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Ausgabe:

1964

Spalte:

51-54

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Böhme, Jakob

Titel/Untertitel:

Sämtliche Schriften ; II. Bd., III. Bd., V. Bd., X. Bd., XI. Bd. 1964

Rezensent:

Buddecke, Werner

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 1

52

Schnell, Hugo: Der neue Kirchenbau und die Konzilsberatungen
(ThGl 53, 1-963 S. 292—299).

Weckwerth, Alfred: Tisch und Altar. Eine grundsätzliche Erwägung
(ZRGG XV, 1963 S. 209—244).

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Böhme, Jacob: Sämtliche Schriften. Faksimile Neudruck der Ausgabe
von 1730 in elf Bänden, neu hrsg. v. Will-Eridh Peuckert.
II. Bd. [22], VI, 495 S.. Uaf. - III. Bd. [22], VI, 344 S., 2 Taf. u.
VI, 187 S.. 2 Taf. - V. Bd. [23], IV, 441 S., lTaf. - X. Bd. IV,
170, 32, 244 S., 4 Taf. — XI. Bd. IV, 425 S. Stuttgart: Frommann
1960/61. 8°.

Mit dem Erscheinen dieser fünf Bände ist daß verdienstvolle
Werk des Herausgebers und des Verlags abgeschlossen:
die beste und vollständigste, jedoch seltene Böhme-Ausgabe von
1730 steht nunmehr im Faksimile-Druck der Wissenschaft ungehindert
zur Verfügung. Da6 ist um so bemerkenswerter, als
die nie erloschene Wirkung des Theosophen heute so offenkundig
ist, daß man versucht sein könnte, von einer Böhme-
Renaissance zu sprechen.

Über Entstehung, Einrichtung, Druck und Ausstattung der
Ausgabe sowie über die Einleitungen zu den bisher erschienenen
Bänden war in der ThLZ 1960, Sp. 450—454 berichtet worden.
Es ist jetzt von der Arbeit des Herausgebers an den restlichen
Bänden zu sprechen. Der zweite und dritte, mit dem August
Faust im Jahre 1942 die Ausgabe eröffnet hatte, ist erneuert
und mit anderen Einleitungen versehen worden. Was hat
Herausgeber und Verlag dazu bewogen? Fausts Einführungen
boten dem Leser durchaus klare, zuverlässige und vollständige
Informationen. Um der einheitlichen Redaktion willen wäre
eine Erneuerung nicht eben notwendig gewesen. Wohl aber
mußten wegen einer gegen Peuckert gerichteten mehr als kritischen
Bemerkung Fausts die von ihm besorgten Bände verschwinden
.

Freilich war Peuckert auch nicht mit Fausts Entscheidung
in der Frage des Zeitpunkts einverstanden, an dem Böhme nach
längerem Schweigen sein Werk wieder aufnahm. Hierzu ist folgendes
zu sagen. Im Juli 1613 hatte der Primarius Richter
Böhmes Aurora beschlagnahmen lassen und ihm auferlegt, nichts
mehr zu schreiben. Böhme bezeugt später in seiner Apologie
gegen Richter: „Ich habe ihme im Anfange nach seiner ersten
Lästerung und Verfolgung 6 Jahr gebücket, und kein Wort geschrieben
". Demnach hat Böhme im Jahr 1619 sein nächstes
Werk, die Beschreibung der drei Prinzipien, begonnen. Hiergegen
aber steht sein eigenhändig datierter Brief vom 18. Januar
1618, in dem es heißt, es sei „ein hoher Anfang..., sonderlich
von den 3 Prinzipien" gemacht worden. Wie löst sich dieser
Widerspruch? Wenn Böhme in seiner Verteidigungsrede, also in
bewußter Verantwortung behauptet, er habe sechs Jahre lang
geschwiegen, so hat man keinen Grund, diese Angabe für irrig
oder ungenau zu halten. Nur scheinbar anders berichtet
Franckenberg, Böhmes ältester Biograph: es habe „der heilige
und gedultige Mann einen betrübten Sabbath gantzer 7 Jahr
lang . . . gehalten, und innerhalb solcher Zeit nichts geschrieben
"; Franckenberg will nämlich, wie es seine Art ist, die heilige
Zahl mit Böhmes Schicksal in Verbindung bringen und geht
daher bei seiner Zeitangabe vom Jahr 1612, der Datierung der
Aurora, aus. Das bestätigt sein Katalog der Schriften Böhmes,
in dem die Drei Prinzipien unter „Anno 1619" aufgeführt sind.
Sie wurden im Oktober dieses Jahres beendet (Sendbr. 2, 11),
und auch daß spricht gegen ihren Beginn im Januar 1618; denn
es ist ganz unwahrscheinlich, daß Böhme, dessen „feuriger"
Schaffenstrieb alle inneren Hemmungen durchbrochen hatte,
1 */ Jahre an diesem Werk (so lange wie nicht einmal an seinem
umfangreichsten, dem Mysterium magnum) geschrieben haben
sollte. Mit welcher Intensität Böhme damals arbeitete, beweist
die Tatsache, daß er bis zum Sommer 1620 noch zwei weitere
Werke verfaßt hatte (Peuckert, Bd. 3, S. 11), so daß er sagen
konnte, es seien „innerhalben drey viertel Jahr drey Bücher gemachet
[ = abgeschlossen ] worden". Alle diese Zeugnisse lassen
das Jahr 1619 als terminus a quo für die Abfassung der Drei
Prinzipien als gesichert erscheinen. Damit aber wird die Datierung
des Briefes Böhmes vom Januar 1618 fraglich. Es drängt

sich die Vermutung auf, daß Böhme, wie es zu Anfang eines
neuen Jahres oft geschieht, versehentlich noch die alte Jahreszahl
geschrieben hat. Mit der Annahme, daß 6tatt ihrer vielmehr
1619 zu le6en ist, haben sich Faust und später auch Hans
Grunsky dem Rezensenten angeschlossen (s. Buddecke: Verzeichnis
von Jakob Böhme-Handschriften. Göttingen 1934, Titel 12,
Anm.). Schon die Gesamtausgabe von 1715 will die Jahreszahl
des Briefes in 1619 verbessert wissen. Und bei einem Überblick
über die Daten der Böhme-Briefe fällt auf, daß wir überhaupt
keinen Brief aus dem Jahr 1618, geschweige einen so frühen,
besitzen (auch der 26. ist auf eine erheblich spätere Zeit anzusetzen
, s. unten); erst Ende Oktober 1619 beginnt die fortlaufende
Reihe der Briefe Böhmes. Peuckert aber besteht auf
Januar 1618 sowohl für das Datum des Briefes als auch für die
Abfassung der Drei Prinzipien. Er schiebt leichten Mutes die
oben genannten Zeugnisse beiseite, ohne auch nur ein einigermaßen
beweiskräftiges für seinen Standpunkt beizubringen.
Nicht „sinnlos" also erscheint es, die Jahreszahl 1618 umzuändern
, auch wenn Böhme selbst sie geschrieben hat, sondern
wohlbegründet.

An der Lehre von den Drei Prinzipien interessiert Peuckert
besonders Böhmes eigentümliche Denk- und Anschauungsweise.
Zu ihrer Charakteristik will er „ein für den Görlitzer Wichtiges
", „bisher in der Forschung noch nicht Gesagtes" beibringen.
Er behauptet, in Böhmes Schilderung der Geburt des Seins, wie
die Finsternis den Lichtwillen Gottes empfängt und davon
schwanger wird, und wie dabei die Qualitäten in Bitternis und
Süße, in Lust und Wehe miteinander ringen und sich durchdringen
, seien „sexuelle Vorgänge bildnishaft beschrieben".
Auch den weiteren Prozeß, wie aus der Vereinigung eines
männlichen und weiblichen Prinzips, einer feurigen Kraft und
einer wässerigen matrix die Schöpfung mit all ihren Kreaturen
hervorgeht, habe Böhme in „durchaus sexueller Art" verstanden
: „das Grundprinzip der Schöpfung also ist ein zweigeschlechtliches
, sexuelles, ... das Sehnen und Begehren des
einen nach dem andern". Nicht genug damit „setzt" Peuckert
noch, „daß in das Sexuelle zielende Gedankengänge Böhme einmal
überherrschten", „daß sich hier eine Periode seiner Lebenszeit
ertasten läßt, die ihre Wirkungen ... in bestimmte Linien
seines Werkes hat". Was soll man dazu sagen? Böhme, dem
Bauernsohn, dem tief mit der Natur Verbundenen, waren die
Vorgänge von Zeugung und Geburt von Jugend an vertraut,
und sein ungebrochenes ganzheitliches Denken und Empfinden
konnte in ihnen nichts anderes sehen als ein reines Naturgeschehen
, dem ein Beigeschmack von „Sexuellem" auch nicht
im entferntesten anhaftete. Für seine Erkenntnis allerdings gewannen
sie grundlegende Bedeutung; denn auf seine brennende
Frage nach der Vereinigung letzter Gegensätze gaben sie geheimnisvolle
Weisung, und so wurden sie ihm gleichsam zu
geheiligten Symbolen des gesamten Seins- und Schöpfungsprozesses
. Bedenkt man noch, daß Böhmes tiefsinnige Konzeptionen
an 6eine bedingungslose Hingabe an Gott gebunden
waren, daß er sie „nach göttlicher Erleuchtung" und „im Wallen
Gottes" niederschrieb, so erscheint es mehr als sonderbar,
ihm bei der symbolhaften Verwendung von Bildern elementaren
Naturgeschehens Gedanken an sexuelle Vorgänge zuzumuten
. „Ich weiß wohl", sagt Peuckert, seine Deutung abschließend
, „daß der Gedanke ein sehr kühner und noch nicht besprochener
ist". Fürwahr, so kühn, daß es Peuckert vorbehalten
blieb, ihn auszusprechen.

In der Einleitung zum dritten Band behandelt Peuckert die
Frage, wieweit Böhme das heliozentrische Weltbild übernommen
hat, und er kommt zu dem Ergebnis, Böhme habe das solare
System in die alte Sphärenordnung eingebaut. In diesem Sinne
deutet Peuckert insbesondere die von dem Theosophen entworfene
Figur des Rades der Natur. Faust jedoch hatte erklärt,
eine solche Deutung würde „auf einem grundsätzlichen Fehler
beruhen. Der Sinn des Kupferstiches besteht gerade darin, daß
er kein objektives Bild der Welt wiedergibt, . . . sondern daß
er den außerräumlichen und überzeitlichen Ursprung des Lebens
symbolisiert . . . Gott selbst wird hier .offenbaret in figürlicher
Gestalt' Kap. 9,54". — Im fünften Band sucht Peuckert den
Persönlichkeiten der Gegner Böhmes, die den meisten Philoso-