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Ausgabe:

1964

Spalte:

54-56

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heyde, Johannes Erich

Titel/Untertitel:

Wege zur Klarheit 1964

Rezensent:

Burgert, Helmuth

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

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phie- und Kirchenhistorikern unbekannt seien, greifbarere Gestalt
zu geben. Ganz verkennt er aber dabei die Haltung Böhmes,
wenn er behauptet, der Autor der Morgenröte sei durch Tilkes
Angriff in seinem „Verfasserstolz" hart getroffen gewesen.
Gerade weil Böhme sein Wissen „von oben herab", wie Peuckert
sagt, empfangen hat, kann er sich nur in der Sache getroffen
gefühlt haben, niemals aber in seiner „Selbheit", von der abzulassen
er stets als die Voraussetzung aller wahren Erkenntnis
angesehen hat.

Der zehnte Band enthält den für die Forschung so wichtigen
„Historischen Bericht von dem Leben und Schriften Jacob
Böhmens" und ihm angeschlossen die zweite Auflage des 1924
erschienenen Buches Pcuckerts „Das Leben Jacob Böhmes". Dem
Bericht wurde das Bildnis des Theosophen, das sich im ersten
Band der Originalausgabe befindet, in guter Reproduktion
vorangestellt. Es ist zwar wie alle andern Bildnisse frei erfunden
, hält sich aber noch am ehesten an die Beschreibung, die
Franckenberg von Böhmes „Leibes-Gestalt" gegeben hat. Ansehnlicher
, doch wenig zutreffend ist das der Peuckertschen
Biographie beigegebene Porträt, eine verkleinerte Wiedergabe
des zur Gesamtausgabe von 1715 gehörenden Stiches von
Pieter van Gunst. Die der Ausgabe von 1730 anfangs fehlenden
Titelkupfer und Erklärungen wurden im folgenden Jahr in
einem besonderen Bändchen nachgeliefert (s. ThLZ 1960,
Sp. 452); in der Faksimile-Ausgabe aber stehen sie an ihrem
Ort. Wenn jetzt am Ende des Historischen Berichts die Erklärungen
aus jenem Bändchen noch einmal — faksimiliert — abgedruckt
sind, so erscheint das trotz der größeren Schrift und
einiger unbedeutender Textvarianten wenig sinnvoll. Besser
hätte man den benötigten Raum dazu benutzt, die in dem
originalen Bericht leider fehlenden urkundlichen Beilagen zu
Kobers Referat (III) und die weiteren Dokumente nach der
Gesamtausgabe von 1682 (Bd. 1, Bl. xxxx5 — xxxxx9) nach:u-
drucken, besonders da sich Peuckert in den Anmerkungen zu
seiner Biographie darauf bezieht.

Es ist hier nicht der Ort, diese Biographie zu besprechen,
zumal die neue Auflage zwar an einigen Stellen verbessert und
ergänzt, im wesentlichen aber unverändert geblieben ist. Nicht
verkannt sei die Bedeutung der Arbeit Peuckerts, die an Hand
eines reichhaltigen Materials von Quellen und Literatur Aufschluß
darüber gibt, wieweit Böhmes Gedanken auf volkstümlichen
Anschauungen und auf Erkenntnissen der Geistesgeschichte
beruhen. „Wichtig" ist Peuckert auch gewesen, „Jakob Böhmes
geistigen Weg gesehen zu haben", der ihn von der Natur- zur
Gotteserkenntnis, von der Pansophie zur Theosophie, ja, zur
Christosophie geführt habe. Mit dieser allerdings fragwürdigen
Sicht des Entwicklungsganges Böhmes eine systematische Erörterung
seiner Lehre zu verbinden, hat Peuckert auch in der
neuen Auflage nicht für nötig gehalten. Hierfür wäre seine aufgelockerte
, zur Erzählung neicende Darstellungsweise auch kaum
geeignet gewesen. Aber Böhme ist für ihn ja überhaupt nur
ein ..Sucher" und seiner Geistesart nach im wesentlichen ein
„Dichter". „Er geht uns als Philosoph nichts mehr an", so lautet
Peuckerts denkwürdiger Schlußsatz. Geht uns etwa Schelling,
sreht uns Hegel nichts mehr an, die ihre philosophischen Grundkonzeptionen
der Weisheit eines Jacob Böhme verdankten?
Lassen die Heutigen (Koyre, Benz, Bornkamm. Grunsky u. a. )
unbeachtet, was Böhme ceschaut und gedacht hat? Nein, „wir"
schließen uns diesem Urteil nicht an.

Es muß noch auf verschiedene Irrtümer in der Biographie und
in den Einleitungen hingewiesen werden. Zum Leben : Anlaß zum
Einschreiten Riditers gegen Böhme im Jahr 1613 soll nach Peudcert in
der Hauptsache nicht die vermeinte Ketzerei der Aurora gewesen
sein, sondern die Tatsache, daß Richter sich durch Böhmes Eintreten
für seinen Schwager als Wucherer bloßeestcllt sah; aber Weißner, der
die Begebenheit berichtet, setzt sie ausdrücklich in das Jahr 1624, und
die Ausgabe von 1730 ergänzt noch: „vorgefallen im Jan. 1624"
(S. 33). Der Weg zu Christo ist spätestens Ende Februar/Anfang
März 1624 herausgekommen, denn der erste Teil der dadurch ver-
anlaßten Schmähschrift Richters ist vom 7. März datiert; wenn Böhme
am 27. Dezember 1623 das Erscheinen jenes Büchleins ankündigt,
kann also Peuckert nicht behaupten, Böhme habe zu diesem Zeitpunkt
„vier Monate vor der Auslieferung" von dem Druck gewußt;
gleichviel aber wie lange vorher er davon Kenntnis hatte, entscheidend
ist, ob Schweinidien, der Herausgeber, mit Böhmes Einverständnis
den Druck unternommen hat, und das ist bei dessen Ablehnung
jeglicher Veröffentlichung 6einer Schriften nicht wahrscheinlich. Böhme
ist nach dem Bericht seines Arztes Tobias Kober und nach der hierauf
gegründeten allgemeinen Ansicht am 17. November 1624 gestorben
; demgegenüber hat Richard Jecht nach sorgfältiger Prüfung der
Quellen den 16. November als Todestag Böhmes bestimmt; man
hätte wohl erwarten dürfen, daß Peudcert sich nicht mit der bloßen
Wiedergabe des Koberschen Berichtes begnügt, sondern 6ich mit dem
immerhin sensationellen und bisher unwidersprochen gebliebenen
Forschungsergebnis Jechts auseinandergesetzt hätte. — Zu den
Schriften: Die ersten beiden Gesamtausgaben sind 1682 und
1715 (nicht 1683 und 1712) erschienen. Die Morgenröte wurde am
27. Januar (nicht am Neujahrstage) 1612 begonnen; die Drei Prinzipien
im Januar 1619 (nidit 1618, s. oben). Die Menschwerdung
Christi ist Ende Mai 1620 „angefangen" worden (auf diese Schrift,
nicht auf das Dreifache Leben, wie die Ausgaben irrtümlich ergänzen,
muß die Mitteilung im Sendbrief 7, 10 bezogen werden). Die Schrift
Von der Gnadenwahl ist im Januar und Februar (nicht im Juli) 1623
verfaßt. Die erste Fassung der Schrift Von Christi Testamenten ist
im November und Dezember 1623 (nicht „einige Zeit vor 1623")
geschrieben worden. Der Weg zu Christo von 1624 enthielt die drei
Traktate Von der Buße, Von der Gelassenheit und Vom übersinnlichen
Leben (also weder den Traktat Von der Wiedergeburt noch
andere). — Zu den Briefen: 1. Sendbrief 18.Januar 1619 (nicht
1618, s. oben); 12. Sendbr. 15. August 1622 (nicht 10. Mai 1621);
15. Sendbr. 3. Juli 1621 (Anfang 1623?); 20. Sendbr. 17. (nicht 16-)
Oktober 1621; 23. Sendbr. 14. Februar 1623 (nicht 1622); 26. Sendbr.
nach erneuter Analyse: An Bernhart Ende 1619 oder Anfang 1620
(nicht 1618); 28. Sendbr. Ende Mai 1624 aus Dresden (nicht
6. Juli 1622, s. Hans Grunsky: Jacob Böhme. Stuttgart 1956, S. 313 f.);
44. Sendbr. gehört mit 52. zusammen, 25. März 1624 (nicht 7. Mal
1623 oder 1. April 1624); 50. Sendbr. 5. Mai? (nicht 5. März) 1624;
52. Sendbr. s. oben; 69. Sendbr. 11. Mai 1622 (nicht 1623). — Die
Fehler in den Datierungen der Schriften und Briefe Böhmes konnten
natürlich nicht isoliert bleiben, sondern mußten vielfach zu falschen
Schlußfolgerungen führen, die hier zu erwähnen jedoch zu weitläufig
gewesen wäre. — Zur Literatur: Die Schmähschrift Richters besteht
aus drei mit verschiedenen Daten versehenen lateinischen Gedichten
; man darf sich dadurch nicht zu der Annahme verleiten lassen
, daß jedee Gedicht einzeln erschienen sei, vielmehr ist das
Pamphlet auf einem einzigen Bogen gedruckt und als Ganzes herausgegeben
worden (s. Sendbr. 50,4 u. 60,3). Die „Einleitung in dem
Edlen Liehen Zweig...", Amsterdam 1679 und 1684, ist nicht von
Prunius, sondern von Johann Theodor von Tschesch verfaßt und „geschrieben
an Henricum Prunnium". Die „Idca Chemiae Boehmianae
adeptae" (nicht Idea ... adepta) i6t 1690 (nicht 1680) in Amsterdam
erschienen.

Nicht wenige Drudcfehler und Unachtsamkeiten finden sich in
den verschiedenen Ausführungen Peuckerts. Einige fallen besonders auf.
So wird man in der Einleitung zum dritten Band gleich in der ersten
Zeile damit überrascht, daß „die 1618/1920er Schriften" Böhmes im
innern Zusammenhang stehen. In der neuen Auflage der Biographie
ändert Peuckert die Nummern der Kapitel 33 — 38, läßt aber in den
Anmerkungen die überholten stehen. Auf den Seiten 189 und 212
seines Budies sind je zwei Zeilen ausgelassen worden, während der
Text von Seite 229, 12. Zeile von unten bis Seite 231, 1. Zeile von
oben mit dem hier anschließenden Text bis Seite 232, 16. Zeile von
oben vertauscht wurde. Eine sorgfältigere Überwachung des Druckes
wäre wohl nötig gewesen.

Der elfte Band bringt die unveränderten Register der alten
Ausgabe, die in ihr mit dem Historischen Bericht verbunden
sind. So verdienstvoll die Herstellung dieser Register, besonders
des dritten, gewesen ist, das die „Theosophischen Materien"
enthält, bedarf die Böhmeforschung heute doch einer noch
gründlicheren Erschließung des gesamten Werkes. Die Bearbeitung
eines solchen „Böhme-Wörterbuchs" ist von berufener
Hand bereits in Angriff genommen.

Göttingen Werner B u d d c c k ©

Hey de, Johannes Erich: Wege zur Klarheit. Gesammelte Aufsätze.
Berlin: de Grayter 1960. VII, 456 S. gr. 8°. Lw. DM 28.—.

Heydes Ausführungen kann im letzten nur verstehen, wer
sich zuvor die Erkenntnisse seines Lehrers Johannes Rehmke zu
eigen gemacht hat. Dieser Philosoph (1885 — 1921 an der
Universität Greifswald) steht einsam in seinem Zeitalter, wie
verloren und verlassen im „Jahrmarktstrubel der (philosophischen
) Überlieferungen". Ist seine Losung auch die gleiche, die