Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1964

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

739

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

740

die profane Religionspsychologie religiöse Phänomene als rein
psychologische Äußerungen betrachtet, während die kirchliche
Religionspsychologie hinter der Frömmigkeit den Glauben als
pneumatisches Charisma anerkennt. Da nun aber die Norm
profan-religionspsychologischen Forschens die Psychologie, die
Norm kirchlich-religionspsychologischer Arbeit die Theologie
oder doch die Anerkennung theologischer Voraussetzungen ist,
dürfte eine letzte Verständigung oder gar Übereinstimmung der
beiden heute aktuellen religionspsychologischen Schulen kaum
zu erreichen sein. Gegenseitiges Verstehen zu fördern ist darum
ein vornehmes Ziel der neuen „Internationalen Gesellschaft
für Religionspsychologie".

Die zweite Abhandlung in der Gedächtnisbroschüre
(G. Clostermann „Wertpsychologie, Daseins- und
Existenz-Diagnose in der Arbeitsmotiv-Forschung") versucht
darzulegen, welche Bedeutung Gruehns Werk innerhalb der
Wertpsychologie und -Philosophie zukommt. Clostermann weist
darauf hin, daß durch Gruehns Wertpsychologie die geistigen
Werte des Wahren, Guten, Schönen und Heiligen in der Arbeitspsychologie
zu bestimmten Faktoren geworden seien. Diese
bleiben nicht ohne Einfluß auf Arbeitshaltung und auf die Visualisierung
der Arbeitsintensität und -Form in der Arbeitskurve
. Indem der Autor nach der Arbeitsmotivation fragt, entwirft
er eine arbeitspsychologische Schichtenlehre, in welcher er
dem individuellen Gewissen — unter dem Einfluß daseins- und
existenzanalytischer Anschauungen (M. Heidegger, K. Jaspers,
V. E. Frankl u. a. m.) — zentrale Bedeutung beimißt. Angesichts
der reichen Literaturhinweise und Quellenangaben bedauert
man, daß die führende Berufsethikerin Franziska Baumgarten
mit ihren grundlegenden empirischen und systematischen Beiträgen
zur Arbeitspsychologie unerwähnt bleibt.

Zürich Willy Ca n z ia n i

Asmussen, Hans: Selbstgespräch und Gebet. Ein Dank an alle, die

meiner im Besten gedachten. Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus

1963. 44 S. gr. 8°. Kart. DM 4.80.
Franz, Helmut: Von der Theologie des Ästhetischen und der Un-

ästhetik des Theologischen (DtPfrBl 64, 1964 S. 221—226).
W i t t i g, Friedrich: Das evangelische Buch heute (LM 3, 1964 S. 23

-26).

RELIGIONSWISSENSCHAFT

K r i s s, Rudolf, u. Hubert Kriss-Heinrich: Volksglaube im
Bereich des Islam. Bd. 11 : Amulette, Zauberformeln und Beschwörungen
. Wiesbaden: Harrassowitz 1962. XXVII, 245 S., 143 Abb. a.
104 Taf. gr. 8°. DM 60.—.

Auf das Wallfahrtswesen und die Heiligenverehrung, denen
der erste Band dieses Werkes (s. ThLZ 1962, 8 30 f.) gewidmet
ist, folgen in dem vorliegenden zweiten Band „Amulette,
Zauberformeln und Beschwörungen", mithin Dinge, die im
wesentlichen in den Bereich der Magie fallen. Das erste Kapitel
(S. 1—57) gibt einen umfassenden Überblick über die verchiede-
nen Arten von Amuletten und deren Verwendung; zahlreiche
Amulette sind teils nach Exemplaren aus der Sammlung der
Verfasser, teils nach den an Ort und Stelle gemachten Aufnahmen
auf 32 doppelseitigen Tafeln wiedergegeben. Die beschrifteten
Amulette, Zauberschalen, Amulette in Form von
Zetteln, Briefen, Rollen oder Büchern, teils mit, teils ohne Behältnisse
werden im zweiten Kapitel „Zauber und Segen"
(S. 58—139) behandelt. Neben Koranversen, den Namen Allahs,
den Namen der Imame begegnen auch längere Texte, z. B. die
umfangreichen „Sieben Verträge Salomos", von denen eine
deutsche Übersetzung gegeben wird. Daran reihen sich Beispiele
der Buchstaben- und Zahlenmystik, die Brillenbuchstaben und
die sehr beliebten magischen Quadrate bis hin zu sinnlosen
Buchstabenhäufungen auf Amuletten, die von unkundigen
Fremden als Andenken gekauft werden. In ihrer Gänze stellen
diese beiden Kapitel ein Repertorium der im Vorderen Orient
üblichen Amulette dar.

Der bedeutsamste Teil dieses Bandes ist das dritte Kapitel
über den Zär. Das Wort bezeichnet zunächst männliche und
weibliche Krankheitsgeister als Gruppe, dann aber auch einen

einzelnen Geist dieser Art; es wird aber ebenso auf die zur
Austreibung oder Besänftigung dieser Geister veranstaltete
Zeremonie angewandt, welche wohl aus Mittelafrika stammt,
gegen Ende des 18. Jahrhunderts für Abessinien bezeugt ist und
über den Sudan im vorigen Jahrhundert nach Ägypten gelangte.
Eine solche Geisterbeschwörung wird fast stets von einer
Anführerin (selja oder küdya) geleitet, die im Rufe steht, mit
der Geisterwelt in Verbindung zu stehen. Ihr stehen als Helferinnen
Frauen zur Seite, deren jede von einem bestimmten
Geist besessen ist und als dessen Braut (aiüsa) gilt. Als Sänger
und Tänzer können neben Frauen auch Männer fungieren.
Wird ein solcher Exorzismus für eine Person (meist eine hysterische
, nervenleidende oder gemütskranke Frau) ausgeführt, die
nicht weiß, von welchem Geist sie besessen ist, so erfährt sie
dies aus dem Munde der Küdya, die am Ende der ekstatischen,
bis zur Raserei sich steigernden Tänze in Trance gerät und als
Verkörperung des Geistes, der sie ergriffen hat, hellseherisch
Auskunft gibt; darauf folgt am nächsten Tag ein Tieropfer,
dem sich ein Mahl der Teilnehmer anschließt. Neue Tänze, die
sich beliebig lang über weitere Tage hinziehen können, bilden
den Schluß. Der Zär ist also gleichzeitig ein Initiationsritus.
Nicht selten hat eine Frau, für die ein solcher Zär veranstaltet
Worden ist, ein unwiderstehliches Verlangen, oft an diesen
ekstatischen Tänzen teilzunehmen. Infolgedessen veranstalten
viele Küdyas für ihre Kunden regelmäßig (aber nicht im Monat
Ramadan) Seancen, die hatlra heißen, aber auch als Zär bezeichnet
werden, obwohl sie keinerlei Opferritual enthalten.

Die Verfasser konnten in Kairo nicht nur 1955 an einem
Zär teilnehmen, sondern einer von ihnen (R. Kriss) brachte es
1957 zuwege, einen Zär für sich selbst veranstalten und dabei
sogar photographische Aufnahmen machen zu lassen. Da die
bisher veröffentlichten Mitteilungen über den ägyptischen Zär
entweder sehr knapp sind oder auf den beim Zär gesungenen
Beschwörungen, den sogenannten Zär-Liedern, sowie Angaben
dritter Informanten beruhen, so kommt dem auf Autopsie
beruhenden Bericht der Verfassser ein hoher dokumentarischer
Wert zu. Dieser Bericht, der auf S. 160—179 nach dem Tagebuch
von R. Kriss gegeben wird, beschreibt den Verlauf der
Zeremonie in allen Einzelheiten. Zur Veranschaulichung sind
eine Anzahl Abbildungen nach den Photographien beigegeben,
die während des Zär aufgenommen wurden; die einen (Abb. 112;
128—134) zeigen die Küdya, ihre beiden Assistentinnen und
andere Frauen, die an der Zeremonie teilnahmen, ferner die
„Zärbraut" (d. h. den Patienten) und den Haupttänzer, sowie
die mit Gaben beladenen Opfertische (kursi) und das Schlachtopfer
. Die Abbildungen 113—127 geben Beispiele der zahlreichen
Amulette, Ringe, Spangen usw. wieder, die bei der
Zeremonie benötigt wurden. Denn jeder Geist — die Verfasser
zählen S. 146—148 an die 50 „Sultane" und einige „Herrinnen"
auf — hat Anspruch auf besondere Opfertiere (Tauben, Gänse,
Schafe, Rinder und Kamele), besondere Tänze und Lieder, und
auch darauf, daß ihm zu Ehren bestimmte Kleider, Armspangen,
Fußreifen, Ringe, Anhänger und Amulette getragen werden.

Die Verfasser beschließen dies Kapitel über den Zär mit
Bemerkungen über verwandte Erscheinungen. In Omdurman
konnten sie 1956 als Zuschauer an einem Zär-Tumbüra und an
einem Bori teilnehmen. Da beide aus einer Arbeit von
S. Zenkovsky bekannt sind, konnten die Verfasser sich mit
einer Schilderung des Zär-Tumbüra und einzelnen Bemerkungen
zum Bori begnügen. Über den Zär in Abessinien berichten sie
auf Grund der Arbeiten von Michel Leiris. Für den Bericht über
den Bori der Haussa, der sich in ganz West- und Nordafrika
bis nach Tunis hin ausgebreitet hat, dient ihnen eine Monographie
von Tremearne als Grundlage.

Der „Anhang" (S. 205—229) enthält Nachträge zu verschiedenen
Stellen im ersten Band. Diese Nachträge haben ein
eigenes Register hinter den Registern zum 2. Band, welche außer
Namen, Orten und Sachen auch die Zärgeistcrnamen (S. 2 32—
234) verzeichnen.

Halle/Saale J. W. Flick