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Ausgabe:

1964

Spalte:

737-739

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bolley, Alfons

Titel/Untertitel:

Abhandlungen zur Religions- und Arbeitspsychologie 1964

Rezensent:

Canziani, Willy

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 10

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streiten. Und zwar weil damit die Unterordnung der die Tradition
nicht nur verwaltenden, sondern auch gestaltenden Kirche
unter das Wort Gottes verdunkelt ist. — O. Kuss, Exegese als
theologische Aufgabe, und K. Rahner, Exegese und Dogmatik,
behandeln ein auch in der evangelischen Theologie brennendes
Problem. Während Kuss betont, „daß philologisch-historische
Exegese und kirchlich-existenzielle Exegese nicht schlechthin
identisch sind" (219), und mit dieser Erkenntnis von der Exegese
eine Last nehmen will, „die ihr das Atmen zuweilen schwer
gemacht hat" (216), will Rahner umgekehrt den Exegeten das
Gewissen dafür schärfen, daß sie die Verantwortung für die
Ubereinstimmung ihrer Ergebnisse mit der kirchlichen Lehre
nicht auf die Dogmatiker abschieben können: „Die kirchliche
Wissenschaft und darunter vor allem die Exegese .. . muß mitkämpfen
an der Front des Glaubens und der Kirche" (341).
Allerdings muß dazu vom kirchlichen Lehramt für eine offene
Diskussion der nötige Raum gelassen und nicht zu schnell mit
Zensurierungen vorgegangen werden. Sonst könnte es dahin
kommen: „Der eine Theologe redet nicht viel, weil er die
Zensur der Kirche fürchtet, der andere nicht, weil er eine
solche nicht über den dritten herabrufen will" (346). Wenn es
uns evangelischen Theologen manchmal Not macht, daß die
Kirche zum Sprechsaal werden könnte, sehen wir hier die entgegengesetzte
Gefahr anvisiert. — R. Müller-Erb, Über den
Schwund des eucharistischen Lebens, findet erfrischend offene
Worte über die „Sackgasse des Liturgismus" (377), die mutatis
mutandis auch für die evangelische Kirche gelten. J. Beyer, Die
kirchenrcchtlich anerkannten Formen des Vollkommenheitslebens
, informiert über die „Stände der Vollkommenheit" nach
dem heute geltenden kanonischen Recht. Während früher nur
das Ordensleben als Stand der Vollkommenheit anerkannt war,
hat der Papst 1947 „auch die Gemeinschaften ohne öffentliche
Gelübde als solchen gebilligt und endlich in der Konstitution
-Provida Mater Ecclesia' noch einen dritten Stand der Vollkommenheit
kanonisch gutgeheißen, die Säkularinstitute für
Priester und Laien" (459 f.). Außerdem gibt es aber noch die
„frei eren Formen gottgeweihten Lebens in der Kirche", die
apostolisch oder monastisch ausgerichtet sein können (464).
J. Hornef, Um die Wiedergeburt des Diakonats in der römischkatholischen
Kirche, befürwortet die Einführung eines Diakonenamtes
ohne Zölibatszwang. M. Bienias schreibt über: „Das
Lebensopfer der Karmelitin Edith Stein" (482 ff.).

Errata: Seite 33, Z. 25 lies Ecclcsiae statt Ecclesia; S. 228, Z. 14
1. veritatem st. veritalem; Z. 20 I. par st. pari; Z. 34 zwei Texte sind
ineinandergeschoben. S. 345, Z. 21 1. Funktion st. Funkstation; S. 435,
Z. 27 1. nicht nur nicht st. nicht nur.

Halle/Saale Erdmann Schott

Bolley, Alfons, u. Gerhard Clost ermann: Abhandlungen zur
Rcligions- und Arbcitspsychologic. Werner Gruehn zum Gedächtnis.
Münster/W.: Aschendorff [1963]. IV, 88 S., 1 Porträt, gr. 8° =
Archiv f. Psychologie d. Arbeit und Bildung, hrsg. v. G. Closter-
mann, 6. Bd. Kart. DM 7.50.

Im Andenken an Werner Gruehn, den am 31. Dezember 1961
in Hildesheim verstorbenen Religionspsychologen, haben Bolley
und Clostermann die vorliegende Gedächtnisschrift veröffentlicht
. Sie enthält die beiden Aufsätze „Religionspsychologie und
Theologie — Vom Leben und Schaffen Werner Gruehns" von
A. Bolley, und „Wertpsychologie, Daseins- und Existenz-
Diagnose in der Arbeitsmotiv-Forschung" von G. Clostermann.

Die erste Arbeit schildert die Entwicklung der Religionspsychologie
von der Jahrhundertwende bis zum Jahre 1914,
wie sie durch die Bekehrungs-Forschung der Amerikaner E. D.
Starbuck, W. James und J. H. Leuba angebahnt worden ist
Bolley weist auf, wie durch O. Külpe und die Würzburger
Schule - besonders über W. Stählin und K. Girgensohn - in
Deutschland die empirische Religionspsychologie gefördert und
von W. Gmehn methodisch ausgebaut wurde. Der Autor beschreibt
die Methoden des Gruehnschen religionspsychologischen
Experiments (gebundene Assoziationen) und stellt die Entwicklung
der Gruehnschen Rcligionspsychologie mit ihren Höhe-
Punkten dar. (1914 Gründung der „Gesellschaft für Religionspsychologie
" mit O. Külpe, W. Stählin, G. Wunderle, A. Dyroff

als Vorstandsmitglieder; Herausgabe des 1. Bandes des „Archivs
für Religionspsychologie" im selben Jahr und Durchführung des
1. religionspsychologischen Kongresses 1930 in Erfurt.) Bolley
berichtet auch über die unerfreuliche Situation, die sich durch
die Gründung der weniger einheitlich ausgerichteten „Internationalen
Gesellschaft für Religionspsychologie" (1926 unter
K. Beth in Wien) ergeben hat. Gerade jenes Vorkommnis macht
dem heute unbefangen zurück Blickenden deutlich, wie die
Gruehnsche Religionspsychologie in der Verfolgung strenger
Empirie einer gewissen Einseitigkeit unterworfen war. Die
psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Beiträge mit ihren
doch recht aufsehenerregenden und der religionspsychologischen
Forschung bestimmt dienlichen Untersuchungen konnten niemals
das Interesse der durch O. Külpe geprägten Religionspsychologie
finden (z. B. S. Freuds Deutung der monotheistischen mosaischen
Religion, Th. Reiks Untersuchungen zur Religionspsychologie des
Rituals, O. Pfisters Beitrag über SundarSingh; später dann Jungs
Arbeiten zur Tiefenpsychologie religiöser Symbole und anderes
mehr). Obwohl die damalige exakte Religionspsychologie ihre
Eigenständigkeit immer wieder zu betonen pflegte, kann man
sich heute nicht ganz des Eindrucks erwehren, daß sie als theologische
Disziplin betrachtet werden wollte. Eine theologisch
orientierte Religionspsychologie mußte verständlicherweise tiefenpsychologischen
Beiträgen gegenüber größte Bedenken hegen.
Diese aus der Sache selbst gut verständliche Beschränkung mag
neben der sich anbahnenden politischen Katastrophe der Grund
einer um sich greifenden Erlahmung der religionspsychologischen
Forschung gewesen sein. 1936 erschien der 6. Band des „Archivs
", dessen Umfang an Rezensionen bereits das Ende einer
arbeitsreichen Forschungsperiode andeutete. — Erst Jahre nach
dem 2. Weltkrieg erschienen wieder religionspsychologische
Arbeiten (A. Burgardsmeier, Th. Thun, L. Gilen, L. Schmie!, K.
Gins, W. Groenbaek, I. P. Seierstad, u.a.m.). So verschieden
diese Untersuchungen in Voraussetzung, Methode und Ziel auch
sind, das Eine ist ihnen doch gemeinsam: Der Wunsch, religiöses
und religioides Erleben von der psychologischen Seite her verständlich
zu machen. Die Bemühungen, alle Richtungen der
religionspsychologischen Forschung zu regem Gedankenaustausch
zusammenzurufen, führten 1960 unter W. Keilbach zur Reorganisation
der 1914 gegründeten Gesellschaft für Religionspsychologie
. Gruehns Hoffnung, das Erstehen der Gesellschaft
erleben zu dürfen, hat sich damit erfüllt.

Seine Abhandlung zur „Religionspsychologie und Theologie"
beschließt Bolley mit einem Abschnitt, den er mit dem Titel
„Empirische Theologie?" überschreibt. Er beschreibt dort, wie
Gruehn (besonders in seinem letzten und bedeutsamsten Werk
„Die Frömmigkeit der Gegenwart", i960"') den Versuch der
Anwendung religionspsychologischer Erkenntnisse in Seelsorge,
Religionspädagogik, Predigt und Aufbauarbeit unternimmt.
Bolley kann feststellen, daß in der Tat manche systematisch-
theologische Autoren verschiedener Konfessionen der religionspsychologischen
Arbeit Verständnis entgegenbringen (A. Lang,
K. Adam, H. Thielicke u. a), während andererseits innerhalb
psychologisch-psychotherapeutischer Bemühungen religiöse Aspekte
vermehrt durchzubrechen scheinen (V. E. von Gebsattel,
W. Daim, I. A. Caruso, V. E. Frankl). Daß solche Überlegungen
unter der Voraussetzung stehen, die Religionspsychologie sei
als theologische Disziplin zu betrachten und anzuerkennen, tritt
in Bolleys Aufsatz recht deutlich hervor.

Anmerkungsweise sei darauf hingewiesen, daß eine große
Zahl bedeutender Religionspsychologen - besonders tiefenpsychologischer
Richtung — diese Ansicht nicht teilen und den
Versuchen einer psychologischen und empirischen Theologie
ebenso skeptisch gegenüber stehen, wie jenen einer religiösen
Psychologie, die nur zu oft — selbst in Fachkreisen — als Religionspsychologie
betrachtet wird. Wenn nun die 1960 neu erstandene
Gesellschaft für Religionspsychologie Vertreter beider
Richtungen zusammenfaßt, so mag solches als gutes Omen
künftiger religionspsychologischer Zusammenarbeit hinzunehmen
sein. Angesichts dieser beiden Richtungen — der kirchlichen oder
theologischen und der psychologisch-ticfenpsychologischcn Religionspsychologie
— bleibt das Skandalon solange bestehen, als