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Ausgabe:

1964

Spalte:

764

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Niemeyer, Gerlinde

Titel/Untertitel:

Hermannus quondam judaeus opusculum de conversione sua 1964

Rezensent:

Haendler, Gert

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763

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

764

Anliegen, die in „I. Die literarische Eigenart des Proslogion"
(15_34) Und „II. Die wissenschaftliche Methode des Proslogion"
(35—61) ausführlich dargelegt werden. Das Proslogion ist „in
die Form eines Gebetes gegossen. Aber auch in diesem Werk .. .
werden Spekulation und Gebet sauber und gesetzmäßig geschieden
". Auch die wissenschaftliche Methode, die in enger Beziehung
zum Monologion herausgearbeitet wird, läßt sich sicher
erfassen. Dadurch kann das Gesamtprogramm Anselms erhellt
werden, „da in den späteren Werken nirgends ein Bruch mit der
früheren Methode sich vollzog, im Gegenteil noch viel später
auf das Programm der beiden ersten Werke zurückverwiesen
wird" (11).

Die Auseinandersetzung um den Gottesbeweis des Proslogion
(cap. 2 bis 4) wird skizziert. Der Wortlaut der Kritik des
Mönches Gaunilo und der Replik Anselms sind als Appendix
(136—154) beigefügt. Wert hat auch der Sachindex zum Proslogion
(155—199). Vorwort, Gliederung und die 24 Kapitel des
Proslogion selbst sind zur Hervorhebung der besonderen Gattungen
so gesetzt, daß sich die beiden Stilarten (sachliche Prosa
und Kunstprosa) deutlich voneinander abheben. Die Veröffentlichung
ist im Ganzen eine musterhafte Edition.

Die Analyse des Aufbaues und des Doppelcharakters des
Proslogion führen zu dem Schluß, in den Confessiones Augustins
das Vorbild des Werkes zu suchen: „Dabei bewahrt es seine
Eigenart. Die epische Breite des letzteren wird abgelöst durch
präzise Kürze und systematische Geschlossenheit des Ganzen. So
ist auch hier der hl. Anselm ein .Augustinus redivivus'" (35 f.).
Die Diskussion über die Wissenschaftskategorie des Werkes, das
sich als „spekulative Abhandlung im Gewände eines Gebetes"
(35) von der literarischen Analyse her erwies, führt Schmitt
gegen die bisherigen Theorien dahin, im Proslogion eine
Apologetik anzunehmen: „Zweck und Absicht des Büchleins
sind, die Glaubenswahrheit der Existenz und des Wesens Gottes
als vernunftgemäß darzutun. Und zwar gegenüber dem Atheisten,
dem Leugner eben dieser Glaubenswahrheiten. Wie in der Apologetik
ist der Gegenstand der Spekulation die Glaubenslehre,
die Methode des Beweisens aber rein philosophisch. Der Gläubige
überwindet den Gottesleugner einfach dadurch, daß er ihm den
christlichen Gottesbegriff vor Augen hält, und das kann geschehen
, ohne daß der Glaube irgendwie vorausgesetzt wird,
denn der Begriff allein ist etwas natürlich Intelligibles. Sobald
der Gottesleugner den Begriff gedanklich aufnimmt, ist er schon
geschlagen; denn jetzt bedarf es nur mehr der Zerlegung dieses
Begriffes, der Einsicht in seinen Inhalt, und der Ungläubige ist
schon überführt. Er muß sich überzeugen lassen, daß der christliche
Gottesbegriff schon den Stempel der Wahrheit, ja der Notwendigkeit
an der Stirne trägt. Er hat Evidenz in sich, einen
solchen Gott kann es nicht nicht geben . .. Das Ziel des Beweises
ist aber nicht, den Ungläubigen zum Glauben zu bringen, sondern
darüber hinaus zur Einsicht (intellectus), die höher steht als der
bloße Glaube." (51).

Es ist deutlich, wie hier Anselm zum Begründer der Scholastik
wird, mag er auch in seiner Meidung „der Berufung auf
Hl. Schrift, Tradition, Väterlehre, Autorität überhaupt" über
„die kommende Scholastik" sogar hinausgehen (11). Es ist aber
auch deutlich, daß dem Verf. der „Einführung" das rationale
Element, die „Rechtfertigung des Glaubens vor der eigenen
Vernunft" mehr am Herzen liegt als der Glaube selbst. „Selbst
wenn der Gläubige seinem Glauben an das Dasein Gottes entsagen
wollte, so vermöchte er es nicht mehr, es nicht einzusehen
" (52). — Hier wird die kritische Beschäftigung sowohl mit
der Deutung Anselms als auch mit dem Proslogion selbst einzusetzen
haben. So wichtig die Aufgabe der Apologetik wieder
geworden ist und so unsicher der Glaube allein aus dem
Glaubensbegriff heraus (der freilich den Gottesbegriff erst recht
an der Stirne trägt) zu sein scheint, das philosophische Argument
darf das theologische nicht verdrängen.

Jena Horst Beintker

N i e m e y e r, Gerlinde [Hrsg.]: Hermannus quondam judacus opus-
culum de conversione sua. Weimar: Böhlau 1963. VII, Hl S. 8° =
Monumenta Germaniae Historica. Die deutschen Geschichtsquellen
des Mittelalters 500— 1500. Quellen zur Geistesgeschichte des
Mittelalters, IV. Bd. DM 12.50.

Die durch ihre Arbeit über Willehad von Bremen bekannt
gewordene Historikerin hat in dem vorliegenden Heft eine
autobiographische Bekehrungsgeschichte des 12. Jahrhunderts
ediert, die bisher nur in veralteten Ausgaben vorlag. Die Herausgeber
der Monumenta Germaniae historica waren bei der Bearbeitung
von Quellen über die Anfänge des Prämonstratenser-
ordens auf diesen Text gestoßen: Ein auf den Namen Hermann
getaufter Jude trat 1134 oder 1135 in das erste deutsche
Prämonstratenserstift Cappenberg ein und begegnet später als
Propst des Prämonstratenserstiftes Scheda im kölnischen Westfalen
. Man hat jedoch diesen Text nicht mit den um die gleiche
Zeit entstandenen Lebensbeschreibungen des Ordensstifters
Norbert von Xanten und des Gründers des ersten deutschen
Prämonstratenserstifters Gottfried von Cappenberg in eine
Quellengruppe zusammengeordnet; mit guten Gründen wurde
er in die Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters eingereiht
. Der Abdruck des Textes füllt nur knapp die Hälfte des
Bandes (62—127). Außer Registern und Verzeichnissen legt die
Herausgeberin eine umfassende Einleitung vor, in der über den
Verfasser (2—31), die Datierung (32—48) und die Textüberlieferung
(49—61) gründlich Auskunft erteilt wird.

Einige Einzelheiten seien genannt: Bei der Bekehrung wird der
Rationalismus neben irrational-mystischen Strömungen besonders betont
: „So finden wir bei Judas - Hermann dialektische Schulung und
die Forderung, durch Vernunftgründe überzeugt zu werden; gleichzeitig
aber ist er der damals besonders im Rheinland nachweisbaren,
übertriebenen Wertschätzung von Träumen und der Sucht nadi Privatoffenbarungen
verfallen" (8). Schwierig ist es, die Ursprünge des Klosters
Scheda genau festzulegen, da im jülich-clevischen Erbfolgestreit
die älteren Archivalien verloren gingen-(9). Die Gründung Schedas
dürfte vor 1139, die Erhebung zur Propstei 1143 erfolgt sein. Hermann
Judäus war nicht Abt, sondern Propst von Scheda (12). Es wird auf
bisher nicht beachtete Urkunden des Bonner Kassiusstiftes hingewiesen
, in denen ein Herimannus Judeus 1149 und 1153 als Kanoniker
und Presbyter genannt wird (15). Als Propst von Scheda wird Hermann
1170 bezeugt (19), 1172 und 1181 erscheint er als Kanoniker
in Köln. Die Herausgeberin erörtert die Gründe, die zu diesem Amtswechsel
geführt haben könnten (21—23). Hermanns Todesjahr dürfte
kurz nach 1181 liegen (25). Er und sein Werk sollten in die acta
sanetorum aufgenommen werden, doch wurde durch die Aufhebung
des Klosters Scheda 1809 dieser Plan hinfällig (31). In umsichtiger
Auseinandersetzung mit der älteren Literatur — u. a. mit Reinhold
Seebergs Darstellung über Hermann von Scheda, 1891 — werden die
wahrscheinlichen Lebensdaten Hermanns bis zu seiner Taufe neu festgelegt
: Geburt 1107 oder 1108, Traumerlebnis 1120 oder 1121, erstes
Zusammentreffen mit Bischof Ekbert von Münster in Mainz 1127
oder 1128. Ekbert brachte dann die Begegnung des Juden mit Rupert
von Deutz zustande, der durch seinen „Annulus sive Dialogus inter
Christianum et Judaeum" (PL 170) für ein Bekehrungsgespräch besonders
geeignet war. Blumenkranz hatte 1960 Zweifel an der Begegnung
zwischen Hermann und Rupert geäußert, die zurückgewiesen werden
(4, Anm. 2). Die Taufe fand am letzten Sonntag des Kirchenjahres
1128 oder 1129 6tatt (44), und bald darauf trat Hermann in das Stift
Cappenberg ein. Zwisdien diesem Ereignis und der Abfassungszeit des
opusculum dürfte ein größerer Abstand liegen, wobei die Herausgeberin
in die fünfziger Jahre oder noch später tendiert (47). Als Abfassungsort
werden Scheda und Köln in die engere Wahl gestellt (48).
Bei der Darstellung der Textüberlieferung wird zweimal (1 bzw. 52)
Johann Benedikt Carpzov genannt, bei dessen Namen ein lutherischer
Theologe unwillkürlich auf den Zusatz „der Ältere" oder „der Jüngere
" wartet. Offenbar war es Carpzov d. J., der orthodoxe Gegner
der Pietisten, der 1687 aus einer Leipziger Handschrift die erste Textausgabe
jenes opusculum besorgte. Der Nachdruck in der Reihe von
Migne (PL 170) griff auf die Arbeit von Carpzov zurück und ließ eine
2. Ausgabe von 1741 unberücksichtigt.

Das vorliegende Heft bietet nicht nur eine gute, kritische
Ausgabe eines interessanten Textes, sondern stellt darüberhinaus
einen nützlichen Beitrag dar, der manche Einzelfrage
klärt.

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