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Ausgabe:

1964

Spalte:

713-714

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Staemmler, Heinz

Titel/Untertitel:

Der Kampf der kursächsischen Theologen gegen den Helmstedter Synkretismus, unter besonderer Berücksichtigung ihrer Schrift "Consensus Repetitus fidei vere Lutheranae" von 1655 1964

Rezensent:

Staemmler, Heinz

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713

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 9

714

Staemmler, Heinz: Der Kampf der kursächsischen Theologen gegen
den Helmstedter Synkretismus, unter besonderer Berücksichtigung
ihrer Schrift „Consensus Repetitus fidei vere Lutheranae"
von 1655. Diss. Halle 1963. XV, 315 S.

Mit dieser Schrift ( = Cons. Rep.) fand die polemische Literatur,
die der Kampf der kursächsischen Theologen von Wittenberg und
Leipzig gegen den Synkretismus der Helmstedter G. Calixt und
C. Horneius sowie deren Königsberger Schüler M. Behm und Joh.
Latermann hervorbrachte, ihren Höhepunkt. Anlage und Absicht des
Cons. Rep. bestimmen die Gliederung der Arbeit: Die in dieser Schrift
in 8 8 gleichartig angeordneten Punkten zusammengestellten dogmatischen
Urteile über den Helmstedter Synkretismus, die fast alle Gegenstände
der orthodoxen Dogmatik berühren, machen es notwendig,
aus der langen Geschichte des Kampfes die Hauptthemen der orthodoxen
Kritik darzustellen (I). Die Absicht der kursächsischen Theologen
, ihrer Schrift die Bedeutung eines bindenden Bekenntnisses zu
geben, stieß unter vielen Lutheranern auf Widerstand. Den verschiedenartigen
Motiven dieser Ablehnung des Cons. Rep. nachzugehen, war
die weitere Aufgabe (II). Schließlich war an Hand des Textes zu prüfen
, ob den Verfassern des Cons. Rep. ihr Ziel gelungen ist, lediglich
mit Formulierungen aus dem Konkordienbuch dem Synkretismus entgegenzutreten
(III).

I. Das Mißtrauen der kursächsischen Theologen gegen Helmstedt
hatte neben dem dort gepflegten weltoffencn humanistisdien Bildungs-
idcal seinen Grund in der Ablehnung der Konkordienformel, insbesondere
ihrer Lehre von der Omnipraesentia Christi secundum carnem.
Nach einigen kritischen Gutachten lutherischer Theologen (u. a. von
B. Mentzer, Gießen 1616 und im sächsischen Theologenkonvent zu
Jena 1621) zu einzelnen Sätzen Calixts, stellten sich seit 1640 deutlich
zwei Hauptthemen der Kritik heraus. Während der Hannoversche
Pastor Statius Büscher die Helmstedter in 99 Punkten öffentlich des
„Cryptopapismus" verdächtigte, beschränkten die beiden kursächsischen
Theologen W. Leyser in Wittenberg und H. Höpffner in Leipzig
in Privatschreiben an Horneius bzw. Calixt ihre Kritik auf das
Thema der „bona opera", insbesondere auf den von Horneius immer
wieder verteidigten Satz, gute Werke seien als „conditio sine qua
non" notwendig zur Seligkeit. Wegen dieser Formel, ihrer Bekenntniswidrigkeit
und Gefahr für den kirchlichen Frieden wandten sich auf
kurfürstliche Anordnung 1646 sogar die beiden kursächsischen Fakultäten
— hier noch gemeinsam mit der von Jena — in einer offiziellen
Admonitio beschwörend an die Helmstedter. Die insbesondere für
Joh. Hülsemann in Leipzig völlig unerwartete Reaktion darauf war
die „Retorsion" G. Calixts, jeden „für einen ertz- und ehrvergessenen
verlogenen diffamanten" zu halten, der ihm nicht auch beweise, er
erweiche die Fundamente der evangelischen Lehre. Diese Forderung
Calixts, das jetzt zögernde Verhalten der Jenaer, schließlich aber der
Befehl des Kurfürsten veranlaßtcn die kursächsischen Theologen —
die Leipziger mit Hülsemann weit erfolgreicher als die Wittenberger
damals noch ohne Calov — zu mannigfaltigen listenmäßigen Aufstellungen
der Hclmstedter Abweidiungen vom Konkordienbuch (1648).
Die heftigen, oft persönlidi kränkenden Auseinandersetzungen zwischen
dem Wittenberger Joh. Scharf und Calixt über die Beweiskraft
allein des Alten Testamentes für das trinitarische und christologische
Dogma erbrachten das zweite Hauptthema der orthodoxen Kritik.
Mit Joh. Scharf wandten sich dann auch die Verfasser des Cons. Rep.
nicht nur gegen Calixts Behauptung, dem Alten Testament fehle solche
Beweiskraft, sondern audi gegen dessen Folgerung, zu Zeiten des
Alten Testamentes seien beide „Mysteria" noch nicht glaubensnotwendig
gewesen.

II. Als der Versuch der Braunschweiger Herzöge, mittels einer
Konferenz politischer Räte zum Frieden zu kommen, an der Ablehnung
der kursächsischen Theologen scheiterte, und nicht einmal ein
Theologenkonvent der Kursachsen mit den Jenaern zustande kam,
wurde es das Ziel der Leipziger und Wittenberger Theologen, durch
eine Decisio die Helmstedter zu entlarven und verbindlich zu verurteilen
. Unter dem Eindruck des um sich greifenden Helmstedter Synkretismus
auf dem Regensburger Reidistag (1653/54) stellten die
Leipziger, wohl unter der maßgeblichen Führung Hülsemanns, in einer
..Synopsis" (dem später sog. Cons. Rep.) Helmstedter Lehre und Lutherisches
Bekenntnis Punkt für Punkt in der Reihenfolge der Artikel
der C. A. gegenüber, erreichten die Billigung der Wittenberger und
drängten dann ihren Kurfürsten, mit dieser Schrift, einstweilen noch
geheim, Einfluß auf in- und ausländische Fürsten und Stände zu nehmen
. Erst anläßlich des Kasseler Religionsgespräches kommt es zur
Veröffentlichung des Cons. Rep.: 1664 namens der Wittenberger Fakultät
in den „Consilia Theologica Witebergensia", 1666 durch A. Calov
in einem privaten Separatdruck. Nachdem bereits vor diesen Veröffentlichungen
der Gothaer Gencralsupcrintendent Sal. Glaß durch
vermittelnde Untersuchungen der vielen Streitgegenstände Herr zu
werden suchte, richteten sich jetzt die Stimmen gegen den Cons. Rep.
selbst. Ausgelöst durch das fanatisch-eifernde Eintreten des Wittenbergers
Aegidius Strauch für den Cons. Rep., richtete die Universität

Helmstedt (Hermann Conring) in der „Pietas Academiae Juliae" einen
öffentlichen Protest gegen das selbstherrlich-richterliche neue Papsttum
in Kursachsen. Dieser Protest, die ernsten Einwände Phil. Jac.
Speners, der seine Sorgen, welche Gefahren Kirdie und Gemeinde bei
Einführung des Cons. Rep. erwüchsen, nicht nur Herzog Ernst dem
Frommen, sondern auch A. Calov 6elbst mitteilte, schließlich aber auch
der Hinweis der Jenaer Theologen, im akademischen Räume müsse
auch den Theologen ein gewisses Maß an Meinungs- und Lehrfreiheit
gestattet sein, lassen, wie eine Gothaer Friedensdelegation nach
Wittenberg, Leipzig und Helmstedt feststellen kann, den Cons. Rep.
vergessen.

III. In den 8 8 Punkten stellt der Cons. Rep. jeweils die orthodoxe
Lehre dar (Profitemur et docemus), stellt ihr die Helmstedter
Irrlehre gegenüber (Rejicimus eos, qui docent) und belegt diese mit
Zitaten (Ita docet G. Calixtus . .). Die Bekenntnisteile enthüllen sich
als eine äußerst geschickte Zusammenstellung kleiner und kleinster
Zitate aus dem Konkordienbuch, die aber oft mit Hilfe unscheinbarer
Zusätze und Veränderungen erst für das Urteil gegen Helmstedt geeignet
gemacht werden müssen. Aus der Analyse der einzelnen
„Puncta" ergibt sich:

1. Mit Hilfe des unveränderten Wortlautes der alten lutherischen
Bekenntnisse war es den Verfassern des Cons. Rep. nidit möglich, der
neuen Irrlehre beizukommen, dem Synkretismus und seinen Methoden
, nämlich der laxen Haltung den lutherischen Bekennntnissen
gegenüber, der verharmlosenden Beurteilung der konfessionellen Lehrstreitigkeiten
, der einschränkenden Bestimmung des Ketzerbegriffes,
der Reduktion der Credenda auf das Apostolicum, der positiven Stellung
zur Tradition und der Ablehnung des orthodoxen Lehrstückes
von der unio substantialis.

2. Lediglich dort, wo die Helmstedter aus humanistisch-ethischem
Interesse (besonders C. Horneius) den Einsatz der natürlichen Fähigkeiten
des Menschen bei seiner Bekehrung für möglich, und zur Erlangung
der Seligkeit (nicht der Rechtfertigung) sogar für notwendig
halten, konnte der Cons. Rep. die lutherischen Bekenntnisse des
16. Jahrhunderts mit einigem Erfolg und Recht einsetzen (z. B. F. C.
Sol. Declarat. IV, 22).

Wiefel, Wolf gang: Voraussetzungen und Anfänge des christlichen
Kirchenjahrs. Habilitationsschrift Leipzig 1963. 460 S.

Im ersten Teil der Arbeit wird der Versuch unternommen, die
verschiedenen Gestalten des kultischen Jahres im Umkreis des frühen
Christentums vergleichend zu erfassen und zu verdeutlichen, wie diese
sich durdi das in ihnen realisierte Zeitverständnis voneinander abheben:
das israelitisch-jüdische, das griechische, das römische und das Jahr
der Mysterien. Voraussetzung für die Entstehung eines christlichen
Kirchenjahres ist ein Wandel im Zeitverständnis: die Gegenwärtigkeit
des Heils in der Heilszeit, die für die tragenden Schiditen des NT
(Synopt., Paulus, Joh) konstitutiv ist, wird abgelöst durch die Zeit
der Kirche, der die heilsgeschichtliche Konzeption in den frühkatholischen
Schriften von Lukas an entspricht. Die Entfaltung sei längsschnittartig
in folgenden Bereichen dargestellt:

1. Vom Sabbat zum Sonntag: Das durch die Entwicklung des
Sabbats zum Bundeszeichen in nachexilischer Zeit gesdiaffene System
von Bestimmungen läßt sich besser überschauen, wenn man beachtet,
daß die aus dem Arbeitsverbot resultierenden immer stärker präzisierten
Vorschriften mit anderen verbunden werden, die das Prinzip der
Scheidung von heilig und profan konsequent auf den Sabbat anwenden
. Die Praxis führt einerseits zur verfeinerten, auch Kompromisse
nicht ausschließenden Kasuistik der Rabbinen (Traktate Schabb., Erub.)
andererseits zum Rigorismus der Sektenfrömmigkeit (Jub., CD, Schrifttum
von Qumran).

Der Gegensatz der Jesusüberlieferung zum Sabbat ist nicht als
Konflikt innerhalb der alttestamentlich-jüdischen Frömmigkeit zu begreifen
, sondern stößt in das Zentrum des Gesetzes selbst vor. In der
doppelten Antwort Mk. 2,23 — 28 konkurrieren ein aus der Schuldiskussion
der Urgemeinde erwachsener Schriftbeweis (v. 2 5/26) und
ein ursprüngliches Herrenwort (v. 27), das durdi ein angefügtes Logion
alsbald eine abschwächende Deutung erfuhr (Mk. Red.) und schließlich
ausgeschieden wurde (Mt., Lk.). Eine Abschwächung radikaler Kritik
liegt auch Mt. 12, 9—14 gegenüber Mk. 3, 1—5 vor, während im luka-
nischen Sondergut 13, 10—17 und 14, 1—6 die Kasuistik ab absurdum
geführt wird, indem 6ie bei ihrer rigoristischen Konsequenz (hier im
Sinne von CD XI, 13—17) behaftet wird. Die Kritik Jesu ist ihrer
Voraussetzung nach weder humanitär noch rational, sondern wurzelt
im Bewußtsein der Heilszeit, in der der göttliche Heilswille ohne
Schranken zur Auswirkung kommen soll. Sie ist damit von judenchristlicher
Rückbildung Mt. 24, 20 ebenso geschieden wie von griechenchristlicher
Transformation ins Gesinnungsethische Lk. 6, 5 D.

Die Ersetzung des Sabbats durch den Sonntag erfolgt noch nicht
bei Paulus (l.Kor. 16, 2 spricht naQ iavro) gegen Gemeindegottesdienst
), vielleicht bei Lk. (Komposition von c. 24), sicher in Apoc. 1,8