daseins gibt, auch kein
Platz für Ethik und Religion darin enthalten sein kann. Endlich
behauptet Nordentoft, daß das existentielle Interesse, daß alles
was ist, am Absoluten teilhaben müsse, im Grunde genommen
Ausdruck des Bestrebens sei, sein eigenes Dasein bestätigt zu
wissen.

Die theologische Motivierung seiner Einstellung zu Heidegger
schimmert hier und da in Nordentofts Ausführungen
durch. Im wesentlichen ist der Leser jedoch darauf angewiesen,
sich Nordentofts eigene Theologie aus seiner Polemik gegen
Heidegger zusammenzureimen. Es hätte zur Klarheit der Sachlage
beigetragen, wenn Nordentoft die theologische Auffassung
des Verhältnisses von Erkenntnis und Existenz, die seiner Kritik
über die Art der Mitteilung in „Sein und Zeit" zugrundeliegt,
entfaltet hätte, wie es auch wünschenswert gewesen wäre,
Nordentoft hätte deutlich gemacht, wie die theologische Auffassung
vom Verhältnis von Glaube und Ontologie aussieht,
von der aus er seine Kritik an der zweiten Phase von Heideggers
Philosophie geübt hat. Offenbar gründet sich seine theologische
Position, von der aus er seinen Angriff auf die zweite Phase
von Heidegger führt, auf die Meinung, daß das Verhältnis
zwischen Glaube und Ontologie ein illegitimes Problem sei.

Damit nun wären wir vor die Frage gestellt, ob die theologische
Aussage, daß alles, was ist, erschaffen sei, fundamental-
ontologisch ist: gewiß in andrer Weise verstanden, als dies bei
Heidegger der Fall ist, aber doch so, daß prinzipiell von einer
fundamentalontologischen Behauptung die Rede sein könne;
oder — ob die Aussage nur als Glaubensaussage bestehe vnd als
solche grundsätzlich verschieden sei von einer fundamentalontologischen
Aussage? Ist letzteres der Fall, so stünden wir
vor der merkwürdigen Tatsache, daß eine Darlegung der christlichen
Verkündigung und des christlichen Glaubens eine Menge
Aussagen enthält, die ihrem Wortlaut und Inhalt nach fundamen-
talontologisch sind, für den Eingeweihten jedoch unontologisch
werden müssen, weil sie sich in der Verkündigung und im Bekenntnis
darbieten. Hat man aber nicht damit — und diese
Frage wäre an Nordentoft zu richten — die christliche Verkündigung
und den christlichen Glauben esoterisch gemacht? Und
zeigt sich dies nicht gerade an der auffallenden Erscheinung, daß
der Theologe, der die ontologischen Aussagen im christlichen
Glauben in die Sonderklasse der Verkündigung und des Bekenntnisses
versetzt hat, sich damit der Debatte mit anderen, die sich
auch ontologich äußern und die den Wortlaut und den Inhalt
der ontologischen Aussagen in der Verkündigung ernst nehmen,
enthoben meint?

Haben Glaube und Ontologie nichts miteinander zu tun —
und Nordentoft meint, sie hätten dies nicht —, so hat er mit
Heidegger keine gemeinsamen Probleme. Darum kritisiert er
Heidegger auch nicht wegen verkehrter Problemstellung, sondern
für die von ihm aufgestellten Probleme schlechthin. Ich kann
mich Nordentoft hier nicht anschließen; bei aller Uneinigkeit
sind die Probleme, mit denen Heidegger arbeitet, auch die Probleme
der Theologen.

In seiner Argumentation gegen Heidegger geht Nordentoft
von einer bestimmten Alternative aus: Entweder spricht man
vom Sein in der alltäglichen Sprache, es bezeichnet dann nur
dies, daß etwas vorkommt, und ist seiner Bedeutung entleert
und abstrakt gebraucht — oder man spricht vom Sein 'im
regionalontologischen Sinne, nämlich von einer bestimmten
Region der Seinsstruktur des Seienden; so etwas aber wie
Fundamentalontologie gibt es überhaupt nicht. — Und gerade
um Fundamentalontologie geht es bei Heideggerl Das Mißverhältnis
zwischen Nordentofts und Heideggers Anliegen kann
kaum deutlicher hervortreten.

Auch Wittgenstein hat sich die Frage nach der Grenze des
Aussagbaren gestellt. Er sagt im „Tractatus", daß man sich sehr
wohl eine mystische Sprache vorstellen könnte, die sich damit
beschäftigt, daß die Dinge sind, und nicht damit, wie sie sind
und was sie sind. Selber hat er sich einen solchen Versuch nicht
zugemutet. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man
schweigen" beschließt er. Nordentoft ist gleicher Meinung, und
dies ist seine Grundhaltung, von der aus er sich mit Heidegger
beschäftigt. Es heißt bei ihm auf S. 169: „Es muß eine echtere
philosophische Haltung sein, den Begriff Dasein als unerklärlich
stehen zu lassen und sich mit dem Verständnis zu begnügen, das
man den Phänomenen entnehmen kann, wenn man ihnen damit
auch nicht auf den Grund gehen kann". Eine solche Auffassung
dürfte schlechthin unvereinbar sein mit dem, was Heidegger
unter Philosophie versteht.

Aarhus K. E. Logstrup

Mynarek, Hubertus: Johannes Hessens Philosophie des religiösen
Erlebnisses. München-Paderborn-Wien: Schöningh 1963. XII, 166 S.
8°. Kart. DM 12.-.

M. entwickelt in kritischem Anschluß an J. Hessen eine
Philosophie des religiösen Erlebnisses. Eine Philosophie, nicht
eine Psychologie! Der Philosoph stellt im Unterschied zum
Psychologen die Wahrheitsfrage: „Ist die Überzeugung des
religiös Erlebenden von der wirklichen Existenz des Göttlichen
. . . ausschließlich ein subjektives Faktum oder gibt es . ..
ein transzendentes Wirkliches?" (l). Hessen behauptet die
objektiv-ontologische Unmittelbarkeit, die unbedingte und unerschütterliche
Gewißheit sowie die auf ihr fußende Selbstbegründung
des religiösen Erlebnisses als solchen (8). M. stellt
nach einer Einleitung, die in das Problem einführt und Hessens
Lebenswerk würdigt, (1—15) zunächst die Hessensche Philosophie
des religiösen Erlebnisses dar (17—71) und beurteilt sie dann
(73—166). Die Darstellung zeigt, daß Hessen, der mit Nachdruck
gegenüber dem Neuthomismus einen Augustinismus vertritt und
dabei u. a. Gedanken von R. Otto, M. Scheler und aus der
Wertphilosophie aufnimmt, mit seiner bereits erwähnten These in
die Nähe des kirchenamtlich verurteilten „Ontologismus" gerät
(64). Die Kritik richtet sich gegen eine Überbewertung des
religiösen Erlebnisses bei Hessen: der Glaube (= Überzeugung
vom Dasein Gottes) entstehe faktisch in vielen Fällen ohne
religiöses Erlebnis auf dem Wege über die ratio oder den Willen,
und zumindest ein keimhafter Glaube sei wahrscheinlich „unerläßliche
Voraussetzung des religiösen Erlebnisses" (106). Ferner
habe im religiösen Erlebnis trotz des quantitativ stärksten Anteils
des Gefühls der Intellekt den Primat (126), und nicht
alle, sondern nur die religiösen Erlebnisse besonders begnadeter
Menschen seien „objektiv-ontologisch unmittelbare Gotteserfahrungen
", mit denen „eine unmittelbare und unerschütter-