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Ausgabe:

1964

Spalte:

765-766

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Ullmann, Walter

Titel/Untertitel:

Principles of government and politics in the Middle Ages 1964

Rezensent:

Bork, Ruth

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Seite 1

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765

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

766

U 11 m a n n, Walter, Litt. D.: Principles of Government and Politics
in the Middle Ages. London: Methuen & Co. [1961]. 320 S.,
1 Taf. 8". Lw. 30 s.

Der durch seine früheren Abhandlungen über rechts- und
kirchengeschichtliche Fragen (besonders durch das 1960 in
deutscher Sprache erschienene Buch „Die Machtstellung des
Papsttums im MA") bekannte englische Verf. untersucht anhand
reichen Quellenmaterials die mittelalterlichen Regierungsformen,
wie sie sich aus der Machtstellung des Papsttums, des Königtums
und des Volkes ergaben. In 3 Hauptteilen legt er gemeinsame
wie unterschiedliche Momente ihrer Prinzipien dar.
Um den mittelalterlichen Konflikten und Problemen in ihrer
Verknüpfung von politischer Souveränität und Jurisdiktion
näherzukommen, bedient er sich sowohl geschichts- wie rechtswissenschaftlicher
Methoden. Mittels eines analytischen Verfahrens
stellt er nicht nur die eigentümlichen Merkmale jener
Herrschaftsformen fest, sondern geht auch ihrer historischen
Entwicklung sowie den Gründen ihres Aufstiegs und Verfalls
nach. Dabei geht es dem Verf. eher um einen groß angelegten
Aufriß, in dem die tragenden Prinzipien sichtbar werden, als
um Detailfragen. Das Prinzip der Autorität steht im Mittelpunkt
der Betrachtungen. Bei der Frage, wie es zu dieser Autorität
gekommen sei, wer sie verkörpert habe und welche Auswirkungen
sie zeitigte, wird die Verschiedenartigkeit jener
mittelalterlichen Systeme deutlich, denen sonst soviel Grundsätzliches
gemeinsam ist. — U. spricht von einer d e s c e n d-
i n g oder theoeratie coneeption von Regierung und
Gesetz, wie sie hauptsächlich beim Papsttum, z. T. auch beim
Königtum uns begegne und von einer ascending oder
Populist coneeption, wie sie v. a. im späteren MA
bei den Regierungsformen, deren Macht vom Volke ausging,
sich zeige. Handelt es sich bei der ersteren um ein Herabsteigen
der Macht von der durch Gott beauftragten herrschenden
Autorität über die Regierungsorgane herab zum Volk, so bei
der letzteren gleichsam um eine aufsteigende Linie, bei der die
regierenden Organe dem Volk verantwortlich sind.

Der 1. Teil gilt der Untersuchung des Papsttums als Institution
sowie seiner Begründung auf die Bibel und das römische
Recht. Bei dem Primatsanspruch Roms geht das Papsttum, das
sich selbst als göttliche Gründung versteht, von dem Petrusbefehl
Christi (Mt. 16, 18 f.) aus. Die Festlegung des römischpäpstlichen
Primats als eines Herrschaftsprinzips konnte nicht
schwer fallen in der vom Geist römischer Gesetze getragenen
Umwelt der römischen Bischöfe. Sie betrachteten sich rechtlich
gesehen als Erben und Nachfolger Petri. Aufgrund einer juristisch
aufweisbaren Nachfolgerkette stellte der Papst innerhalb
der Kirche als einer juristisch faßbaren und lenkbaren Körperschaft
die höchste, gleichsam von Gott eingesetzte Autorität
dar, die der gesamten Christenheit bestimmte Lebensbedingungen
, eine norma recte vivendi, vorschreiben konnte. Denn die
Christenheit, in der Kirche als dem corpus Christi vereint,
mußte nach römischer Auffassung von denen geleitet werden,
die die Kenntnis der Bibel und der Gesetze besaßen und damit
zur Ausübung der Macht befähigt waren. — Von allgemeinem
Interesse sind hier der Aufweis gleichen Gedankenguts im
weltlichen wie im kirchenlichen Bereich wie überhaupt die Vielfalt
und Verflochtenheit geistlicher und weltlicher Ideen des
ausgehenden römischen Altertums und ihrer Verwendung für
die päpstliche Doktrin.

Im 2. Teil zeigt der Verf. die Veränderungen, die innerhalb
der monarchischen Herrschaftsformen im MA zu beobachten
sind. Von den anfangs im germanischen Königtum vorhandenen
Anzeichen einer auf das Volk zurückgehenden Macht
blieb, als sich von der Kirche gefördert, die Auffassung eines
Königtums allein von Gottes Gnaden durchsetzte, wenig übrig.
Der durch die Salbung dem König zugesprochene character
indelebilis ließ den Monarchen als Statthalter Gottes auf Erden
erscheinen, dem das Volk anvertraut war. Interessant dabei
sind die Ausführungen über die von der Kirche beanspruchte
Oberherrschaft aufgrund der Behauptung, daß Christus dem
Monarchen das Königtum nur durch päpstliche Intervention
verliehen habe. Die Zweischneidigkeit jener Ansichten sowohl
für das Königtum, das dadurch vom Volke unabhängig, von der

Kirche aber bevormundet wurde, wie auch für das Papsttum,
das durch das Gottesgnadentum der Könige sich selber mit ins
politische Spiel zu bringen, nicht aber deren wachsender Rivalität
zu entgehen vermochte, ist bekannt, wird hier aber vom
Verf. besonders instruktiv anhand reicher Quellenzitate und
juristischer wie geschichtlicher Erwägungen dargetan. Auch die
lehnsrechtlichen Einrichtungen des Feudalsystems, die dem souveränen
theokratischen Herrschertum manche Beschränkungen
auferlegten, werden eingehend erörtert.

Im 3. Teil behanldelt U. Ursachen und Verlauf jener Wandlungen
, durch die die theokratischen Herrschaftsformen des
Papsttums und des Königtums allmählich von quasi-demokra-
tischen Formen verdrängt wurden. Er verdeutlicht in eingehenden
Untersuchungen, wie die von Aristoteles übernommenen
und von Thomas von Aquino ausgeformten Gedankengänge des
Naturrechts und der Staatslehre die erstarrten mittelalterlichen
Denkkategorien ablösten, Natur- und Geisteswissenschaften neu
belebten und damit bahnbrechend wurden auf dem Gebiet der
Politik wie auch dem der Literatur und Kultur. Quelle der
Macht war nicht länger nur der Auftrag Christi an Petrus,
vielmehr galt die göttliche Ordnung im natürlichen wie übernatürlichen
Bereich als der Angelpunkt allen Seins. U. weist
hier auf die Bedeutung Thomas' für das spätmittelalterliche
Geistesleben und seinen Einfluß auf Männer wie Dante, Johann
von Paris, Bartolus und Marsilius von Padua hin, denen er unbewußt
für ihre antihierokratischen Tendenzen eine Fülle von
Material geliefert habe. Dies wie auch die unabhängig von
jenen Einflüssen damals sich ausbreitenden Ideen der Naturwissenschaftler
(U. nennt die „Oxford naturalists' Baconi,
Grosseteste u. a.) sowie die zahlreichen ländlichen und städtischen
Handwerker-, Kaufmanns- u. a. Interessenverbände, die
Gilden, Brüderschaften und Kommunen, lösten jene Bewegung
aus, die längst unter der Oberfläche sich regte, jetzt aber in den
Forderungen jener Gruppen auf wirtschaftlichem Gebiet, den
Thesen der Universitätsgelehrten im politischen Bereich sowie
den konziliaristischen Bestrebungen innerhalb der Kirche ihren
Ausdruck fand.

Es ist eine Fülle von Material und 6orgsam erarbeiteter
[Überlegungen, die der Verf. dem Leser vor Augen führt. Wenn
auch manches zu 6tark schematisiert erscheint, wie etwa die Einführung
der descending und der ascendinig coneeption, so
schafft sich U. damit doch ein Ordnungsprinzip, mit dessen
Hilfe er die verwirrende Vielfalt der geistigen und politischen
Erscheinungen des Mittelalters zu erhellen vermag. Wie weit
der Verf. als Katholik die Begründung päpstlicher Machtansprüche
im Mittelalter für rechtmäßig hält, wird nicht immer
deutlich, da er im Interesse einer objektiven historischen Darstellung
hinter seinen Gegenstand zurücktritt und sich häufiger
referierend als reflektierend verhält. Es ist aber nicht zu verkennen
, daß er im letzten Abschnitt von seinem Stoff mitgerissen
, auch den Leser durch seine Darstellung besonders stark zu
fesseln vermag.

Potsdam Roth Bork

Richter, Julius: Der Ritter zwischen Gott und Welt — ein Bild
mittelalterlidier Religion bei Hartmann von Aue (ZRGG 16, 1964

S. 57-69).

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Wessel, Klaus: Koptische Kunst. Die Spätantike in Ägypten.
Recklinghausen: Bongers [1963]. 279 S. m. 2 Ktn., 157 Abb., davon
24 färb. 4°. Lw. DM 68.-.

Das vorliegende Werk setzt sich die Aufgabe, einen weiteren
Leserkreis in die spätantike Kunst Ägyptens einzuführen,
die gemeinhin als „koptische" Kunst bezeichnet wird, ohne daß
immer Klarheit darüber besteht, was mit dem Begriff gemeint
ist. Seit einigen Jahren hat die allgemein zu beobachtende Hinwendung
des modernen Menschen zu Archaischem auch das
Interesse für „koptische" Kunst merklich belebt. Die große
Essener Ausstellung im Sommer 1963 wird vielen die eigentümliche
und oft fremde Welt spätägyptischer Kunst vor Augen
geführt haben. So ist es zu begrüßen, daß ein mit dem Gegen-