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Ausgabe:

1964

Spalte:

770-773

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Marcel, Gabriel

Titel/Untertitel:

Schöpferische Treue 1964

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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können, fehlerhaft bleiben mußte. Die Untersuchungen von
Magirius füllen eine damit angedeutete wesentliche Lücke in der
bisherigen Forschung nach verschiedenen Seiten aus. Er konnte
auf den Ergebnissen von Grabungen fußen, die 195 3 im Auftrag
des Instituts für Denkmalspflege durch W. Tscheschner begonnen
wurden. An ihnen hatte der Autor seit 1956 maßgeblich teil.

Der erste und umfassendste Hauptteil der Darstellung behandelt
(S. 17—173) Kloster Altzella im Mittelalter. Er beginnt mit einer
historischen Untersuchung über Gründung und Besiedlungsgeschichte
von Altzella.

In der Darstellung der Klosteranlage wird auf die theologischen
und liturgischen Voraussetzungen der Plankonzeption hingewiesen:
Benedikts Bauregeln und Bernhards von Clairvaux Interpretation der
typisch zisterziensischen Talsituation. Die jeweiligen Sonderheiten
einer zisterziensischen Klosteranlage sind Auseinandersetzungen zwischen
diesen theologischen Grundlagen und den landschaftlichen Gegebenheiten
.

Das längste und bedeutsamste Kapitel ist begreiflicherweise der
Klosterkirche gewidmet. Für ihre Baugeschichte wird zuerst die
Problematik der Bauzeit geklärt. Vermutlich erst im Todesjahr des
Stifters, 1190, war das Presbyterium vollendet oder ging der Fertigstellung
entgegen, da es von vornherein als Grabesort des Stifters und
seiner Familie vorgesehen war. Die Schlußweihe von 1198 galt dem
im Wesentlichen vollendeten Bau.

Bei Behandlung der liturgischen Voraussetzungen für die Baugestaltung
wird die Bedeutung der in Altzella gegebenen Dreiportalanlage
der Westfront als Laienportal im Norden, Einzugsportal der
Prozession in der Mitte und Gästeportal im Süden einleuchtend aus
der Raumfolge abgeleitet und mit Parallelfällen verglichen.

Ohne daß mangels ausreichender Beweise das Gewölbesystem
einwandfrei rekonstruiert werden kann, reichen die Befunde und ihre
Parallelen aus, um einen bestimmten mitteldeutschen zisterziensischen
Kirchentyp zu erkennen. Die Frage nach dem typisch Zisterziensischen
in Altzella spielt bei der Fixierung der entwicklungsgeschichtlichen
Stellung des Staffelchores eine gravierende Rolle, wobei in einem
Exkurs die verschiedenen Entwicklungsreihen veranschaulicht werden.

Ausgehend von den frühromantischen bildlichen Darstellungen
der Klosterruinen erschließt M. die Rekonstruktion der Außenarchitektur
, die sich dem Verfallsstadium von ca. 1800 entsprechend auf
die Westseite konzentrieren muß. Hier werden Sonderheiten erkannt,
die Verbindungen zu deutschen und italienischen Zisterzienserbauten
in Backsteinbauweise herbeiführen.

Die weiteren Darlegungen gelten dem Klausurbereich. Die Rekonstruktion
des Kreuzganges konnte sich auf Grabungsbefunde
stützen.

Schwierig zu klären und von M. vorsichtig erwogen ist die Bedeutung
der Räume, die sich östlich der Klausur in Grundmauerzügen
zu erkennen geben.

Vom nordwestlich der Klausur gelegenen Wirtschaftbereich des
Klosters finden sich noch heute die charaktervollen Ruinen zweier
im rechten Winkel zusammenstoßenden Scheunen. Beide Trakte gehören
nach dem stilistischen Befund in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts
.

Vervollständigt wird schließlich die baugeschichtliche Darstellung
der ursprünglichen Anlage durch die Würdigung der außerordentlich
umfangreichen und großenteils gut erhaltenen Klostermauer mit
ihrem einzigartigen riesigen 6pätromanischen Säulengewändeportal, zu
dem ursprünglich ein Giebel, eine benachbarte Pförtnerei, ein gemauerter
Torweg und eine Fremdenkapelle gehörten.

Der zweite Hauptabschnitt gilt der Baugeschichte und Gestalt
des Klosters im 14. Jahrhundert, wobei besonders die 1339 — 1349
südwestlich der Kirche angegliederte Andreaskapelle mit den jüngeren
Wettincrgräbern, der mutmaßlich gleichzeitige Westgiebel- und Dadi-
umbau der Kirche (Brand 1 33 5?) und der Bau der südöstlich von ihr
gelegenen sechseckigen Kapelle (1 3 57 geweiht) behandelt werden.

Die Baugeschichte Altzellas nach der Säkularisation von 1540 ist
nur noch ein schneller Verfall, der von der Landesherrschaft nicht
einmal aufzuhalten versucht wurde. Das Inventar der Kirche wurde
mit der Beschlagnahme der Kleinodien 1541 und der Entfernung von
Altären 1542 zerstreut. Nach dem Brand der Nossener Kirche 1577
folgte zur Gewinnung von Material für deren Neubau für Altzella
eine zweite Verwüstungswelle. 1 583 gab der Kurfürst die Zustimmung
zum Abbruch der inzwischen verwahrlosten Klosterkirche.

1676 beschloß Kurfürst Johann Georg IL aus genealogischem
Interesse die Ausgrabung der Wettinergräber und die Errichtung einer
Grabkapelle anstelle de6 einstigen Sanktuariums. Die Baupläne gehen
auf Wolf Casper von Klengel zurück. Fertiggestellt wurde das im Rohbau
belassene Mausoleum erst durch den Umbau unter dem Architekten
Christian Adolph Franck 1787—95, dem 1797—1804 nach nochmaligen
Reparaturen die Beschaffung der Innenausstattung folgte.

Ein reichhaltiges und umfangreiches Literaturverzeichnis, das in
Fußnoten zum Text als wissenschaftlicher Hilfsapparat zitiert wird und
501 Titel vermerkt, läßt Umfang und Sorgsamkeit der äußerst fleißigen
wissenschaftlichen Arbeit erkennen. Auf 57 Bildtafeln werden
155 Fotos veröffentlicht. Ihnen schließen 6ich die Tafeln 58 — 84
— meist Klapptafeln — mit den zeichnerischen Bauaufnahmen an.

Die Publikation der architektur-, kultur- und landesgeschichtlich
so vielseitigen aufschlußreichen Forschungsarbeit
kann mit aufrichtigem Dank begrüßt werden.

Görlitz Ernst-Heinz Lemper

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Marcel, Gabriel: Schöpferisdie Treue. Übertr. n. d. 5. Aufl. von
U. B e h 1 e r. München-Paderborn-Wien: Schöningh; Zürich: Thomas
-Verlag [1963]. 235 S. 8°. Lw. DM 18.80.

Es handelt sich um eine Sammlung von dreizehn Aufsätzen,
zumeist aus den dreißiger Jahren und auch die politische
Problematik im damaligen Frankreich widerspiegelnd, die eine
vorzügliche Einführung in das Philosophieren Gabriel Marcels
darstellen. Gemeinsam ist ihnen die Tendenz, die philosophischen
Probleme aus konkreten Situationen des alltäglichen Lebens
zu entwickeln und hierbei das personale Erleben, das Ich-Du-
Gegenüber von Mensch zu Mensch, zum Ausgangspunkt zu
machen. Dies ist es auch, was Marcel als Existenzphilosophie versteht
. Nur in der Perspektive meines Erlebens der Welt ist
ein Vorstoß in die eigentlich „metaphysischen" Probleme möglich
, nicht rein theoretisch und abstrakt („entpersonalisiert")
oder aus bloßer „Zuschauerhaltung". Und das bedeutet auch, daß
konkretes Erleben nicht nur persönliche Erfahrung, sondern auch
persönliche Entscheidung („Engagement") meint. In diesem
Sinne schreibt Marcel selbst diese Aufsätze als Christ katholischer
Konfession, allerdings in dem Bestreben, „unter die scholastischen
Formeln zu bohren, mit denen man (den nähere Auskunft
Fordernden) so oft abspeist" (82) und „in gewisser Weise
weiter bei den Ungläubigen engagiert" (118, vgl. den sechsten
Aufsatz). Aufschlußreich auch S. 180: seine Zustimmung zur Bekennenden
Kirche in Deutschland.

Ehe am Schluß der Besprechung zwei kritische Anmerkungen
gestattet sein mögen, soll im folgenden versucht werden, einiges
der Gedankengänge jener 13 Aufsätze nachzuskizzieren, wobei
es natürlich nicht möglich ist, auch den lebendigen und essayhaften
Stil widerzuspiegeln (außer in Zitaten).

Das inkarnierte Sein, der Mittelpunkt der
metaphysischen Reflexion. — Marcel greift hier das
alte Problem: Geist und Körper, Seele und ihr Gehäuse auf, löst es
aber nicht im Sinne Descartes' (vom Bewußtsein des Denkens der
Existenz gewiß zu werden, vgl. 68 f.), sondern setzt die real ,in der
Welt' existierende (ganze) Person, das Ich in seinen Körper
,, inkarniert" (25), an den Anfang, mit welchem „personalisti-
schen" (aber nicht materialistischen) Ansatz zugleich das Ich-Du-
Gegenüber fundamental wird; denn Ich gibt es nur in der Korrelation
zum Du.

Dieser Personalismus wird als so ursprünglich erkannt, daß das
Du sogar als Kategorie zum Verständnis Gottes erwogen wird:

„Ich war immer der Ansicht, daß die Attribute Gottes, so wie
sie die rationale Theologie definiert: die Einfachheit, die Un-
veränderlichkeit usw., für uns nur dann einen Wert erhalten, wenn
wir darin die Züge eines Du wiedererkennen" (42).

Zugehörigkeit und Verfügbarkeit. — Es handelt
sich hier um eine phänomenologische Untersuchung, was das Verlangen
, sich selbst gehören zu wollen, bedeutet; und die
Tendenz ist, der Problematik nachzugehen, daß besonders schöpferische
Menschen oft nicht mehr ,von sich selbst loskommen'. Es ist sublimierter
Egoismus, wenn man nicht mehr fähig ist zum Gefühl der Bewunderung
. „Das Wesen der Bewunderung besteht darin, uns von uns selbst
dem Denken an uns selbst, loszureißen" (52). Dazu bedeutet Bewunderung
.Erhebung', die existential ebenso Bedeutung verdient wie die
Verzweiflung.

„Auch Gewohnheit, sich zu sehr auf sich 6elbst zu konzentrieren
", kann jemanden unfähig zur „Antwort" (54) machen. Andererseits
kann „. . . die Tatsache, sich plötzlich in das Leben eines
anderen hineinzuversenken und irgendwie gezwungen zu sein, mit
seinen Augen zu sehen, das einzige Mittel (sein), wenigstens für
einige Augenblicke jene Obsession des eigenen Ich zu zerstreuen, von
der man nicht mehr loszukommen schien" (55).