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Ausgabe:

1964

Spalte:

773-776

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nordentoft, Søren

Titel/Untertitel:

Heideggers opgør med den filosofiske tradition kritisk belyst 1964

Rezensent:

Logstrup, K. E

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773

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

774

Außerdem wird man auch Marcel gegenüber, wie vielen Existenzphilosophen
gegenüber, die Frage aufwerfen müssen, ob die
Existenz des Menschen nicht verzeichnet wird, wenn zu sehr die
Situationen der Grenze, der Schwäche, der Not, der Verzweiflung
zum Ausgangspunkt genommen werden. Denker wie Bollnow (in
der Theologie: Bonhoeffer) haben hier längst widersprochen und
auch die Erfüllungserlebnisse, Glück, Freude, Erfolge, Begeisterung
als konstitutiv für die Existenz des Mensdien behauptet.
Ansätze hierhin bei Marcel sollen gewiß nicht verkannt werden
(s. etwa S. 52 ff.), wie ja schon der Grundbegriff des Engagements
ein Gefälle in diese Richtung hin hat und auch geeignet
ist, den Kreis der bloß privat-persönlichen Existenzprobleme zu
«prengen (doch nicht ohne Wahrheitsmoment das Eingangszitat
auf S. 142 vom „Privatleben" als Spiegel des Unendlichen).

Wiederum steht Marcel so sehr in der Tradition eines
Pascal (wie — hinsichtlich des ersten Einwandes — eines Des-
cartes), daß die Grundstimmung wie das Grundanliegen doch von
etwa folgendem Passus (aus dem vierten Aufsatz) ausgedrückt
zu sein scheinen:

„Die Verzweiflung, die sich eines Kindes im Verlaufe einer
Reise oder eines Umzugs bemächtigen kann, die namenlose
Traurigkeit, die wir alle in bestimmten Hotelzimmern empfunden
haben, wo wir das Gefühl hatten, buchstäblich bei niemandem
zu sein, — alle diese Erfahrungen, die der Philosoph bis zu
den letzten Jahren hin nicht für würdig befand in Erwägung zu
ziehen, erhalten von diesem Gesichtspunkt aus eine unerwartete
Bedeutsamkeit und Tragweite. Sie machen es der Reflexion in
irgendeiner Weise möglich, zum vitalen oder sogar religiösen Element
vorzudringen, das sich hinter einer Präposition ohne jeden
Nimbus versteckt" (91 f.).

Berlin Hans-Georg F r i t z s c h e

Nordentoft, Soren: Heideggeri opger med den filoiofiske tradi-
tion kritisk belyst. Kopenhagen: Han« Reitzel 1961. 191 S., 1 Taf.
gr. 8°. Kart. Dan. Kr. 20.—.

Dr. Nordentoft gibt uns in seiner Abhandlung eine zuverlässige
Darstellung der beiden Phasen in Heideggers Philosophie.
Vor allem wird der Leser nicht mit ausgedehnten Zitaten abgespeist
, sondern er erhält -eine selbständig durchdachte Wiedergabe
der Gedanken Heideggers. Zudem ist die Darstellung unbeschwert
und klar formuliert, was von Nordentofts Beherrschung
des Stoffes zeugt. Alles in allem eine gewissenhafte und gründliche
Arbeit, ohne überflüssige Breite. Ein guter Griff ist die
Wahl des leitenden Gesichtspunktes, der für die erste Phase von
Heideggers Philosophie angelegt wird, nämlich die Ausformung
der Faktizität durch die Freiheit. Ausgezeichnet ist am Anfang
des zweiten Teils die Darstellung der Akzentverschiebung in
den beiden Phasen. Was die zweite Phase angeht, so ist verständlicherweise
vieles ausgelassen, vielleicht auch zu vieles;
das zentrale Problem jedoch ist zweifellos festgehalten.

Nordentofts Kritik an Heideggers erster Phase ist durchaus
gemäßigt. Er ist mit den Analysen in „Sein und Zeit", so wie
auch Bultmann, einverstanden und stimmt ihnen zu. Sein
einziger Einwand ist, daß Heidegger die Ergebnisse seiner Untersuchungen
als intersubjektive Erkenntnis und nicht als seine
eigene höchst persönliche Auffassung vorlegt. Wenn nämlich die
Existenz — so sagt Nordentoft — Freiheit, Verantwortung, Wahl
und Entscheidung, d. h. lauter Subjektivität ist, 60 muß die Erkenntnis
, daß dem so ist, ebenfalls subjektiv vorgetragen
werden, da ja in einer Erkenntnis, die intersubjektiv sein will,
das Erkannte in seiner Subjektivität rückgängig gemacht würde.
Allerdings sei Heideggers Anspruch auf Intersubjektivität von
seiner Erkenntnis von der Ausrichtung seiner Existenzanalyse
Her verständlich, die trotz der Impulse von Kierkegaard eben
nicht kierkegaardisch-existentiell, sondern ontologisch angelegt
sei. Nordentofts Einwand1 gegen die erste Phase in Heideggers
Philosophie ist also ihrer Argumentation nach eine Bestätigung
für Heideggers eigene Auffassung, daß zwischen den beiden
Phasen seiner Philosophie kein Bruch bestehe. Die Resultate der
heideggerschen Existenzanalyse seien richtig, meint Nordentoft
, nur die Form, in der sie gezeigt werden, sei verkehrt,
weswegen er auch das Wörtchen „richtig" in Gänsefüßchen

setzt. Die Angriffe auf Heideggers Existenzanalyse, daß sie der
Ausdruck einer bestimmten Lebensanschauung sei, weist
Nordentoft zurück, auch hier gibt er Heidegger selber recht
und meint, daß es sich um rein formale Strukturanalysen
handelt, die keine bestimmte Lebensanschauung involvieren.

Nordentofts Kritik an der Art und Weise, wie Heidegger
seine Existenzanalyse vorlegt, enthält indessen, soweit ich sehe,
eine logische Unklarheit. Einmal meint Nordentoft, eine formale
Strukturanalyse sei prinzipiell möglich, so auf S. 104 und 107,
wo es geradezu heißt, „wenn auch diese formalen Lebensgegebenheiten
nicht im strengen Sinne nachweisbar sind, so darf
sich doch eine philosophische Analyse ohne Anmaßung damit
beschäftigen". Nur eben ist es keine Wissenschaft, und das Verkehrte
bei Heidegger sei bloß, daß er seine Philosophie, seine
Existenzanalyse, für Wissenschaft ausgibt. Ein andermal meint
Nordentoft, daß die Bejahung der Freiheit des menschlichen
Daseins jegliches Philosophieren verböte, weil Philosophie
direkte Mitteilung, ein rein intellektuelles Unterfangen sei;
dies auf S. 99. Das Verkehrte bei Heidgger sei demzufolge, daß
er als Philosophie vorlegt, was er als Erkenntnis oder Verkündigung
hätte ausdrücken sollen. Der eine kritische Einwand
hebt doch hier den anderen auf: Verhält es sich so, daß die
Freiheit des menschlichen Daseins die direkte Form der
Mitteilung, so wie sie in der Philosophie vorliegt, verbietet,
so kann das Verkehrte bei Heidegger unmöglich nur darin bestehen
, daß er sich im Irrtum über den nicht-wissenschaftlichen
Charakter seiner sonst zulässigen Analyse befindet, sondern
dann ist es eben doch eine „Anmaßung", wenn sich die philosophische
Analyse mit den formalen Lebensgegebenheiten abgibt.

Auf S. 101 sagt Nordentoft: „Die einzige, wirklich konsequente
Form einer Beschäftigung mit der Existenzfrage ist die
sokratische Mäeutik und die kierkegaardsche indirekte Mitteilung
. Ist man nicht imstande so hohen Idealen nachzuleben,
so muß man wenigstens, außer den Abstand zuzugeben, seine
mehr schulmäßig-theologischen Arbeiten mit der Andeutung
versehen, daß das, was hier vorgelegt wird, nicht den Anspruch
erheben kann, mehr und anderes als Postulat zu sein (was
hiermit hinsichtlich dieses Buches getan sei)." Offenbar gibt es
also drei Verfahren: 1) Heideggers direkte philosophische Mitteilung
, die unzulässig ist, 2) Kierkegaards indirekte Mitteilung
, die vorbildlich ist, 3) Nordentofts eigenes Verfahren, das
beides zugleich, unzulässig und vorbildlich ist — und zwar insofern
, als er einräumt, de facto wie Heidegger vorzugehen,
im Grunde genommen aber wie Kierkegaard vorgehen müßte.
Was Nordentoft von Heidegger unterscheidet, ist also der
Zusatz, daß er wie Kierkegaard verfahren müßte, und was
Nordentoft von Kierkegaard unterscheidet, ist, daß er de facto
wie Heidegger arbeitet!

Noch eines, ehe ich Nordentofts Auseinandersetzung mit
„Sein und Zeit" verlasse. Aus S. 111 greift er dem Einwand
voraus, daß seine Kritik an Heideggers Anspruch, mit der
Existenzanalyse eine sichere und allgemeingültige philosophische
Erkenntnis gegeben zu haben, auch Bultmanns Verwendung
der heideggerschen Existenzbestimmungen betreffen müßte.
Nordentofts Abweisen dieser Folgerung wäre aber nur dann berechtigt
, wenn seine Kritik sich darauf beschränkte, daß
Heidegger seine philosophische Analyse für wissenschaftlich
erklärt. Dann brauchte Nordentoft nichts dagegen einzuwenden
zu haben, daß Bultmann Heideggers Existenzanalyse verwendet,
da sie den Vorteil hat, aufzuzeigen, „daß das alltägliche Dasein
ursprünglicher und wichtiger ist als alle Wissenschaft". Da aber,
wie wir sahen, Nordentofts Angriff auf Heidegger viel tiefer
zielt und er es ihm zum Vorwurf macht, daß er Philosophie
und Phänomenologie treibt, anstatt sich in der indirekten Mitteilung
, im Bekenntnis oder in der Verkündigung zu äußern,
hätte er auch Bultmanns existentiale Interpretation verwerfen
müssen. Auch hier tritt wieder die logische Unklarheit in
Nordentofts Kritik in Erscheinung.

Während Nordentoft, ungeachtet seiner kritischen Einwendungen
, „Sein und Zeit" positiv beurteilt, läßt er in der
zweiten Phase von Heideggers Philosophie lediglich dessen
philosophisch-historische Analysen gelten. Heideggers Funda-