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Ausgabe:

1964

Spalte:

753-755

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wegenast, Klaus

Titel/Untertitel:

Das Verständnis der Tradition bei Paulus und in den Deuteropaulinen 1964

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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Ganzen nur geringe Bedeutung haben, sondern ebenso von Namen
, denen allenfalls Zauberbedeutung beizulegen ist.

Der ganze Text galt gleichwohl in seinem Kreise als heilige
Schrift. Ich schließe das aus seiner Bezeichnung als Apo-
kryphon: 6ie muß wohl im älteren Sinne verstanden werden,
nicht im Sinne der Zweitrangigkeit, sondern besonderer Heiligkeit
. Allerdings hätte man dann gemäß der Formel des alten
Ptahhotep (Deut. 2, 4 usw.) den Text treuer überliefern sollen.
Aber dieser Forderung wird auch in anderen Fällen nicht immer
genügt. Ich nehme einen griechischen Urtext an: S. 125 scheint
ein Wortspiel christos/chrestos „gesalbt/gütig" vorzuliegen.

Die vorliegende Ausgabe bietet, nach einer ausführlichen
Einleitung über den ganzen Fund, die im nächsten Bande fortgesetzt
werden soll, den koptischen Text der drei Fassungen
von Kairo, in der Anordnung der Papyri: das ist deshalb durchaus
zu billigen, weil so jedem Benutzer eine klare Vorstellung
von den Lücken der betreffenden Handschrift vermittelt werden
kann. Eine deutsche Übersetzung ist überall neben den koptischen
Text gestellt. Ein koptisches und ein griechisches Wörterbuch
, beide mit Übersetzungen, sind beigefügt. Abbildungen
der Schrift und der erhaltenen Ledereinbände bilden den Schluß:
es handelt sich wohl um die ältesten Einbände von Codices, die
sich überhaupt erhielten. Vielleicht darf man aus dem Vorhandensein
der Einbände schließen, daß die Bücher viel benutzt
wurden.

Die vorliegende Ausgabe ist nicht sonderlich1 bequem zu
benutzen: wer die Texte vergleichen will (und das ist notwendig
), muß im einem fort vorwärts und rückwärts blättern. Aber
ich erhebe damit keinen Vorwurf; es war unmöglich, die drei
koptischen und die drei deutschen Texte nebeneiander zu
drucken. Wir freuen uns aber, daß im zweiten Bande, also
hoffentlich schon im nächsten Jahre, eine Wiederherstellung des
Textes geboten werden soll; doch wohl mit einem Apparat?
Inzwischen glaube ich mich davon überzeugt zu haben, daß gewichtige
grundsätzliche Unterschiede zwischen den Handschriften
nicht vorliegen. Die kürzere Fassung hatte anscheinend (in
einem Falle fehlt der Anfang) nur eine Unterschrift; in der
längeren ist eine Überschrift hinzugefügt (S. 109: die Worte
Lehre, Geheimnis, verbergen, Schweigen beherrschen den verletzten
Text; S. 201 muß herangezogen werden). Zuweilen
empfiehlt sich der längere Text schon aus stilistischen Gründen.
In der kürzeren Fassung fordert Christus den Johannes auf, gut
zuzuhören, ehe er seine Belehrung beginnt: man vermißt eine
Antwort des Jüngers (Till S. 85; Kairo S. 55 ff. nicht erhalten).
Der längere Text ergänzt das Notwendige (S. 113 und S. 202).
Wir müssen dankbar sein, nicht nur auf einen einzigen Text
angewiesen zu sein, wie bei dem sog. Thomas.

Ahrenshoop Johannes Le i p ol d t

Wegenast, Klaus: Das Verständnis der Tradition bei Paulus und
in den Deuteropaulinen. Neukirchen/Moers: Neukirchener Verlag
der Buchhandlung des Erziehungsvereins 1962. 179 S. gr. 8" =
Wissenschaftl. Monographien z. Alten u. Neuen Testament, hrsg. v.
G. Bornkamm u. G. v. Rad, 8. Bd. DM 14.50; Lw. DM 18.—.

Das Problem des Traditionsverständnisses im Urchristentum
ist in den letzten Jahren im Zusammenhang der Frage nach geformten
Stücken innerhalb der neutestamentlichen Schriften und
nach der Entstehung des neutestamentlichen Kanons mehrfach
untersucht worden. Da die Meinungen dabei recht weit auseinandergehen
, hat sich K. Wegenast in einer von G. Bornkamm
angeregten Dissertation die Aufgabe gestellt, die Wertung der
Tradition bei Paulus und in der nachpaulinischen Literatur zu
untersuchen. Der eigentlichen Untersuchung schickt der Verf.
zwei Abschnitte voraus. Der erste Abschnitt teilt die heute
vertretenen Anschauungen über das Traditionsverständnis des
Neuen Testamentes in vier Gruppen ein, die an vier Beispielen
veranschaulicht werden. 1) Das Traditionsverständnis des NT ist
rabbinisch; 2) es stellt eine dynamische Brechung des rabbini-
schen Traditionsdenkens dar; 3) Tradition ist das den Aposteln
offenbarte und treu weiterzugebende Selbstzeugnis Christi;
4) Tradition ist die Predigt der Gemeinde vom lebendigen
Christus. Auf Grund dieser Übersicht stellt sich der Verf. dann
die Frage, ob wirklich „wie die meisten Forscher meinen, die

urchristliche Traditionsmethode mit der des rabbinischen Judentums
identisch ist". Dieser Überblick und diese Fragestellung
zeigen bereits, daß der Verf. das Problem schief anpackt: obwohl
er den Unterschied deutlich erkennt, wirft er zu Unrecht die
Annahme der Identität von Offenbarung und Tradition bei
Cullmann und Geiselmann und die Anschauung von der pneumatischen
Brechung des Traditionsdenkens bei von Campenhausen
und G. Bornkamm in einen Topf und setzt Abhängigkeit
von rabbinischen Traditionsvorstellungen mit der Annahme des
rabbinischen Traditionsdenkens gleich; auf diese Weise wird
die Möglichkeit von vornherein nicht ernsthaft in Betracht gezogen
, daß das paulinische Traditionsdenken eine eschato-
logische Neuformung jüdischen Traditionsdenkens sein
könnte. Der zweite Abschnitt skizziert im wesentlichen das
jüdische Traditionsdenken richtig, freilich ohne die Frage
nach dem Alter der Vorstellungen zu stellen und ohne die
Tatsache zu beachten, daß sich in der spätjüdischen Traditionslehre
das Postulat der Sinaitradition mit dem Anspruch auf
Begründung jeder Tradition durch Schriftbeweis stößt (sehr
fraglich ist auch die Angabe S. 31, daß n~,ic?2 primär die Überlieferung
zur Sicherung des geschriebenen Bibeltextes bezeichnet
habe).

Der Verf. untersucht dann im dritten Abschnitt einleitend
das Verhältnis von Evangelium und Tradition in Gal. 1,2 und
l.Thes. 2, 13. Er stellt fest, daß nach dem Galaterbrief für
Paulus das Evangelium aller Tradition voraus sei; Paulus hat zu
predigen begonnen, ehe er nach Jerusalem ging; und auch
l.Thes. 2, 13 redet nicht von der Weitergabe geprägter Worte,
sondern von der Predigt. Mit diesen an sich richtigen Feststellungen
ist freilich für das Traditionsverständnis des Paulus
nichts ernstlich gewonnen, weil die Frage überhaupt nicht beantwortet
wird, welchen Sinn denn der Besuch des Paulus in Jerusalem
bei Petrus hatte und ob das Voraussein des Evangeliums
als offenbartes gegenüber einer Tradition nicht die Notwendigkeit
einer Tradition einschließt. Der vierte Abschnitt wendet
sich dann den Bekenntnistraditionen in den Paulusbriefen zu und
untersucht die sicheren oder vermuteten Traditionsstücke
l.Kor. 15, 1 ff.; Rom. 1,3 f.; 3, 24 ff.; 4, 25; Phil. 2, 5 ff. Der
Verf. stellt zahlreiche Abänderungen der überkommenen traditionellen
Texte durch Paulus fest und schließt daraus, daß Paulus
kein jüdisches Traditionsdenken vertrete, Traditionen erweitere,
ohne es anzumerken, und Traditionen nur als Bestätigung
seiner Offenbarung benutze; die Tradition ist nicht Quellort
der paulinischen Verkündigung, und die Offenbarung ermöglicht
ihm, zwischen evangelischer und dem Evangelium nicht entsprechender
Tradition zu scheiden. In diesem für 'die ganze
Untersuchung zentralen Abschnitt ist Richtiges und Falsches
in fast unentwirrbarer Weise vermischt. Zweifellos vertritt
Paulus nicht die unveränderte jüdische Traditionslehre, da er
sich vom Auferstandenen berufen und durch seinen Geist geführt
weiß; und zweifellos verwendet er traditionelle Formeln
und erweitert oder verändert sie (was man freilich nur mit
guten Gründen vermuten kann), ohne darauf hinzuweisen; und
zweifellos ist die von Paulus überkommene Tradition nicht der
Quellort seiner Verkündigung. Aber damit ist weder bewiesen,
daß Paulus nicht in Beziehung zur jüdischen Traditionslehre
steht, noch entschieden, ob er im Einzelfall bewußt oder unbewußt
(wenn überhaupt) traditionelle Formeln erweitert oder
verändert; schon garnicht ist bewiesen, daß Paulus Tradition
nur als Bestätigung seiner Offenbarung zitiere; und ohne jeden
Anhalt am Text ist die Behauptung, daß Paulus in seiner Offenbarung
ein Mittel in Händen habe, zwischen evangelischen und
unevangelischen Traditionen zu scheiden. Dieses völlig schiefe
und unhaltbare Bild ist aber dadurch entstanden, daß der Verf.
die Frage nach der Bedeutung der Tradition vom konkreten
Heilsgeschehen für die Verkündigung des Paulus überhaupt
nicht stellt und von der Absicht aus, den Paulus völlig vom
jüdischen Traditionsdenken abzurücken, l.Kor. 15, 3 ff. radikal
pneumatisch umdeutet.

Dieselbe Mißdeutung der Stellung des Paulus zur geschichtlichen
Jesustradition zeigt sich dann im fünften Abschnitt, der
die Abendmahlstradition l.Kor. 11, 23 ff. und die von Paulus